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Der Höhepunkt. Meret Becker trifft Tim Fischer – erstmals im Duett.

© Andreas Greiner-Napp

Berliner Neujahrskonzerte: Glanz nett

Die „First Night“ im Konzerthaus, der Rias Kammerchor in der Philharmonie: Zum Jahresbeginn versuchen sich die Klassikhäuser an neuen Formen.

Berlin! Hör’ ich den Namen bloß, da muss vergnügt ich lachen! Wie kann man da für wenig Moos den dicken Wilhelm machen!“ Das ist kein poetischer Facebook-Eintrag eines heutigen Party-Easyjetsetters. Die Analyse hat bereits 117 Jahre auf dem Buckel und findet sich in der Operette „Frau Luna“. Kein Wunder, bei der Hellsichtigkeit der Librettisten, dass die „Berliner Luft“ zur heimlichen Hymne der Stadt avancierte und natürlich auch am Freitag für das Finale der „First Night“ im Konzerthaus am Gendarmenmarkt herhalten muss.

Warum soll eigentlich nur Wien sein lokalpatriotisch durchtränktes Neujahrskonzert haben, fragte sich der Kulturmanager und Geiger Wolfram Korr und entwickelte zusammen mit dem Veranstalter Hans Reimann die Idee zur „First Night“. Die ihren englischsprachigen Titel nicht nur wegen der neuen Internationalität der deutschen Metropole trägt – wo man in so manchem Restaurant ja sein Essen mittlerweile nur noch in der globalen Lingua franca bestellen kann. Sondern auch, weil den Machern atmosphärisch eine Mischung aus Traditionspflege nach österreichischem Vorbild und jener heiteren Ausgelassenheit vorschwebt, wie sie Jahr für Jahr bei der berühmten „Last Night“ der Londoner Proms in der Royal Albert Hall herrscht.

Mit diesem Jubel-Trubel-Bodenständigkeits-Konzept möchten Korr und Reimann am liebsten gleich eine neue Tradition begründen, telegen wie das Wiener Event im Goldenen Musikvereinssaal. Im gut gebuchten Konzerthaus allerdings krankt das ungetrübte Jahresanfangsvergnügen dann doch etwas an der schwachbrüstigen Lautsprecheranlage. Trotz elektronischer Verstärkung können sich die Solisten kaum gegen das Orchester durchsetzen, und auch die Conférencière Gayle Tufts ist oft schwer zu verstehen, weil sie ihre Denglish-Moderationen wahnsinnig schnell ins Mikro schickt. Wie sie das Publikum anspricht, einbindet, das ist charmant, und auch zu den einzelnen Nummern hat sie interessante Hintergrundinformationen auf Lager.

Samtplüschige Leichte-Muse-Behaglichkeit

Programmatisch will die „First Night“ eine Potpourrirevue sein, ein Kessel Buntes, in dem sich wild die Stile mixen, wie eben auch in der hiesigen Kulturszene. Um Hits aus den ersten drei Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts geht es bei der Pilotshow, mit zwei thematischen Ausreißern, einer laut bejubelten Nummer aus dem Bach-Programm der Breakdancer „Flying Steps“ und dem Conny-Froboess-Kracher „Pack die Badehose ein“. Wobei der Schwimmbekleidungsevergreen vermutlich noch nie in einem so raffinierteren Klanggewand daherkam wie hier. Die meisten Nummern wurden für den Abend neu arrangiert, für großes Orchester, mit vollem Streicher- und Bläserapparat, Harfe, Banjo und Flügel. Unter der Leitung von Ronald Herold entsteht da ein altmodischer Tonfilmsound, geschmeidig und glitzernd, der wohltuend auf alle modernen Soundtrack-Kitscheffekte verzichtet.

Los geht es mit einem exquisit gesetzten Friedrich-Hollaender-Medley, später folgen Linckes säbelrasselnder „Folies Bergères“-Marsch sowie der Sportpalastwalzer. Und weil auch die beiden jungen Opernsänger Paula Rummel und Manos Kia viel Operettiges beisteuern, dominiert im Gesamteindruck die samtplüschige Leichte-Muse-Behaglichkeit.

