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Kultur: Glotzt nicht so romantisch!

Eine Londoner Ausstellung beleuchtet den Kunst-Austausch mit Frankreich

Das Jahr 1815 sah einen der größten Siege, die Großbritannien je errang. Sein Name: Waterloo. Mit dem Sieg über den französischen Empereur und der anschließenden Restauration, der – modifizierten und in gewisser Weise modernisierten – Wiederherstellung der alten Ordnung entfiel die Feindschaft zwischen Briten und Franzosen, und ein reger kultureller und touristischer Austausch setzte ein.

Von den beiden Jahrzehnten zwischen 1815 und 1837, der Thronbesteigung Königin Victorias als dem Beginn einer eigenen Epoche zumindest auf der Insel, ist hierzulande in künstlerischerHinsicht wenig bekannt. Es ist die Zeit der hohen Romantik, wie sie in England genannt wird; eine Strömung, die die kulturellen Eliten beider Länder teilten und zu deren Eigenheiten ihre Supranationalität gehört. Beide Länder begeisterten sich für die Dichtung Lord Byrons und über ihn für den (mehr erträumten als tatsächlichen) Freiheitskampf der Griechen gegen die Türken, für alle schillernden Spielarten des Orientalischen, für die Abgründe der Natur wie die der menschlichen Seele. In der bildenden Kunst gab es einen regen Austausch: Théodore Géricaults Skandalbild „Das Floß der Medusa“ machte auch in London Sensation (1819), J.M.W.Turner antwortete auf das Sujet mit einer eigenen Darstellung; umgekehrt machten die englischen Maler auf dem Pariser Salon von 1824 Furore, dem „englischen Salon“, wo John Constable aus der Hand des Bourbonen-Königs Charles X. für seine Landschaft „Ansicht des Flusses Stour“ eine Goldmedaille erhielt.

Die ist gleich neben dem Bild zu sehen – in der Ausstellung „Von Constable bis Delacroix: Britische Kunst und die französische Romantik“, mit der die Tate Britain das delikate Kapitel der bilateralen Beziehungen beleuchtet. Deutsche Besucher betreten mit ihr Neuland. Kein deutsches Museum kann sich rühmen, die französische oder gar die englische Malerei dieser Zeit auch nur in ihren wichtigsten Vertretern darbieten zu können.

Es zeigt sich aus solcher Distanz aber auch, dass das Konzept der Ausstellung –Patrick Noon, damals Kurator am renommierten Yale Center for British Art, entwickelte es seit den frühen achtziger Jahren – sehr viel mit nationalem Konkurrenzdenken zu tun hat. Die Kunstgeschichte des frühen 19. Jahrhunderts muss denn doch nicht umgeschrieben werden; sie wird allenfalls um ein im Wortsinne höchst farbiges Kapitel bereichert. Denn die französische Romantik liebt die Farbe über alles; im alten Streit zwischen „Rubenisten“ und „Poussinisten“ ergreift sie die Partei der Farbe gegen die Linie, des Kolorits gegen die (Vor-)Zeichnung. In geringerem Maße gilt dies für die Engländer, die – wie stets – die gemäßigteren Charaktere abgeben, mit den Ausnahmen John Martins und natürlich des Jahrhundertgenies Turner.

Was das Pariser Publikum begeisterte, sind die pastoralen Landschaften Constables, die literarischen Illustrationen von Richard Parkes Bonington – etwa nach Goethe, der auf beiden Seiten des Kanals hoch im Kurs stand – oder die eleganten Portraits von Thomas Lawrence, dem Eugène Delacroix mit dem Bildnis des als englischer Dandy auftretenden Barons Schwiter von 1826 am nächsten kommt. Der französischen Seite blieb das Sensationelle vorbehalten, das Exotische und Skandalöse; vor allem aber die Entwicklung dessen, was Charles Baudelaire im Begriff des „Malers des modernen Lebens“ zum Programm erhob. Géricaults Bildnisserie der „Monomanie“, von deren fünf erhaltenen Gemälden zwei in der Tate Britain zu sehen sind, erheben um 1820 erstmals abseitige, kranke Charaktere zur Würde des Portraits und nehmen damit einen der zentralen Topoi des reifen 19. Jahrhunderts vorweg.

Indem sich die Londoner Ausstellung in einem ausgreifenden Kapitel auch der Landschaftsmalerei zu beiden Seiten des Channel annimmt, führt sie über die Romantik im engeren, literarisch geprägten Sinne hinaus. Tatsächlich bildeten Landschaften bei weitem die Mehrheit der in Paris gezeigten englischen Werke. Es ist aber der so gänzlich unspektakuläre Alltags-Naturalismus der Briten, der auf die französische Malerei wirkte. Er fand sein Pendant in den kleinformatigen Ansichten eines Théodore Rousseau, kam aber in Frankreich erst nach dem hier betrachteten Zeitraum zu voller Entfaltung.

„Die französische Affäre mit der britischen Kunst“ – wie eine parallel zur Ausstellung abgehaltene Tagung pointiert überschrieben war – fand spätestens mit der 48er Revolution hüben und dem Viktorianischen Zeitalter drüben ihr Ende. Was die ambitionierte Londoner Ausstellung zeigen will, ist eine Wechselbeziehung. Die aber war so eng schließlich doch nicht, sondern eher eine Parallele zweier Kunstauffassungen, die einander berührten und befruchteten, um sich in benign neglect wieder zu entfernen. Für den fremden Besucher allerdings bieten die Ausstellung und ihr opulenter Katalog eine faszinierende Sammlung schönster Malerei.

London, Tate Britain, Millbank, bis 11. Mai. Katalog 25 Pfund. – Infos: www.tate.org.uk

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