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Kultur: Gewalt schafft Leiden

Eoin Moore erforscht in „Pigs Will Fly“ die Innenwelt eines Mannes, der seine Frau schlägt

Laxe ist ein sympathischer Kerl. Und ein brutales Arschloch. Er schlendert durch das Märkische Viertel und grüßt die Leute. Ein lächelnder Berliner Polizist, den alle mögen. Doch plötzlich jagt ihm das Blut in den Kopf und Eifersucht und Hass explodieren in ihm. Dann prügelt er los und tritt wie wild auf seine wehrlose Frau ein.

Regisseur Eoin Moore ergötzt sich nicht an der Gewalt. Aber er schaut auch nicht weg. Er bleibt so dicht an seiner Hauptfigur, dass der Film bis in Laxes Kopf zu kriechen scheint und die Töne subjektiv verzerrt werden. Wie schon in Moores erstem Spielfilm „plus-minus null“ rückt Bernd Löhr mit der DV-Kamera dem großartigen Hauptdarsteller Andreas Schmidt qualvoll nahe – eine Tortur. Aber darin liegt auch die Stärke dieses Films aus dem Blickwinkel des Täters: Moore will die Figur ganz – oder gar nicht.

„Pigs Will Fly“ heißt dieser Film, und das Fliegen ist eines seiner Leitmotive. Die Meerschweinchen, die Laxe an einem kleinen Fallschirm von den Häusern fliegen lässt; die Möwen, die ungestört durch die Luft gleiten; Laxes Flug über den Atlantik zu seinem Bruder in San Francisco. Fliegen verspricht Freiheit. Aber es bleibt ein Versprechen. Denn auch in Kalifornien, wo sich Laxe eine geistige Reinigung erhofft, wird er die Geister der Vergangenheit nicht los. San Francisco ist hier das weltoffene Gegenstück zu Laxes kleinbürgerlicher Enge in Berlin. Hier die Lesben auf der Straße, das WG-Leben, die asiatischen Taichi-Sportler im Park. Dort die Plattenbauten, durch die einem die Sicht auf den Horizont verbaut ist. Immer wieder lässt Moore durch Glasscheiben hindurch filmen, um Laxes mentale Enge in Deutschland zu unterstreichen.

Wie schon in „plus-minus null“ (1998) und „Conamara“ (2000) hält Moore konsequent die emotionale Spannung zwischen seinen Figuren. Ständig droht das fragile zwischenmenschliche Gebäude einzustürzen und alle unter sich zu begraben. Dadurch packt uns Eoin Moore und zerrt uns hinein in das Schicksal seiner einfachen Leute: Bauarbeitern, Postbotinnen, Polizisten.

Laxe umarmt mit Boxhandschuhen und verwundet mit seinen Gefühlen, heißt es in einem Gedicht seines Bruders. Zum Einschlafen braucht er, wie ein Kind, ein Licht neben dem Kissen. Erst allmählich konfrontiert uns der Film mit Laxes Trauma. Das immerhin bewirkt die Reise nach Amerika: Durch die Begegnung mit dem Bruder (Thomas Morris) und die Affäre mit Inga (Laura Tonke) lässt sich das Verdrängte nicht mehr beiseite schieben. Von außen wird gerüttelt am Stahlmantel, den Laxe um seine Vergangenheit gehüllt hat. „Pigs Will Fly“ ist das aufwühlende Psychogramm eines Neurotikers. Und die Suche nach einer Antwort auf Laxes Frage: „Bin ich wirklich so ein Monster?“

Blow Up, Eiszeit, Hackesche Höfe, Moviemento, Neue Kant Kinos

Julian Hanich

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