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Julian Nida-Rümelin, Christina Weiss, Michael Naumann

© Kai-Uwe Heinrich

Gespräch: "Michael, du bekommst die Millionen ...“

Zehn Jahre Bundeskulturpolitik: Die früheren SPD-Kulturstaatsminister über Föderalismus, Europa und das Amt

Meine Dame, meine Herren, können Sie uns erklären, warum Kulturpolitik plötzlich so attraktiv ist? Die Bundeskanzlerin spricht im Goethe-Institut, die SPD feiert im großen Stil „10 Jahre Bundeskulturpolitik“, und heute Abend treffen Sie sich alle im Berliner Martin-Gropius-Bau bei Angela Merkel und Kulturstaatsminister Bernd Neumann, Ihrem Nachfolger. Es fällt schon auf, wie sehr sich die Parteien neuerdings um Kultur bemühen.

WEISS: Kulturpolitik ist schon lange wichtig. Das beweist doch die Existenz des Amtes des Kulturstaatsministers.

NAUMANN: Man könnte auch sagen, dass die berühmte alte Sinnfrage in den Feuilletons mal wieder à jour ist: Wer sind wir, wohin geht die Welt – und das Geld?

NIDA-RÜMELIN. Deutschland hat im Vergleich etwa zu Frankreich einen Nachholbedarf. Bei uns war die kulturelle Dimension des Nationalstaates über Jahrzehnte unterbelichtet. Seit 1998, mit der Einführung des Kulturstaatsminister-Amtes, hat sich das geändert. Dieses Amt war anfangs heftig umstritten, jetzt gibt es darüber einen breiten Konsens.

NAUMANN: Die Kulturpolitik ist auf der Bundesebene angekommen. Ein guter Grund zum Feiern. Es hat aber auch Rückschläge gegeben. Ich bedaure sehr, dass in der Föderalismusreform die Verhandlungsführung bei Kulturfragen in Brüssel wieder an die Bundesländer zurückgegangen ist. Das macht uns zum Gespött unserer europäischen Nachbarn.

Einiges wurde in der Bundeskulturpolitik erreicht – ist man jetzt an die Grenzen der Verfassung gestoßen?

WEISS: Die Ministerpräsidenten der Länder wollen in Brüssel unbedingt ihre Hoheit für Kultur- und Medienpolitik behaupten. Man braucht aber in den europäischen Gremien eine identifizierbare Person, nicht wechselnde Vertreter mit wechselnden Qualifikationen aus den Bundesländern.

NIDA-RÜMELIN: Das ist eine paradoxe Situation. Der Bund hat sich bei der Föderalismusreform II Sicherheitskompetenzen im Tausch gegen Kompetenzen in der Bildung und der Kultur erkauft. Ein strategischer Fehler.

NAUMANN: Verfassungsfragen sind hierzulande langwierige Lernprozesse. Dabei ist es ganz simpel: Der Bund hat in Brüssel den Haushaltshebel, die Bundesländer können kein Veto einlegen. Bei der Buchpreisbindung, die damals abgeschafft werden sollte, konnte ich noch eingreifen, in Absprache mit Bundeskanzler Schröder und Finanzminister Lafontaine. Vielleicht will Bayern in Zukunft bei der EU auch noch als Vetomacht auftreten, sie haben sich da schon ein Schloss für ihre Repräsentanz angeschafft – ein schöner Job jetzt für Herrn Beckstein oder Herrn Huber.

Herr Naumann, Sie sprachen da früher einmal von „Verfassungsfolklore“.

NAUMANN: Die Zuständigkeit von Kommunen und Ländern wird vom Bund doch überhaupt nicht in Frage gestellt.

WEISS: Trotzdem ist die Kulturnation Deutschland weitaus mehr als die Summe von sechzehn unterschiedlichen Kulturpolitiken.

Brauchen wir ein vollwertiges Ministeramt für Kultur? Wäre das sinnvoller als ein Kulturstaatsminister im Kanzleramt?

WEISS: Das wäre eine große Erleichterung. Es ist bei uns auch deswegen gut gelaufen, weil der Kanzler voll hinter uns stand. Man musste ihm allerdings jeden Tag mit dem spitzen Absatz auf den Zeh treten, dann bekam man das Geld. Was ist aber, wenn die Kanzlerin sich für völlig andere Dinge interessiert als ihr Kulturstaatsminister?

