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Kultur: Gestatten, alte Platten

Das Auflegen von Schallplatten hat sich weit von seinen Ursprüngen entfernt. Das Berufsbild Diskjockeys ist heute hochtechnisiert und die DJ-Culture ist zur Leitkultur der Postmoderne geworden.

Das Auflegen von Schallplatten hat sich weit von seinen Ursprüngen entfernt. Das Berufsbild Diskjockeys ist heute hochtechnisiert und die DJ-Culture ist zur Leitkultur der Postmoderne geworden. Früher wollten Kinder einmal Astronaut oder Rennfahrer werden und wünschten sich eine Carrerabahn. Heute wollen die Kleinen Netzwerkmanager oder DJ werden und unter den Tannenbäumen liegen Slipmats und modernste Mischpulte.

Dabei fing es einmal ganz bescheiden an. Dem DJ-Historiker Ulf Poschardt zufolge kam es zu den ersten Aufführungen von Schallplatten während des Zweiten Weltkrieges. Im Frankreich der deutschen Besatzung war Tanzmusik verboten, die meisten Musiker der Tanzorchester hatten das Instrument gegen den Karabiner getauscht. Man behalf sich deshalb mit dem modernsten Abspielgerät der Zeit: dem Grammofon. In hinter blickdichten Vorhängen versteckten Souterrains tanzte man heimlich zum Knarzklang von Schellackplatten.

Später wurden Schallplatten überall dort aufgelegt, wo kein Geld für ein Tanzorchester vorhanden war. In den Motorstädten der amerikanischen Ostküste verkauften in den späten Fünfzigern und frühen Sechzigern Unternehmer aus dem Kofferraum ihrer Chevys frisch gepresste Scheiben an die schwarzen Musikenthusiasten. Für einen ordentlichen Vertrieb von Labels mit Namen wie Motown oder Hi fehlte damals das Geld.

Mittlerweile ist das DJing zum Big Business geworden. Die alten Scheiben verdrängt allmählich die Digitaltechnik. Nur wenig erinnert noch an die Anfänge der Musik. Eine Ausnahme ist da DJ Grammophon . Er ist der altmodischste und höflichste Vertreter seines Standes. Anstatt die Gäste mit einem flotten „Yo, brother“ anzukumpeln, stellt er seine Abende unter das Motto „Gestatten, alte Platten.“ Wenn er heute in der Kopier-Bar (Rosenthaler Str. 71, Mitte) um 20 Uhr sein Grammofon ankurbelt und die zerbrechlichen Schelllackscheiben sorgfältig aus ihren Papphüllen zieht, wird es gelegentlich knistern und rauschen. Doch das gehört zu Charleston und Cha-Cha dazu wie ein Gläschen Absinth.

Und außerdem hat so die ganze Sache der Techno-Paraden, Schaumpartys und Großraumdiskos einmal begonnen: mit dem Knistern einer aus Ruß, Baryt, Schiefermehl und dem Sekret der Schildlacklaus gepressten Scheibe, irgendwo in einem verhängten Keller.

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