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Alles nur wegen Norbert. Sogar der träge Rottweiler des Seniorenheims hatte plötzlich wieder Lust auf die große, weite Welt.

© picture alliance / dpa

Glück im Kiez: Vier Pfoten für ein neues Leben

Norbert aus dem Norden Tempelhofs war ganz unten, nach Drogensucht und Knast. Aber draußen fand sich eines Tages auch für ihn ein Auskommen - als Hundeausführer und Rollstuhlschieber für die Alten im Kiez. Eine tröstliche Geschichte, aufgeschrieben

Norbert konnte schon immer gut mit Hunden umgehen. Bereits als Baby schenkte Norbert den Vierbeinern ein entzücktes Quietschen, wenn seine Mutter ihn auf der Straße aus dem Kinderwagen hob. Die Hunde merkten das und bellten fröhlich zurück. Geknurrt hat nie einer.

Geboren wurde Norbert im Norden von Tempelhof, viele Jahre bevor rappende Muttersöhnchen diesen Bezirk zum Ghetto stilisierten. Da er die Schule nur mit Ach und Krach hinter sich gebracht hatte, musste er froh sein, dass seine Mutter ihm eine Lehrstelle im Malerbetrieb eines Exfreunds vermittelte. Der Exfreund hieß Jürgen, und im Laufe des Vorstellungsgesprächs stellte sich heraus, dass er der leibliche Vater von Norbert war. Am nächsten Ersten konnte er anfangen.

Vom ersten Moment hasste der neue Lehrling seinen Beruf. Durch die Lackdämpfe bekam er Husten. Oder trockene, rissige Haut. Oder beides. Für das Malereigewerbe war Norbert einfach nicht geeignet. Also versuchte er schon bald, seine Arbeitstage durch konzentrierten Konsum von Alkohol und Joints so erträglich wie möglich zu gestalten. Sein Vater sah so lange wie möglich darüber hinweg, doch irgendwann musste jede von Norbert mit zittrigen Händen gestrichene Fläche durch einen Kollegen übermalt werden. Jürgen blieb nichts anderes übrig, als seinen Lehrling ohne Abschluss zu entlassen.

Für Norbert war das ein Grund, sich voll und ganz dem Bier zu widmen, und auch andere Substanzen auf Mohnbasis zu konsumieren. Bald wechselten selbst die Tempelhofer Hunde sicherheitshalber die Straßenseite, wenn er vorbeischlurfte. Seine neuen Freunde wurden junge Männer, über die rappende Muttersöhnchen des Bezirks gern ihre Texte schreiben.

Für Norbert hatten sie einen neuen Job, ganz ohne Ausbildungsvertrag. Er musste nur von Zeit zu Zeit auf einen Anruf warten. Die Leute, die ihm Anweisungen gaben, kannte er meistens nicht. Aber er ging dorthin, wohin sie ihn schickten. Holte eine Tasche ab, die dort herumlag, und brachte sie zu einem anderen Ort, wo er sie in eine Ecke legte. Dann ging er nach Hause. Dort kam wenige Tage später ein neutraler Umschlag mit ein paar Scheinen an. Norbert lebte nicht schlecht davon. An Bier war kein Mangel. Und auch nicht an Substanzen auf Mohnbasis.

Allerdings interessierten sich in dieser Zeit eher solche Hunde für Norbert, die ihre Hütten beim Zoll hatten. Oder bei der Polizei. Doch selbst diese Diensthunde blieben stets freundlich, wenn er mal wieder kontrolliert wurde. Sie bellten zwar, wenn sie den Inhalt seiner Tasche erschnüffelten, aber wenn Norbert verhaftet wurde, wedelten sie schon wieder mit dem Schwanz.

Irgendwann nach dem dritten klinischen Entzug und der zweiten Haftstrafe dämmerte es ihm, dass er sich vielleicht nach einem anderen Gelderwerb umsehen sollte. Für jemanden mit einem miesen Hauptschulabschluss war eine berufliche Umorientierung allerdings schwer. Immerhin fiel ihm wieder ein, dass er gut mit Hunden konnte. Er hatte von Menschen gehört, die als „Dog-Walker“ arbeiteten, also für wenige Euro die Hunde von Menschen ausführten, die dazu selbst nicht mehr in der Lage waren.

Norbert zog sein bestes Hemd an, fragte in der Nachbarschaft nach, und schon am nächsten Tag brach er zu seiner ersten Runde durch die Hasenheide auf. An zwei Leinen führte er einen Pudel, einen Mops, einen Dackel und zwei Dalmatiner spazieren. Schließlich wollte er mindestens so viel verdienen wie als Bote für Taschen. Leider verstanden sich die beiden Dalmatiner nicht. Einer von ihnen riss sich los, nachdem er vom anderen gebissen wurde. Norbert brauchte einen ganzen Tag, ihn wiederzufinden. Einen weiteren Tag verbrachte er am Krankenhausbett des betagten Frauchens, die vor lauter Angst um ihren Hund einen leichten Herzanfall bekommen hatte. Am Abend setzte er sich zum Nachdenken in eine Eckkneipe und kam zu dem Schluss, dass er für Botendienste, Hundebetreuung oder andere selbstständige Tätigkeiten einfach nicht geschaffen war. Deswegen ging er nach Hause, ohne auch nur ein zweites Bier getrunken zu haben.

Am nächsten Morgen rief er seinen Bewährungshelfer an. Tatsächlich hatte der Mann eine Idee. Er vermittelte Norbert als Hilfskraft an ein privates Tempelhofer Altenstift, in das die dortigen Rapper ihre geliebten Mütter niemals schicken würden. Da die Belegschaft dort chronisch überarbeitet und unterfinanziert war, sah der Personalchef großzügig über die Vorstrafen und sonstigen Lücken in Norberts Lebenslauf hinweg. Schon am nächsten Monatsersten konnte der seine Tätigkeit beginnen. Die bestand im Wesentlichen darin, morgens einen gehbehinderten Bewohner des Stifts in seinem Rollstuhl abzuholen und ihn für eine bis zwei Stunden durch die Gegend zu schieben. Um gleich danach mit dem nächsten eine Runde zu drehen.

In den ersten Wochen bekam die neue, mehrfach vorbestrafte Pflegehilfskraft immer einen Praktikanten an die Seite gestellt, der kontrollierte, dass Norbert seine Schutzbefohlenen nicht einfach in den Straßengraben legte, um den Rollstuhl gegen Substanzen auf Mohnbasis zu tauschen. Doch stellte sich nach wenigen Tagen heraus, dass die Patienten – zumeist waren es alte Damen – sich mit Norbert allein am wohlsten fühlten. Den Praktikanten ignorierten sie einfach oder schickten ihn Schokoriegel oder Zigaretten holen. Schon eine Woche nach Dienstantritt schob Norbert die Damen ohne Begleitung durch Tempelhof.

Damit es netter wurde, nahm er bald noch den Therapiehund des Altenstifts mit. Der alte Rottweiler lag meistens nur noch träge auf den Fluren herum und langweilte sich. Aber an einen der Griffe des Rollstuhls ließ er sich gern binden. Seitdem sieht man Norbert täglich durch Tempelhof gehen. Vor sich eine alte, lachende Dame, neben sich einen alten, fröhlich hechelnden Rottweiler, und im Mundwinkel eine frisch angezündete Zigarette. Demnächst will das Altenheim beim Bezirksamt eine feste Stelle für ihn beantragen.

Knud Kohr

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