NAUMANN: Zum Beispiel nur für Oper. Ich werde nie vergessen, wie ich an einem Mittwoch in der Kabinettssitzung einen Zettel von Gerhard Schröder zugesteckt bekam: Michael, du bekommst die Millionen für die Sammlung Berggruen. Ein Kulturstaatsminister von der einen und eine Kanzlerin von der anderen Partei, das ginge gar nicht. Da stünde auf dem Zettel: Und wer waren Sie noch gleich …

NIDA-RÜMELIN: Man sollte möglichst rasch die Kompetenzen des Bundes in Bildung, Forschung, Medien und Kultur in einem eigenständigen Ressort bündeln. Je nachdem, wer Kanzler ist, könnte die Kultur im Kanzleramt ja auch einmal politisch instrumentalisiert werden.

NAUMANN: Ich halte die Konstruktion mit dem Kulturstaatsminister im Kanzleramt für nahezu ideal. Der kleine Dienstweg hat sich ausgezahlt.

Das sagt auch Ihr Nachfolger Bernd Neumann von der CDU. Er will gar kein eigenständiges Ministerium. Wie hat sich das Amt des Kulturstaatsministers nach Ihnen weiterentwickelt?

NAUMANN: Wir Drei, die wir hier sitzen, waren allesamt Quereinsteiger. Das hat funktioniert. Andererseits gibt es keinen größeren Berufspolitiker als Bernd Neumann, und auch das geht. Weil er sich für Kultur interessiert.

NIDA-RÜMELIN: Schröders Ansatz war, dass die Kulturpolitik auf nationaler Ebene ein erkennbares Gesicht erhält, dass es einen Ansprechpartner gibt, der zwischen Kunst und Intellektualität und Politik vermittelt. Das hat sich in den letzten Jahren geändert.

WEISS: Es findet keine Debatte mehr statt zwischen dem Bundeskulturminister und der Kulturszene. Was wäre in Bayreuth zu diskutieren gewesen! Muss sich denn der Bund den Bayern widerspruchslos unterordnen?

NAUMANN: Wir hätten damals die Millionen für Bayreuth streichen müssen. Ich habe es versucht. Und wer ist uns in den Rücken gefallen? Die eigenen Genossen in Franken.

Sie vermissen Impulse, Debattenanstöße. Agiert Bernd Neumann zu blass?

NIDA-RÜMELIN: Ich nenne nur ein Beispiel dafür, wie der Kulturstaatsminister nationale kulturelle Verantwortung verstehen und sich in die Debatte einmischen könnte: Wenn die kulturelle Integration einer starken Einwanderung gelingen soll, dann ist das das herausragende Thema des deutschen Nationalstaats. In der internationalen Politik geht es immer mehr um kulturell geprägte Identitäten, dieser Trend ist deutlich festzustellen. Das Kulturelle wird immer zentraler werden für die Politik insgesamt.

WEISS: Debatten über Kultur berühren Werte und Orientierungsfragen. Wir müssen also sehr aufpassen, dass dieses Amt, um das es hier geht, nicht nur technokratisch ausgeübt wird. Das wäre das Schädlichste, was passieren kann.

Was ist eigentlich das spezielle Wesen sozialdemokratischer Kulturpolitik?

NAUMANN: Die Sozialdemokratie war seit ihrer Gründung ein Arbeiterbildungsverein. Bildung ist das Eintrittsbillett zum sozialen Aufstieg, zum Ausweg aus der Armut. Bildung, möglichst lebenslang, ist und bleibt das Zentrum von Kulturpolitik.

NIDA-RÜMELIN: Es gibt einen Grundimpuls, der uns von konservativer Kulturpolitik unterscheidet: Das Kulturelle ist das letztlich Ausschlaggebende für eine Gesellschaft der Teilhabe, der Integration. Die SPD hat in der Tat als Bildungsbewegung begonnen, und das verstärkt sich jetzt wieder.

WEISS: Kultur ist etwas Existenzielles und nicht etwas Schmückendes.

