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Hamburg von unten. Margarita Barskayas „Zerrissene Stiefel“ von 1933 erzählt von deutschen Proletarierkindern.

© GoEast-Festival

„GoEast“-Filmfestival: Die Partisaninnen

Frauenbewegt im Sozialismus: Das Wiesbadener Festival „GoEast“ diskutiert unter dem Titel „Feministisch wider Willen“ über und mit osteuropäischen Filmemacherinnen.

Der Feminismus kommt nicht nur nach Ivanka Trumps Bekenntnis auf dem W20-Frauengipfel gerade zu neuen zweifelhaften Ehren. Nach Jahrzehnten aggressiver Diffamierung könnte das der Todesstoß durch Umarmung sein. Besonders verfemt war und ist das F-Wort in den Regionen der Erde, die früher im sozialistischen Machtbereich lagen und Frauen vorgeblich Gleichberechtigung und realiter gewisse soziale Besserstellungen gewährten, während Hierarchien und innerfamiliäre Arbeitsteilung meist weiter nach patriarchalen Mustern funktionierten.

Selbstverständlich fanden sich ähnliche Abgrenzungen auch bei den Filmregisseurinnen der Region, die sich nach Öffnung des Eisernen Vorhangs oft vehement gegen die Zuschreibungen wehrten, mit denen sie von westlichen Wissenschaftlerinnen und Kolleginnen ungefragt in die feministische Streitkraft eingemeindet wurden. Verständlich von beiden Seiten: Denn sie hatten ja in ihren Filmen oft traditionalistische Lebensentwürfe und weibliche Mehrfachbelastungen als problematisch beschrieben oder subversiv aufgemischt – bekanntestes Beispiel ist Vera Chytilovás im Westen zum feministischen Kultfilm avanciertes „Tausendschönchen“.

Statement gegen Männertümeleien

Jetzt war das weibliche Filmschaffen zwischen DDR, Sibirien und Balkan Sujet eines Symposiums beim Wiesbadener GoEast-Festival, das im Titel „Feministisch wider Willen – Filmemacherinnen aus Mittel- und Osteuropa“ programmatisch die oft geführten Auseinandersetzungen aufgriff. In ihrem Veranstaltungskonzept knüpfte die Berliner Filmwissenschaftlerin und Slawistin Barbara Wurm außerdem bewusst an die Retrospektive „Aufbruch der Autorinnen“ im Zeughaus-Kino 2015 an, die erstmalig gezielt osteuropäische Filmemacherinnen in die Analyse der 1960er-Jahre einbezogen hatte. Vor zwei Jahren war in Polen gerade die PiS-Partei mit einem Erdrutsch-Sieg an die Macht gekommen. Jetzt hat sich die politische Lage noch einmal dramatisch verhärtet. Und ähnlich wie Agnieszka Hollands lange vor der PiS-Herrschaft konzipierter oft öko-feministisch gelesener Film „Pokot“ durch die politische Entwicklung in Polen mit neuen aktivistischen Zuschreibungen in die politische Debatte gerät, hat die Zuspitzung der Weltlage auch das Wiesbadener Symposium unerwartet heftig als Statement gegen die neuen Männertümeleien aufgeladen: „Affirmative Action Now!“ ruft es aus Wurms lesenswerter Einführung im Katalog.

Auch Holland, die mit Gold-Bären-Gewinnerin Ildikó Enyedi die noch im Sozialismus geschulte Generation osteuropäischer Regisseurinnen so erfolgreich auf der Berlinale vertreten hatte, war in Wiesbaden zu Gast und der ungarischen Kollegin Márta Mészaros eine Retro gewidmet, die Mitte Mai nach Berlin weiterzieht. Zu entdecken waren aber auch die vergessenen, oft von extrem widersprüchlichen und harten Schicksalen geprägten Gestalten weiblicher Filmgeschichte: Margarita Barskaya etwa, die mit ihrem im proletarischen Hamburg angesiedelten Kinderfilm „Zerrissene Stiefel“ 1933 ein sehr erfolgreiches frühes Spiegelbild heutiger Drittwelt-Elends-Dramen realisierte und sich nach kurzer Karriere mit nur 36 Jahren das Leben nahm. Oder die bulgarische Ex-Partisanin Binka Zhelyazkova, die mit ihren kritischen Spielfilmen intern gegen tausend Widerstände ankämpfte und international Festivalerfolge feierte.

Zu viele Filme sind für die Forschung nicht verfügbar

Auffällig, dass nach der Wende viele der weiblichen Stimmen gänzlich untergingen. Auffällig auch, dass viele aus klassischen Filmfrauensparten wie Kostüm oder Schauspiel in die Regie „aufstiegen“, dann aber nur Wochenschauen drehen durften. Doch es gab auch – die noch erstaunlich unerforschte – Vera Stroyeva, die in der Sowjetunion 50 Jahre lang erfolgreich mit monumentalen Revolutionsepen wie „Wir, das russische Volk“ (1965) und Opernfilmen agierte.

Wurms These, dass sich in Stroyevas Arbeiten „entlang einer (…) formalen Konformität vorsichtig ein weiblicher Blick“ herausschäle, blieb nicht unwidersprochen und konnte auch in der vorbildlich mit vielen 35-mm-Kopien bestückten Retrospektive zum Symposium nur punktuell überprüft werden. Überhaupt sind derzeit zu viele Filme für die Forschung nicht oder nur schwer verfügbar. Anders ist das bei den ganz jungen Filmaktivistinnen wie der Kroatin Mima Simi oder Masha Godovannaja aus Russland, die sich mit ihren filmischen Interventionen im Netz nun auch explizit als Feministinnen begreifen. Überhaupt, der Feminismus. Er wurde diskutiert, destruierte sich aber – wie viele Begriffe – schnell im Blick auf die konkreten Arbeiten zu produktiveren Fragen und Aufgaben. So lässt nicht nur die lebendige Abschlussdebatte hoffen, dass die Wiesbadener Tage Grundlage für neue Netzwerke sein werden.

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