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Kultur: Gestalt und Leidenschaft

Er suchte die Schrecken der Schönheit, er malte die Brutalität der christlichen Bilderwelt: Caravaggios Spätwerk in Neapel

Als er 1606 in Neapel ankam, war er ein Wrack. Bei einer Messerstecherei in Rom verwundet, auf der Flucht vor den Schergen des Papstes, immer im Visier der Inquisition – und dazu noch völlig abgebrannt. Peter Dempf hat in seinem historischen Roman „Das Vermächtnis des Caravaggio“ genüsslich beschrieben, wie der Tollkopf im Taumel zwischen Prügeleien, Sauftouren, Prostituierten, zwischen einfachem Volk und höchsten Würdenträgern agiert, wie er gleichzeitig der gefragteste Maler seiner Zeit und persona non grata in kirchlichen Kreisen wird.

Michaelangelo Merisi da Caravaggio (1573–1610), benannt nach seinem Geburtsort in Norditalien, hat schon immer die Phantasie angeheizt, von seiner überstürzten Abreise aus Rom über die Flucht aus den Kerkern der Johanniter in Malta bis hin zu seinem mysteriösen Tod am Strand von Porto Ercole. Eine Figur zwischen Gosse und Glorifizierung, ein früher Schicksalsgenosse Pasolinis, in seinem sozialen Engagement, der rücksichtslosen Rebellion gegen die Obrigkeit, der offenen Homosexualität bis hin zum Tod durch Mord oder Sumpffieber.

Jetzt ist die Zeit erneut reif für ein Caravaggio-Revival: Wenn sich die ganze Welt über Mel Gibsons Film „Die Passion Christi“ erregt, wenn Folter und Missbrauch auf der weltgeschichtlichen Tagesordnung stehen, ist Caravaggio der Kronzeuge der Zeit. Kein Wunder, dass in Neapel die Schlangen derzeit rund ums Museo di Capodimonte stehen, um die Sonderausstellung „Caravaggio: L’ultimo tempo 1606–1610“ zu sehen. In Londons National Gallery, wohin die Kooperationsausstellung im Februar weiterwandert, wird der Andrang wahrscheinlich noch größer sein. Nicht nur, weil das Spätwerk des mit knapp 40 Jahren recht jung verstorbenen Malers wohl lange nicht mehr in dieser Dichte und diesem Umfang zu sehen sein wird: Rund zwanzig Bilder, dazu mehrere Zuschreibungen und Kopien sind versammelt.

Was Caravaggio in diesen letzten vier Jahren malt, oft mit deutlichen Bezügen zur eigenen Biographie, mit Selbstporträts und regelmäßig wiederkehrenden Modellen, ist Anklage, Auflehnung und Angriff gegen eine restriktive Kirchenpolitik. Das hat ihn damals, im Rom Clemens VII., zum Outlaw gemacht. Das macht ihn auch heute, in Zeiten von neu erwachendem religiösen Fanatismus, wieder interessant.

Nehmen wir die „Geißelung Christi“, eines der Prunkstücke der ständigen Sammlung in Neapel. Der massige Körper des Gegeißelten, effektvoll von oben beleuchtet, ist in sich zusammengesunken, wird nur noch gehalten von der brutal ins Haar gekrampften Hand eines der Peiniger. Die Haut von Hieben gerötet, der Strick an den Armen hat sich schmerzhaft eingeschnitten. Es heißt, Caravaggio habe in diesem Bild eine eigene Erfahrung verarbeitet – er sei in Rom selbst ausgepeitscht worden. Die Brutalität der Szene, das Fehlen jedes verklärenden Moments rücken das Bild in die Nähe von Mel Gibson: Nicht Passion, Folter und Verbrechen ist hier das Thema.

Das gilt noch mehr für das Meisterwerk der späten Jahre, das wegen seines Überformats nicht verliehen werden kann und daher in Neapel nur als Reproduktion zu sehen ist. Für die Kathedrale von La Valetta auf Malta hat Caravaggio im Auftrag des Johanniterordens, der ihn zum Ritter erhoben und dann wegen Gewalttätigkeit eingekerkert hat, eine „Enthauptung des Johannes“ gemalt. Noch heute ist allein dieses Werk eine Reise nach Malta wert. Der Körper des Täufers ist am Boden ausgestreckt, der Henker kniet über ihm, die eine Hand drückt den Gefesselten zu Boden, die andere zückt das Messer. Allein: Der Schlächter macht seine Sache schlecht, schon einen Schnitt hat er ausgeführt und den Kopf nicht ganz vom Rumpf getrennt. Nun blutet der Körper aus, würdelos wie ein Tier, und in die Lache roten Blutes hat der Maler seinen Namen geschrieben. Es ist das einzige Bild, das er signiert hat.