NAUMANN: Eine bürgerliche, der Bildung eigentlich nahe stehende Partei wie die CDU hat ein merkwürdiges Verhältnis zu real existierenden Künstlern. Erinnern Sie sich nur an Ludwig Erhard und seine „Pinscher“, damit meinte er die späteren Nobelpreisträger Böll und Grass. Oder denken Sie an Helmut Kohl, der kulturell höchst interessiert war, das muss man allerdings zugeben. Kohl entschied allein, wie ein barocker Monarch.

Was nicht verkehrt sein muss, wenn man wiederum an Frankreich denkt. Wir dagegen blamieren uns häufiger mit unseren demokratischen Bauvorhaben, gern auch in Berlin. Zum Beispiel bei der Renovierung der Staatsoper oder beim Humboldt-Forum: Auch dieser Wettbewerb verheißt nichts Gutes.

WEISS: Keineswegs. Wir befinden uns gerade in einem Haus, dem Jüdischen Museum, wo man sich nicht blamiert hat. Es geht nur immer dann schief, wenn Kultur in der Debatte nicht als ein Kernstück der Gesellschaft verstanden wird.

Michael Naumann hat das Holocaust-Mahnmal mit auf den Weg gebracht, Julian Nida-Rümelin rief die Bundeskulturstiftung ins Leben, bei Christina Weiss kam zum Beispiel die Akademie der Künste in die Obhut des Bundes. Jeder von Ihnen hat in Berlin Spuren hinterlassen. Wo würden Sie heute ansetzen, was wäre Ihr Zukunftsprojekt in der Hauptstadt?

NIDA-RÜMELIN: Wollen Sie meinen Traum hören? Deutschland braucht eine Universität, die es mit Harvard, Yale und Oxford aufnehmen kann. Das kann nach Lage der Dinge keine Bundesuniversität sein, aber es könnte eine Stiftungsuniversität sein, getragen von Bund und Ländern, nach dem Modell der Stiftung Preußischer Kulturbesitz. Und es gibt nur eine einzige Universität in Deutschland, die nicht die beste im Lande ist, aber den richtigen Namen und den richtigen Standort hat und die richtige Größe.

Sie denken an die Humboldt-Universität?

NIDA-RÜMELIN: Ja. Mit zwei Milliarden Euro pro Jahr und einer exzellenten Berufungspolitik könnte man in fünf Jahren an die Weltspitze anschließen – in der großen Tradition von Humboldt.

WEISS: Als Vorsitzende des Vereins der Freunde der Nationalgalerie erlebe ich die Grenzen der Stiftung Preußischer Kulturbesitz. Der Bund sollte sie ganz übernehmen, weil sich Bund und Länder nach dem jetzigen Finanzschlüssel niemals über die Erhöhung der Mittel einigen werden.

Da haben wir wieder die Föderalismusdebatte. Das ist der störende rote Faden in der Bundeskulturpolitik. Soll nicht auch das Humboldt-Forum ein Ort von Weltgeltung werden?

NAUMANN: Weltgeltung ist gut. Weltgeltung hat allerdings die Unfähigkeit der Berliner, diesen so hässlichen Palast der Republik nun endlich abzureißen und etwas Schönes aufzubauen. Wie unglaublich lange das dauert! Das ist wirklich ein faszinierender Prozess.

Und dann kommt da das nächste seltsame Bauwerk hin, das sogenannte Schloss, oder eben das Humboldt-Forum mit Schlossvorbau.

NAUMANN: Da bin ich ganz anderer Meinung, und ich weiß den Deutschen Bundestag hinter mir (lacht).

Das Gespräch führte Rüdiger Schaper.

Im Oktober 1998 wurde Michael Naumann nach dem Wahlsieg Gerhard Schröders der erste Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien, kurz Kulturstaatsminister. Er war Spitzenkandidat der SPD bei der letzten Hamburger Bürgerschaftswahl und ist Herausgeber der „Zeit“.

Julian Nida-Rümelin übernahm im Januar 2001 den Kulturposten im Kanzleramt (bis Oktober 2002). Er ist u. a. Ordinarius für Politische Theorie und Philosophie an der Ludwig-Maximilians-Universität München.

Christina Weiss war von 2002 bis 2005 Kulturstaatsministerin und ist Vorsitzende des Vereins der Freunde der Nationgalerie.

Bernd Neumann (CDU) hat das Amt seit drei Jahren inne. Bundeskanzlerin Angela Merkel spricht beim heutigen Festakt über „Zehn Jahre Bundeskulturpolitik“.

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