Dabei hat auch Gayle Tufts ein kokettes „Willkommen, Bienvenue, Welcome“ aus „Cabaret“ hingelegt, Peter Bause erzählt von der Skandaluraufführung der „Dreigroschenoper“ und deklamiert grellstimmig die Mackie-Messer-Moritat, das Herrenquartett Tschap erweist den Comedian Harmonists seine Reverenz. Zum Höhepunkt aber wird das Duett zwischen Meret Becker und Tim Fischer. Schroff und aasig, wie sich das für ein Brecht-Chanson gehört, beginnt ihre Zuhälterballade, virtuos balancieren sie in der Tanzeinlage zwischen Anziehung und Abstoßung. Wenn Meret Becker ihre singende Säge weinen lässt, wird einem eng im Hals, geht diese todtraurige Geschichte von wahrer und käuflicher Liebe richtig ans Herz. Frederik Hanssen

Gewurstel mit Purcell

Schön gestellt fürs Pressebild. An Neujahr scheiterte der Rias Kammerchor in der Philharmonie szenisch.

© promo

Gut ein halbes Jahrhundert nach ihrer Eröffnung hat sie es geschafft: Die Philharmonie ist Berlins viertes großes Opernhaus. Kein Ensemble von Rang, das den vormaligen Circus Karajani nicht szenisch erkunden will, allen voran die Philharmoniker, die jüngst Debussys „Pelléas“ über Scharouns Treppen und Podien trieben. Zu seinem traditionellen Neujahrskonzert sucht nun auch der Rias Kammerchor das Spiel. Bislang galt dieser feine Konzertchor als unverdächtig, was seine Bühnenambitionen anbelangt, und seine Konzerte zum neuen Jahr waren stets das Gegenteil jedes Silvestergetingels: Hier gab es die großen Oratorien zum hochkulturellen Ausnüchtern sowie zur moralischen Festigung.

Für Henry Purcells Semi-Opera „The Fairy Queen“ brechen die Sänger nun mit Koffern auf in jenen verwirrenden Wald der Gefühle, den einst Shakespeare mit seinem „Sommernachtstraum“ gepflanzt hat. Um Platz dafür zu schaffen, wird die üppig besetzte Akademie für Alte Musik unter der Leitung von Rinaldo Alessandrini in die linke Hälfte des Podiums verbannt. Der Chor stellt auch die Sprecherrollen der Feenkönigin Titania, ihres grollenden König Oberon und des Esels Bottom, die verwirrenderweise mal englisch, mal deutsch rezitieren. Es gibt noch einen umherschleichenden Tänzer, wohl eine Art Puck. Und ein großes Betttuch, unter dem erst mal alles in Schlaf versinkt. Das ist so aufregend, wie es klingt. Um nicht zu sagen: seltsam eintönig – wo doch „The Fairy Queen“ 1692 als prächtig exotisches, Staunen machendes Tableau uraufgeführt wurde.

Das Amüsement stockt immer wieder, was neben dem sonst so stilsicheren, bei Purcell aber ohne zwingenden Zugang taktierenden Maestro Alessandrini auch am szenischen Bemühen des Rias Kammerchors liegt. Er eiert auf Volkshochschulniveau herum und konterkariert seine Weltklasse, ohne daraus komisches Potenzial zu gewinnen. Auch die Konzentration auf die Musik leidet, wenn etwa jedes Chormitglied der trauernden Sopranistin Ruby Hughes das Händchen halten will. Bei einem Klagelied wie „O let me weep“ steht eigentlich die Welt still. Hier wurstelt sie weiter, in längst nicht mehr zu Zeit und Figur passende Pellen aus Organza gehüllt. Wer die Szene erobern will, darf auch am Kostüm nicht sparen – es spiegelt selbst Neujahr untrüglich das Bühnenbewusstsein. Ulrich Amling

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