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Kultur: Gläserne Wellen

Die Bedeutung der Bahn als Motor der städtebaulichen Entwicklung Berlins ist kaum zu überschätzen.Der Nachholbedarf ist gewaltig.

Die Bedeutung der Bahn als Motor der städtebaulichen Entwicklung Berlins ist kaum zu überschätzen.Der Nachholbedarf ist gewaltig.Neben diversen Umbauten werden in Berlin vier neue Bahnhöfe entstehen.Der Lehrter Bahnhof ist der prominenteste, aber auch die neuen Stationen am Gesundbrunnen und an der Papestraße werden im Norden und Süden der Stadt wichtige Verkehrsknoten bilden.Der erste der neuen Bahnhöfe in Berlin wird in Spandau nach gut zwei Jahren Bauzeit zwar erst Ende Dezember mit der Wiedereröffnung der sanierten S-Bahnstrecke vollständig in Betrieb genommen, doch während der Bauzeit konnte und kann das Bauwerk besichtigt werden: Der Bau findet unter "laufendem Betrieb" statt.

1993 war ein beschränkter städtebaulicher Wettbewerb veranstaltet worden, bei dem Santiago Calatrava aus Zürich den ersten Preis gewann.Wegen angeblichen "unzulänglichem Angebot an ergänzenden Nutzungen" bekam jedoch nicht er den Auftrag, sondern das im Wettbewerb drittplazierte Hamburger Büro von Gerkan, Marg und Partner (gmp).Mit dem Wettbewerbsentwurf hat das fertige Werk jedoch nicht mehr viel zu tun.Ausgeführt wurde der Entwurf von Meinhard von Gerkan durch die Berliner Filiale des Hamburger Architektenbüros gmp, eines der größten Büros in Deutschland, das im Verkehrsbau geradezu dominierend ist.Berlin verdankt ihm unter anderem die Pläne für den Flughafen Tegel und den Neubau des Lehrter Bahnhofs.

Die sechs überdachten Gleise des Fern-, Regional- und S-Bahnhofs in der Spandauer Innenstadt liegen wie die Stadtbahn im Zentrum etwa sechs Meter über dem Gelände.Zwei Gleise sind für die S-Bahn reserviert.Sie liegen im Norden, näher am Ortskern.

Im Gegensatz zu Calatrava, der einen fulminanten Entwurf vorlegte, sahen gmp klassische Tonnendächer aus Glas vor, wie sie schon vor einhundert Jahren die Architektur der Bahnhöfe prägten.Die Gleise werden in Abständen von achtzehn Metern von bogenförmigen Hauptträgern überwölbt, die von Bahnsteigmitte zu Bahnsteigmitte reichen.In Längsrichtung sind sie durch Stahlträger miteinander verbunden.Zusammen mit dem Ingenieurbüro Schlaich, Bergermann + Partner aus Stuttgart haben die Architekten eine filigrane Gitterstruktur mit diagonal gekreuzten Stahlseilen zur Unterspannung der Glasflächen entwickelt.Das grünliche Drahtglas läßt Tageslicht verschwenderisch auf die Bahnsteige fallen.Nur die Scheitel sind mit Metallstreifen verkleidet.Das System ermöglicht es, die leichte Kurve, die die Strecke in Spandau beschreibt, ohne Paßstücke aufzunehmen.Die Lampen reflektieren sich am Abend in den vier Tonnendächern.Um die Orientierung zu erleichtern, wurden alle Hinweistafeln, Lautsprecher, Werbetafeln, Uhren, das Mobiliar und die Beleuchtung einheitlich gestaltet - dies im übrigen seit langem ein Anliegen von Gerkans.

Die große Halle wird über zwei Zugänge erschlossen.Von der Seegefelder Straße aus betritt man eine sechzehn Meter breite Haupthalle unter den Gleisen.Die Bahnsteige erreicht man auf der einen Seite über drei Treppen und auf der anderen über Rolltreppen oder einen der drei Aufzüge in der Hallenmitte.Die Bögen der Hallendecke wurden durch Abhängungen zu Wellen ergänzt.Sie sind mit Metalltafeln verkleidet, die im Scheitel angestrahlt werden, während in den "Tälern" Leuchtstreifen Licht nach unten strahlen.

