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Kultur: Goldener Eiertanz ums Fußballfeld - Ein Kompromiss scheint gefunden - und schon wieder gefährdet

Der FC Bayern fordert einen zeitgemäße Modernisierung. Architekt Günter Behnisch fürchtet eine Verhunzung seines Werks.

Der FC Bayern fordert einen zeitgemäße Modernisierung. Architekt Günter Behnisch fürchtet eine Verhunzung seines Werks.Lisa Diedrich

Es ist die reinste Völkerwanderung am Sonnabend Nachmittag gegen vier in Schwabing. Die Bahnsteige der U-Bahnlinie 3 quellen über vor trillernden Fans, begierig darauf, ins Grüne zu kommen, hinüber zu Münchens bekanntestem Bauwerk der neueren Zeit - dem Olympiastadion.

Bekannt ist eigentlich nur das Dach: ein Traum an Schwerelosigkeit, errichtet aus einer transparenten Haut, die von schmalen Stützen emporgehoben und von kaum sichtbaren Seilen verspannt wird. Diese Zeltlandschaft bedeckt die Haupttribüne des Stadions. Das Spielfeld und die Gegentribüne schmiegen sich ins Gelände, gehören gewissermaßen schon zu der weich modellierten Landschaft des Olympiaparks, geschaffen für die Olympischen Spiele 1972.

Eine Völkerwanderung, um ein Bauwerk aus den coolen Siebzigern zu bestaunen? Nein, die Münchner sind keine besseren Architekturtouristen. Sie haben bloß das Glück, dass in ihrem Architekturdenkmal immer wieder sonnabends "die Bayern" und "die Löwen" gegen andere Oberligisten kicken. Und dass deshalb bis zu 63 000 Anhänger auf eine Inkunabel der Architekturgeschichte zusteuern. Sie ist so populär - viel populärer geht es gar nicht. Und genau an diesem Punkt wendet sich das Glück ins Unheil. Seit geraumer Zeit nämlich prallen in München die Interessen von Fußball und Architektur massiv aufeinander.

Begonnen hatte alles Mitte der neunziger Jahre, als der FC Bayern München lautstark den Umbau seines Heimatrasens mit einem zweiten Dach und einer neuen Gegentribüne forderte. Das Stadion entspräche nicht mehr den Ansprüchen heutiger Zeit, was Komfort für Spieler, Publikum, VIPs und vor allem wohl Funk und Fernsehen angeht. Und da der FC Bayern München viel mehr ist als "bloß" ein Verein, hat sein Wort Gewicht. Die - wechselnden - Umbaupläne riefen unverzüglich die Architekten und Denkmalschützer auf den Plan, allen voran den Stuttgarter Architekten Günter Behnisch, dessen Büro als Urheber für die Olympiabauten zeichnet. Sie fürchteten, das Monument der Siebziger könne verhunzt werden zu einer schnöden Schüssel mit steilen Tribünen, reihenweise Logen, bunten Boutiquen und irgendeinem regendichten Deckel, um der Interessenkoalition aus Großclub und Vermarktern zu dienen, statt den Geist der deutschen Nachkriegs-Demokratie auszustrahlen, für die es einst aus dem Kriegsschutt des Münchner Nordens gehoben worden war. Tatsächlich beeinflusste schon damals die neue Farbfernsehindustrie das Aussehen des 34 500 Quadratmeter messenden Zeltdaches über Stadion, Olympia- und Schwimmhalle. War es ursprünglich lichtundurchlässig geplant, so setzten die Fernsehsender durch, transparente Acrylglasplatten zu verwenden, um möglichst unverschattete Spiel- und Sportflächen übertragen zu können. Es ist sicher nicht vermessen zu behaupten, dass dieser erste Kompromiss der Architektur des Stadions nicht geschadet hat. Schließlich sind auch Architekten manchmal Diven, die immer erst "nein" rufen, wenn es darum geht, noch einmal Hand an ihr Werk zu legen.

In diesem Zirkus der Eitelkeiten sitzen die Vertreter der Stadt München, allen voran Oberbürgermeister Christian Ude, relativ unkomfortabel. Sie wollen ihr Wahrzeichen einerseits und wünschen andererseits, es möge der Stadt auch in Zukunft als attraktive Sportstätte und Fußballhochburg - und damit auch als Geldquell - erhalten bleiben. Sie stimmten deshalb von Anfang an einem Ausbau nach den Wünschen des FC Bayern München und anderen Nutzern zu. Kaum jemand ahnte, dass diese beiden Positionen sich so schwer würden vereinen lassen, zumal unter dem Termindruck der Fußball-Weltmeisterschaft 2006, um die sich Deutschland beworben hat.

