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"Geschlecht ist eine Konstuktion": Junge Palästinenserinnen bei einer Demonstration in Gaza

© dpa

Glosse: Party statt Patronen

Caroline Fetscher weiß, wie man den Nahostkonflikt löst. Warum nicht Judith Butler nach Gaza einladen - damit sie jungen Palästinensern ihre Gendertheorien vorstellt?

Von Caroline Fetscher

Die Wende aller Wenden begann im Mai 2014 – seither hört man kaum noch etwas von Israelfeinden und Antisemiten. Rund um den Globus, so hatten junge Bewohner des Gazastreifens erkannt, haben wir Palästinenser großartige, loyale Fürsprecher. Laden wir doch die prominentesten von ihnen ein! Spontan gründeten sie die Gaza-Instant-University, und in einer Rede der berühmten Philosophin Judith Butler fanden sie das Motto für ihre Einrichtung: „Es ist extrem wichtig, Hamas und Hisbollah als soziale Bewegungen zu verstehen, die progressiv sind, die der Linken zuzuordnen sind, die Teil der globalen Linken sind.“ Allen war klar: Diesen klugen Kopf brauchen wir!

Nach Butlers Zusage, ein Semester honorarfrei an der Gaza-Instant-University zu unterrichten, flossen aus dem Westen Hunderttausende an Spendengeldern zu den Bildungshungrigen, ein Riesenkino wurde in einen Hörsaal verwandelt. Praktische Kursangebote wie „Antizionistische Sprengstoffkunde für Anfänger“ schob man auf. Zuallererst sollte Butler die Lehranstalt einweihen. Hupkonzerte und Riesenjubel begrüßten die Meisterin bei ihrer Ankunft. Scheu winkte sie aus dem Seitenfenster des Mercedes, eine Eskorte begleitete den Wagen zum Hörsaal. Massen am Straßenrand fotografierten.

Dann begann die Wende. Ihre Theorien in die denkbar klarste Sprache fassend, legte Butler der staunenden Jugend am Mittelmeer dar, welche Zwänge jenseits ihrer geografischen und politischen Lage noch existierten. Butlers Vorträge, in der gesamten arabischen Welt millionenfach auf Youtube gehört, erhellten die Konstruktion von Gender und Geschlechtlichkeit („Warum bist du ein Mann, warum eine Frau? Nur weil die Gesellschaft dir weisgemacht hat, dass du ein Mann, eine Frau bist!“). Das Publikum erfuhr von den Fallen der Identitätspolitik, den Schimären des Binären, dem Phantasma heterosexueller Normativität und von der Vision einer Befreiung von sozialen Konstrukten überhaupt.

Das neue Denken wirkte auf die jungen Leute mitreißender als all die Ideologie, die sie bisher konsumiert hatten! Junge Männer begannen, sich für ihr chauvinistisches Gehabe zu schämen, und warfen ihre Waffen fort, junge Frauen zogen in Scharen zu den Vorlesungen, der geistige Butler-Sprengstoff drang auch in die Familien ein, während Trainingszentren für Selbstmordattentäter Konkurs anmelden mussten. „Unsere Jugend wird von einer US-Demagogin verführt!“ eiferten Hamas-Funktionäre im Radio. Doch da war schon alles zu spät. Der Aufkleber „Wir sind aufgewacht!“, versehen mit einem winzigen, stilisierten Butler-Porträt, klebte auf jedem Türpfosten in Gaza und der Westbank, die junge Generation der Palästinenser wollte Party statt Patronen, Lektüre statt Leichen. Rasch ergriff das Fieber die Nachbarländer, insbesondere den Iran; Regime fielen lautlos, mangels Nachwuchs. Tel Aviv öffnete seine Lesesäle für Erkenntnishungrige ringsumher, die Bibliotheken des Westens übertrugen enorme Bestände ins Arabische und digitalisierten sie für die neue Leserschaft im Nahen und Mittleren Osten.

Verzweifelt sehen sich nun die letzten antisemitischen Israelfeinde nach einem neuen Objekt um, das sie zur Gefahrenquelle für den Weltfrieden deklarieren können. Israel passt schlicht nicht mehr. Die phänomenale Philosophin der Gaza-University indes gilt als heiße Kandidatin für den Friedensnobelpreis.

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