Es ist jedoch nicht das einzige, in welches er sein Leben, seine Todesangst mit eingeschrieben hat. Zwei Salome-Darstellungen sind in Neapel nebeneinander zu sehen, eine aus Madrid, eine aus London – mit der „Enthauptung des Johannes“ aus La Valetta hätten sie ein grandioses Triptychon ergeben. Ein Spiegelbild der Affekte, wie sie der US–Künstler Bill Viola hätte konzipieren können: die unbeteiligt sich abwendende Salome, die trauernd-neugierige Magd und der Henker, auf dem Londoner Bild ein grobschlächtiger Bauer (offenbar das gleiche Modell wie der Henker der „Enthauptung“), auf dem Madrider Bild ein schöner, nackter Knabe, der melancholisch, fast bedauernd auf sein Werk blickt. Und auf der Silberschüssel ein Schreckensgesicht, ein Medusenhaupt, bärtig und vom Todeskampf gezeichnet: Caravaggio selbst.

Die Modelle hat Caravaggio von der Straße geholt, Bauern, Handwerker, Bettler, Prostituierte. Dass er für einen „Marientod“ für die Kirche S. Maria della Scala in Rom eine im Tiber ertrunkene Prostituierte als Modell wählte, hat zu einem Skandal geführt. Auch die dreckigen Füße seiner Apostel sind legendär, oder der Bettler, der für den „Heilige Hieronymus“ in Malta Modell stand – das Bild wurde ärgerlicherweise nicht nach Neapel verliehen, obwohl der italienische Staat es nach einem Diebstahl Ende der Achtziger aufwändig restaurierte.

Berühmt jedoch ist Caravaggio besonders für die frechen Straßenjungen geworden, die er Modell stehen ließ: der „Siegreiche Amor“ in der Berliner Gemäldegalerie ist ein frühes, besonders explizites Beispiel. In Neapel gezeigt werden ein „Johannes der Täufer“ als junger Hirt, blasiert, selbstsicher, sich seiner körperlichen Vorzüge bewusst, und der „David mit dem Kopfe Goliaths“ aus Rom: ein schöner, melancholischer Jüngling, und das Medusenhaupt in seiner Hand trägt wieder die Züge Caravaggios, auf der Stirn noch die Wunde, die er bei der zweiten Flucht aus Neapel empfing.

Das war gewagt, für die Zeit – und so existenziell, dass die Bilder an die Grenze des Noch-Malbaren gehen. Immer grausamer, immer schrecklicher werden die Motive, und immer schneller malt der Künstler in den letzten Jahren, malt an gegen Krankheit, Verfolgung, Armut und Alkohol. Gerade die Bilder aus Sizilien, wo Caravaggio nach der Flucht aus Malta zunächst Asyl fand, wirken unvollendet: ein „Begräbnis der Hl. Lucia“ für die Kirche S. Lucia in Syrakus zeigt im Vordergrund, vor der entseelt am Boden liegenden Heiligen, zwei Totengräber, athletische Figuren, nur angedeutet und doch das Bild dominierend. Auch die „Auferstehung des Lazarus“ aus Messina wirkt, zumal im heutigen beklagenswertem Zustand, im Hintergrund skizziert, und die „Verkündigung“ aus Nancy mit dem sehr ausgewachsenen, sich bedrohlich über die demütige Jungfrau beugenden Engel ist offensichtlich unvollendet.

Der Höhepunkt der Ausstellung jedoch ist eine Neuzuschreibung, ein „Martyrium der Hl. Ursula“ aus Neapel, das erst in diesem Jahr restauriert und im Sommer erstmals in der Villa Borghese in Rom präsentiert wurde. Die Heilige, die mit ihren tausend Jungfrauen in Köln einem Hunnenangriff zum Opfer fiel, ist schon tödlich getroffen: Der Pfeil bohrt sich in ihre Brust, sie selbst blickt todesbleich und eher erstaunt auf ihn hinab. Im Zentrum jedoch steht der Hauptmann, dem der Pfeil gerade vom Bogen geschnellt ist. Der Sage nach soll er Ursula getötet haben, weil sie sich ihm verweigert hat. Und mit Reue und Entsetzen blickt er diesem Pfeil nach, das Gesicht verzerrt von Trauer und Schrecken. Auf ihn blicken die Umstehenden, auf ihn blickt auch der Betrachter: Hier spielt das Drama. Caravaggio hat sich schon immer mehr für Täter als für Opfer interessiert.

Caravaggio: L’ultimo tempo 1606-1610. Neapel, Museo di Capodimonte, bis 23. Januar. Danach ab 23. Februar in der National Gallery London. Katalog 35 Euro

Christina Tilmann

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