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Malerei: Gianfranco Baruchello: Irrweg der Ideen

Die Berliner Galerie Michael Janssen würdigt den italienischen Maler Gianfranco Baruchello.

Heinrich von Kleist hatte es gut. Er konnte seine Theorie „über die allmähliche Verfertigung der Gedanken beim Reden“ in Worte fassen. Der italienische Künstler Gianfranco Baruchello sucht dagegen Zeichen für das emsige Weben des Geistes, Linien für die Irrwege und Zirkel der Ideen, Figuren für die geheimnisvollen Visionen, die der Verstand nicht entschlüsseln kann, obwohl er sie selbst produziert. „Eigentlich regen mich Worte und Ideen mehr an als Bilder“, sagte Baruchello einmal im Gespräch mit Umberto Eco.

Die Galerie Michael Janssen hat den 85-jährigen Italiener jetzt wiederentdeckt und würdigt ihn in einer umfangreichen Ausstellung mit Zeichnungen, Filmen und Schaukästen aus den siebziger Jahren bis heute (6000-150 000 Euro). Zwar haben eingefleischte Sammler den philosophischen Zeichner nie aus den Augen verloren. Einer breiten Öffentlichkeit aber ist Baruchello bis heute jedoch unbekannt. Das liegt auch an seiner eigenen Strategie der Verweigerung. Dabei ziehen seine Assemblagen das Auge magisch an. In Plexiglaskästen montiert Baruchello Assoziationsketten, Farbmuster, Tierfiguren und biologische Schautafeln. Immer wieder verwendet der polyglotte Künstler das Bild von der Zunge, kombiniert es mit Sprache und Schrift. Rollt Zeitungsseiten zu Buchrücken einer Bibliothek – die ganze Welt des Intellekts konzentriert sich hier in einer Schachtel. Ein Märchenwald der Gedanken, in dem man sich genüsslich verirren kann.

„La formule – die Formel“ nennt Baruchello das Schlüsselwerk der Ausstellung – seine Formel für Kunst und Leben. Tatsächlich ähneln die Gleichungen hinter Glas Konstruktionsanleitungen zum Denken. Wer aber glaubt, er könne dem Künstler auf die Schliche kommen, der hat sich getäuscht. Leichter ist es, die Ausstellung rückwärts zu lesen. Im letzten Raum zeigt ein Großformat Baruchellos erstes Alphabet, 1960 mit Bleistift auf Packpapier gezeichnet. Es besteht aus Hieroglyphen, die als Inventarliste einer Eisenwarenhandlung durchgehen könnten. Schlösser, Wasserhähne, Schraubenschlüssel. Die Umrisse dieser Gegenstände werden zu seinen Buchstaben, er mischt Comics darunter, philosophische Zitate in verschiedenen Sprachen. Auf quadratischen Leinwänden kombiniert er die Zeichenfolgen, baut kleine Inseln daraus auf der weißen Leere. Von weitem wirken die Bilder wie die Welt bei google maps. Alles erscheint winzig, nur die Entfernungen sind riesig. Neugierig tritt man näher, verliert zwar den Überblick, aber kann die Details erkennen. Die Zitate in schönster Schrift, die Motive: viel Eros, möglichst wenig Tod. Die Formel ist für Baruchello auch ein Zauberspruch, um den Verstand frisch zu halten, während der Körper altert. Das hat er jüngst einem anderen italienischen Verweigerer erzählt: Maurizio Cattelan.

Baruchello feilt lange an seinem visuellen Vokabular und verwendet es unverändert bis heute. 1962 tritt er gemeinsam mit dem Schweden Öyvind Fahlström in der New Yorker Galerie Sidney Janis auf. Die Gruppenausstellung „The New Realists“ verhilft der Pop-Art zum Durchbruch. Während die Künstler des Pop jedoch Banales süffig überhöhen, lässt Baruchello seine Chiffren schrumpfen. So kann er unterschiedliche Gedanken nebeneinanderstellen und Widersprüche existieren lassen. Er kreiert eine Fusion aus Pop und Minimalismus, die das Mysterium des Denkens zum Thema hat. Sein Lehrer und Freund ist Marcel Duchamp.

1977 sind seine Zeichnungen auf der documenta 6 zu sehen, neben Werken von Hanne Darboven, Roman Opalka oder Keith Sonnier. Doch gemessen an der langen Zeit seiner künstlerischen Tätigkeit bleiben große Ausstellungen rar. Das liegt auch an den ordentlichen Regeln, die Baruchello seiner Kunst auferlegt, das liegt an der Formel. Die lindgrünen Zeichen auf den hellen Leinwänden locken wie Vogelspuren im Schnee. Die verspielten Schaukästen scheinen faszinierende Welten zu eröffnen, Bühnen für Witz und Wissen. Die Filme sind skurrile Studien. Die Betrachter aber stoßen regelmäßig an Grenzen. Das Rätsel lässt sich nicht entschlüsseln, es ist selbst Gegenstand der Kunst. Doch was Rätsel angeht, war Duchamp überall schon da mit seinem Willen zu ewiger Größe.

Bleibt nur der Rückzug. Baruchello hat eine Stiftung eingerichtet und ein Landgut in der Nähe von Rom zur Künstlerresidenz umgebaut. Hier befinden sich die großen Bibliotheken seiner Familie, er selbst beschäftigt sich mit Gartenbau. In der Galerie Michael Janssen zeigt er ein Beet mit giftigen Pflanzen – Wunderbaum und Engelstrompete, Eisenhut und Christrose. Daneben botanische Zeichnungen von haarigen Dolden und stachligen Beeren. Unwissen und Irrtum treiben giftige Früchte. Lang ist es her, dass der Baum der Erkenntnis einen leckeren Apfel trug.

Galerie Michael Janssen, Rudi- Dutschke Str. 26; bis 20. 2., Di-Sa 11-18 Uhr.

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