Nur das absolute Minimum von fünf Läden und dem Reisezentrum belebt die Halle mit Rücksicht auf das umstrittene Einkaufszentrum, das nebenan entstehen soll.Wände und Böden sind mit einem indischen, leicht marmorierenden, hellgrauen Naturstein ausgekleidet.Ein einfacher Fußgängertunnel dient als zweiter Zugang.Er ist als reine Erschließung vergleichsweise stiefmütterlich behandelt worden und liegt am Ende der S-Bahnsteige, die mit etwa 150 Metern nur knapp halb so lang sind wie die ICE-gerechte Zughalle.Die Hauptfassade im Norden wurde lediglich mit Edelstahlwellblech verkleidet und hat speziell im Bereich der nackten Stützwand aus Fußgängersicht wenig zu bieten.

Den Entwerfern ist eine zwar schlichte, im Detail aber elegante archtektonische Lösung gelungen.Angesichts der Tatsache, daß der Neubau unter vollem Betrieb gebaut werden mußte, haben die Architekten, die das Projekt als Generalplaner verantworten mußten, darüberhinaus eine logistische Meisterleistung vollbracht.Die organisatorischen, räumlichen und verkehrlichen Schwierigkeiten konnten jedoch nicht gänzlich zufriedenstellend gelöst werden.Eines der Probleme beim neuen Spandauer Bahnhof ist, daß zugunsten des teuren Glasdaches an anderen (falschen) Stellen gespart werden mußte.So wurde die geplante überdachte Verbindung zum neuen U-Bahnzugang ebenso gestrichen wie die Rolltreppen am hinteren Gang.Statt dessen wurde viel Geld für die 18 000 Quadratmeter große Verglasung ausgegeben, um den "Komfort für die Reisenden zu erhöhen".Ursprünglich waren nur zwei volle und zwei halbe, an der Seite offene Bögen geplant.Aber auch in der ausgeführten Luxusvariante der Überdachung in voller Zuglänge bleiben Halle und Lobby, die nicht beheizt werden können, zumindest im Winter ungemütich zugig.Ein anderes Problem ist die Lage der neuen Station insgesamt.Dann der Zugang liegt nicht mittig, sondern dafür näher an der Spandauer Altstadt.Dadurch ergeben sich unter Umständen vierhundert Meter lange Wege bis zum reservierten Sitzplatz am Zugende.

Ausgerechnet an der wichtigsten Zugangsstelle im Osten sind die Bahnsteige am schmalsten.Und obwohl dort fast alle Passagiere den Bahnhof betreten und verlassen, führen die Rolltreppen nur zum Bahnsteig hinauf.Ankommende Fahrgäste müssen mit Koffern Treppen steigen.Ungeklärt ist auch die Verbindung zur geplanten Transrapidtrasse, die unmittelbar an den neuen Bahnhof grenzt.Der Chicagoer Architekt Helmut Jahn wurde mit der Planung aller Stationen der Magnetbahn beauftragt - an der weiteren Abstimmung scheint es indes zu mangeln.

Ärger gibt es zudem um das geplante Handelszentrum am Brunsbüttler Damm im Süden.Die "Spandau-Arcaden", ein Einkaufszentrum mit Hotel, wird von den Architekten Rhode Kellermann Wawrosky aus Düsseldorf geplant.Es soll auf dem Gelände des ehemaligen Güterbahnhofs errichtet werden.Die Dachform des Bahnhofs soll sich in dem angrenzenden Einkaufszentrum fortsetzen.Erst nach dessen Fertigstellung werden überhaupt Parkplätze am neuen Bahnhof zur Verfügung stehen, obwohl sich Spandau als Park + Ride-Standort förmlich aufdrängt.Ob sich das geplante Gewerbezentrum positiv auf die Entwicklung der historischen Altstadt Spandaus auswirken wird oder ihr das Lebenselexier Kaufkraft entziehen wird, bleibt abzuwarten.

Berlin ist zu wünschen, daß das Kompetenzwirrwarr bei der Bahn, das nach Aussage der Architekten für manche Schwächen bei dem ersten der neuen Bahnhöfe in der Hauptstadt verantwortlich war, nicht auch die folgenden Neubauten prägen wird.

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