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Kultur: Go, Golem, go

Es gibt Momente, da hätte Alexander Paeffgen nichts dagegen, auch einen Golem zu besitzen. Den willigen Helfer, der im Namen des Leiters der "Neuen Opernbühne Berlin" durch die Stadt zieht, Lobbyarbeit bei den Politikern macht, Sponsoren akquiriert, ungewöhnliche Spielstätten entdeckt und abends auch noch Förderanträge für die Kulturverwaltung schreibt.

Es gibt Momente, da hätte Alexander Paeffgen nichts dagegen, auch einen Golem zu besitzen. Den willigen Helfer, der im Namen des Leiters der "Neuen Opernbühne Berlin" durch die Stadt zieht, Lobbyarbeit bei den Politikern macht, Sponsoren akquiriert, ungewöhnliche Spielstätten entdeckt und abends auch noch Förderanträge für die Kulturverwaltung schreibt. Diese nervenaufreibenden Tätigkeiten nämlich nehmen im Künstlerleben eines Off-Opernmachers den größten Raum ein. Kunst zu machen, wie jetzt John Caskens 1989 uraufgeführte "Golem"-Oper, die am Sonnabend in der Kreuzberger Cuvrystraße Premiere hat, kann einem da schon fast als Luxus vorkommen. "Wer sich entscheidet, in der freien Szene zu arbeiten, darf sich nicht zu schade sein, nach der Probe auch noch den Bühnenboden aufzuwischen", erzählt Sabine Bayerl, die als Dramaturgin bei der Neuen Opernbühne arbeitet - immer, wenn sie sich mit Nebenjobs wieder genug Geld verdient hat. Seit 1990 hat ein harter Kern um den Regisseur und Opernbühnen-Gründer Alexander Paeffgen zwölf Produktionen auf Berliner Bühnen gestemmt, stets unter schonungsloser Selbstausbeutung aller Beteiligten.

Dass die Aufmerksamkeit der Presse sich trotzdem fast immer auf die großen Opernhäuser richtet, verbittert die Macher der freien Musiktheaterszene. Zumindest für die Leser der überregionalen Blätter entsteht so das Bild von einer Möchtegern-Opernhauptstadt Berlin, in der hoffnunglos verkrustete Großbetriebe das ewig gleiche Kernrepertoire wiederkäuen. Dass im Off derweil viel mutiger, innovativer gespielt und gesungen wird, geht viel zu oft im Lamento über die teuren Operntanker unter. Dabei legt beispielsweise die älteste Berliner Off-Truppe, die Neuköllner Oper, eine Premierenfrequenz vor, mit der höchstens das Opernhaus Zürich mithalten kann. Ebenfalls ein Traditionsunternehmen ist die Berliner Kammeroper, die seit 20 Jahren zumeist im Hebbel-Theater Abseitiges in Stadttheaterqualität präsentiert. Ganz innovativ gibt sich die "Zeitgenösssische Oper", die durch intensive Medienarbeit und verrückte Traumspiele wie den Neubau eines "Opernhauses des 21. Jahrhunderts" Aufmerksamkeit generiert - und im jüngsten Off-Theater-Gutachten mit einer vierjährigen Konzeptförderung belohnt wurde. Neben der Neuköllner Oper hat sich in der Karl-Marx-Straße mit dem Saalbau Neukölln eine weitere Musiktheater-Adresse etabliert: Hier zeigen das Inboccallupo-Ensemble oder das Junge Ensemble ihre Arbeiten. Eine klaffende Marktlücke schließlich schloss Ende Juli "Adiós, Julián" in der Kulturbrauerei: Zum Gaudium der Zuschauer ging endlich auch in Berlin einmal eine Zarzuela über die Bühne, die Spielart der Operette, von Marina Bollain gewitzt vom Machostück zur Frauenpowerparabel umgedeutet.

In der Kulturbrauerei fanden bislang auch die wichtigsten Produktionen der Neuen Opernbühne statt, die Berliner Erstaufführung von Martin y Solers "Cosa Rara", das portugiesische Rokoko-Vergnügen "Spinalba" oder auch Thea Musgraves "Voice of Ariadne". Für die mythische Atmosphäre des "Golem" aber suchten die Macher einen Ort, an dem die Zuschauer einen fast körperlichen Kontakt zu den Akteuren haben - und fanden ihn in der legendären Probebühne Cuvrystraße, wo einst die erste Glanzzeit der Schaubühne begonnen hatte. Caskens Vertonung der Legende beschäftigt Paeffgen schon seit ein paar Jahren. Mit seiner Inszenierung will er dem Subventionsvergabe-Beirat und auch der Konkurrenz noch einmal zeigen, wo die Axt hängt. Dieses Requisit nämlich wandert von Hand zu Hand in dem zeitlosen, ortlosen Raum voller rätselhafter Symbole, den Benita Roth erfunden hat. In einer Art archaischem Realismus erzäht Paeffgen die Caskens Geschichte vom Golem, der kein Monster ist, sondern eine sensible Kreatur, die menschliche Gefühle entwickelt und darum unkontrollierbar für seinen Schöpfer wird.

Musikalisch knüpft Casken durchaus an seinen Landsmann Benjamin Britten an:Nicht nur die Besetzung des Orchesters mit einem Dutzend Musiker erinnert an Kammeropern wie "Turn of the Screw", auch Caskens komplexe, mit vielerlei Motivverflechtungen arbeitende Klangsprache denkt Brittens Ästhetik konsequent weiter.

Diesmal müssen die Opernbühnen-Leute mit einem besonders knappen Etat zurechtkommen, denn derzeit bekommen sie überhaupt keine Unterstützung vom Senat. Wäre da nicht das lukrative Gastspiel ihrer vorletzten Inszenierung, Händels "Flavio", im Januar auf Gran Canaria gewesen, der Vorhang wäre unten geblieben. Dank der Devisen aber reichte es doch noch für eine Herbst-Premiere. Die Idee, mit Hilfe eines Golems alle seine Probleme lösen zu können, erweist sich in der Oper übrigens als lebensgefährlich. Da wird Alexander Paeffgen den nächsten Antrag auf Projektförderung bei der Kulturverwaltung wohl wieder selber schreiben müssen.

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