Im Rückblick erscheint die Chronik des Eiertanzes ziemlich beliebig. Gestritten wurde ums Geld - 140 Millionen Mark für den WM-gerechten Ausbau, der den Vereinen nicht komfortabel genug ist, 400 Millionen für die vereinsgerechte Variante, die weder Stadt noch Vereine bezahlen wollen - und immer mal wieder auch um den Standort. Da lässt Bayern-Präsident Franz Beckenbauer verlauten, er wolle lieber ein eigenes Stadion bauen, um kurz darauf doch "einen Rückpass in die alte Arena" zu spielen. Da bejubelt "Bayern"-Manager Uli Hoeneß den geplanten Umbau als "schönste Arena der Welt", um anderentags zu höhnen, aus dem Ding werde niemals ein taugliches Fußballstadion. Es kommen "kleine" und "große" Umbau-Lösungen auf den Tisch, "WM-gerechte" und "Ost-Seiten"-Modelle, "abgespeckte Behnisch-Entwürfe", Varianten mit und ohne Leichtathletik-Einrichtungen, und immer mal wieder auch Neubau-Ideen "nach Dortmunder Vorbild". Im April 1999 tagt ein erster "Stadion-Gipfel" mit OB Ude, Bayern-Chef Beckenbauer und TSV 1860 ("Löwen")-Chef Wildmoser und beschließt plötzlich den Neubau einer Multifunktionsarena in der Nähe der Neuen Messe im Stadtteil Riem. Finanzier: die Schörghuber-Unternehmensgruppe. Im November 1999 sagen Gutachter dem Münchner Osten den Verkehrskollaps voraus - und flugs ist die Super-Arena wieder vom Tisch, die unzähligen Varianten aber wieder drauf. Und dazu ein Satz neue: ein Entwurf von Behnisch mit überdachter Gegentribüne (mit dem sich der DFB im August 1999 bei der FIFA um die Weltmeisterschaft bewarb), ein Vorschlag von Architekt und Lokalmatador Stephan Braunfels für ein neues Stadion an der Stelle des alten Olympia-Radstadions (das dummerweise vor kurzem erst für 74 Millionen Mark in ein Unterhaltungszentrum umgenutzt wurde), ein Umbau-Plan des Münchner Planungsriesen Obermeyer für eine komplett neue, sehr tiefe Schüssel unter dem alten Zeltdach (maßgeschneidert auf die Vereinsforderungen). Zum guten Schluss pöbelte sich Kaiser Franz noch einmal in die Schlagzeilen, als er Oberbürgermeister Ude empfahl, das Stadion einfach wegzusprengen - wofür sich auf der Welt doch sicher ein Terrorist finden ließe, der "für uns die Aufgabe erledigen" könne.

So gesagt auf dem "zweiten Stadiongipfel" am vergangenen 24. Januar, der erneut Münchner Spitzenpolitiker mit den Präsidenten der beiden großen Vereine zusammenbrachte. Angesichts all der spektakulären Lattenschüsse, weichen Flanken und fiesen Fouls darf man den "Münchner Stadionkompromiss" ("SZ") wohl als Durchbruch bezeichnen. Das Olympiastadion wird umgebaut, punktum.

Drei Leitsätze fassen zusammen, was nun Grundlage aller weiteren Planung zu sein hat: Das Zeltdach bleibt, die Tribüne darunter darf nur leicht verändert werden. Das Spielfeld wird abgesenkt, die Leichtathletik-Anlagen kommen weg. Die Gegengerade und die beiden Kurven werden abgerissen, steiler wieder errichtet und mit einem zweiten Dach überdeckt. Soweit hoffentlich der Konsens. Im Aus wird freilich weitergedribbelt. So übt das alte Olympia-Team (neben Günter Behnisch die Architekten Fritz Auer, Winfried Büxel, Erhardt Tränkner und Carlo Weber) offensichtlich ein Revival und arbeitet an urheberrechtlich unbedenklichen Umbauplänen, die bis zum Frühsommer vorliegen sollen. Natürlich, die Zeit drängt, im Sommer wird über den Austragungsort der WM entschieden.

Gerade deshalb sollte man sich jetzt einen Seitenblick gönnen, weg von vergleichbaren Stadien, hin zu vergleichbaren Wahrzeichen der Architekturgeschichte. Schließlich sind Stadien ebenso Orte der Kultur wie Theater oder Museen. Da lassen sich auf Anhieb zwei Beispiele von soeben wiedereröffneten Bauten anführen, bei denen Modernisieren und Bewahren eines Denkmals geglückt sind. Die Liceu-Theater in Barcelona, ein Bau von 1846, brannte 1994 ab und wurde im Kern originalgetreu wiedererrichtet, dabei technisch aber völlig überholt und um die Hälfte seiner Fläche mit zeitgenössischer Architektur erweitert (Architekt: Ignasi de Solà-Morales). Als weniger klassische "Kulturmaschine" bietet das Pariser Centre Pompidou vielleicht noch mehr Parallelen zu dem Münchner Olympiabauwerk. Ebenfalls aus den Siebzigern, ebenfalls entstanden unter dem Motto von Aufbruch und Neuerung, ebenfalls abgenutzt durch Besuchermassen, war 1997 die Renovierung überfällig. Auch hier durfte einer der Schöpfer, Architekt Renzo Piano aus der ehemaligen Arbeitsgemeinschaft Piano und Rogers, wieder ans Werk - jedoch im Team mit jüngeren Kollegen, die Teilbereiche der "Maschine" wie das Restaurant, das Kunstmuseum, die grafischen Leitsysteme neu organisierten.

Solch ein frischer Wind täte auch im Olympiastadion gut, nun, da der Weg frei ist für schlichtere Lösungen zwischen der kommerzkonformen Super-Arena und dem geschützten Gesamtkunstwerk. Die Münchner warten auf ein faires Spiel.

Lisa Diedrich

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