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Kultur: Goldene Bärin

Festival-Halbzeit: Diese Berlinale gehört den Frauen

Von Jan SchulzOjala

In dem viertelstündigen Making-Of-Video von „Monster“ gibt es eine Szene, die packt einen fast so wie der Film. Die letzte Tötungsszene ist gerade abgedreht, da läuft Regisseurin Patty Jenkins ins Bild, und für ein paar lange Augenblicke sieht man, wie sie Charlize Theron umarmt. Nein, es ist eher ein Hin-und Herschaukeln. Ein Auspendeln der Spannung. Ein stiller Tanz. Und als sich das Monster Charlize zum Dank an andere wendet, fängt die Kamera Jenkins’ Blick hinüber zu ihrer Heldin: eine Art Brennen ist darin vor Schmerz und Glück zugleich.

Die Berlinale-Pressekonferenz zu „Monster“ am Sonntagabend ging fast anderthalb Jahre nach dieser Szene über die Bühne. Und doch ist dort dieselbe Power zu spüren, mit der die Regisseurin ihr Team zur äußersten Verausgabung getrieben hat. Patty Jenkins ist eine Wucht, der Film ist eine Wucht, von der ersten bis zur letzten Sekunde, und die Oscar-Konkurrentinnen von Charlize Theron bleiben am 29. Februar am besten zu Haus. Dieser Film über eine Prostituierte, die Rache nimmt für die lebenslange Demütigung durch Männer, hat eingeschlagen. Auf der Berlinale und darüber hinaus. Dieses Festival gehört den Frauen. Und vielleicht plötzlich auch – ganz anders als vorher – das Kino.

Sie sind Stars, vor und hinter der Kamera. Aber nicht mehr, wie die Männer sie lieben: vor allem durch Schönheit. Sondern durch „Talent, Einsatz, Präsenz“, wie es Patty Jenkins von ihren Leuten fordert. Oder auch durch Genauigkeit, Sensibilität, Intelligenz, wie sie etwa Annette K. Olesens „Forbrydelser“, schon der zweite starke Frauen-Film im Wettbewerb, für sich beanspruchen kann. Wenn es etwas gibt, was zur Halbzeit dieser Berlinale alle frappieren muss – ohne schon gleich das Favoritenspiel zu spielen –, dann diese großartige Performance der Frauen.

Damit ist nicht die Leistung gemeint, sich für eine Rolle 15 Kilo anzufuttern und sich bis zur Monstrosität zu verhässlichen, wie Charlize Theron das tut. Oder sich im Dienste der merkwürdig postarchaischen italienischen Macho-Fantasie „Primo Amore“, gestern im Wettbewerb, 15 Kilo abzuhungern wie Michela Cescon. Das sind fraglos außergewöhnliche Anstrengungen im Dienst einer Rolle, aber nur zeitweilige – wofür die Festivalbegegnungen mit den Schauspielerinnen den beruhigenden Realitäts-Gegencheck liefern. Nein, es geht um einen neuen Zugriff aufs Kino – und auf alle seine Sparten. Mit einem neuen und imponierenden Selbstbewusstsein.

Das Männerkino auf dieser Berlinale lädt zu diesem Befund auf seine Weise ein. Denn es befindet sich – zumindest im Wettbewerb – überwiegend in beklagenswertem Zustand. Seine Frauenbilder zumal sind allesamt aus der Mottenkiste: ob Projektionsfiguren neurotisch versteinter Steuerberater („Confidences trop intimes“), ins harte Journalistenleben versprengte Heulsusen („Country of My Skull“), schön traurige Bar-Sängerinnen, ebenso lächelnd wie leidend zum ausschließlichen Vergnügen der Männer erschaffen („Beautiful Country“) oder eben schüchterne Opfer glatzköpfiger, schlechtzahniger Partnerschaftsdespoten wie in „Primo Amore“. In „Monster“ dagegen wird eine Frau zur Täterin. Nicht dass ihre Mittel, die Männer beiseite zu räumen, nun bittschön gleich künftige Geschlechterverhältnisse modellhaft prägen mögen: Aber die Frauen müssen Männer wohl zur Seite oder in die zweite Reihe stellen, um solche Filme zu machen. Auch das zeigt „Monster“.

Die Jury-Vorsitzende ist in diesem Jahr Frances McDormand. Noch so eine Frau, der man ansieht, dass sie sich durchzusetzen versteht. Mit drei weiteren klugen Frauen bildet sie die Mehrheit der siebenköpfigen Jury. Bei deren Vorstellung am Eröffnungsabend übrigens waren es die Männer, die die Blumen bekamen. Wir Männer als hübsches Beiwerk. Tja, komisches Gefühl: auf dieser Berlinale aber gar nicht so verkehrt.

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