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Kultur: Goldregen

Peter Mussbachs Antritt als Intendant der Berliner Staatsoper

Auf dem Bebelplatz werden Campingstühle aufgeklappt, Weinflaschen in Position gerückt. Die Blicke richten sich auf eine Großbildwand. Das Benefizkonzert für die Semperoper ist im Fernsehen zu sehen. Der neue Intendant Peter Mussbach ist in der Staatsoper angekommen, alle sollen es erleben. „Uns zerfällt das Haus unter den Füßen, wir können kaum noch spielen. Dresden aber kann gar nicht spielen“, sagt er. Und spannt in 30 Sekunden Walter Benjamin und Karl Valentin zusammen, in eine Reflexion über Hoffnungslosigkeit und Sprachwitz.

Dieser Mann braucht nicht die Flut, um sein Thema zu finden. Für das ästhetische Ausleuchten von Verfallsprozessen bietet ihm Berlins am höchsten subventioniertes Musiktheater den idealen Ort. Das Knacken im vergoldeten Gebälk beweist hier, dass man noch lebt. Als inszeniere Mussbach, der Regisseur und Psychiater, für seinen Auftakt die Umdeutung eines berühmten Hesse-Zitats: Jedem Anfang wohnt ein Schrecken inne. Das Konzert bestreiten Dirigenten, die das Profil der Staatsoper in den nächsten Jahren prägen sollen. Demonstrativer Ernst, gewaltige Umbaupausen. Einziger Lichtblick beim Warten: Wie die Mitglieder des West-Eastern-Divan Orchestra, junge Musiker aus Israel und arabischen Ländern, am Vorabend ihres Konzerts unter Daniel Barenboim im Publikum miteinander scherzen. Barenboim dirigiert die Uraufführung von Isabel Mundrys „Gefaltetem Augenblick“: eine Antifanfare, deren Kern auseinander strebt. Drohende Trompeten über flüchtigen Strukturen, ein Bild der Verheerung.

Michael Gielen tritt mit Strauss’ „Till Eulenspiegel“ ans Pult der Staatskapelle, deren Streicher arg unter der Akustik leiden. So klingt der herb-sportive Zugriff des Dirigenten auf das Narrenschicksal noch mitleidloser. Kent Nagano ist der apokalyptischste Beitrag anvertraut, Karl Amadeus Hartmanns „Gesangsszene". Der Text von Jean Giraudoux beschreibt den Reichtum und Fortschritt der Menschheit. „Und da, mit einem Male, erhebt sich binnen ein paar Stunden ein Übel und befällt den gesündesten und glücklichsten aller Körper.“ Hartmanns der Resignation trotzende Texte bleiben unter Naganos Stabführung ungehört. Barenboim lässt das Finale von Beethovens Chorfantasie besonders kräftig schmettern, doch sein Tremolieren am Klavier bleibt leerer Schall.

Über den Bebelplatz kurvt bald darauf ein Lkw: Die Staatsoper steuert in ihr unbekannte Welten. An Bord Strawinskys „Mavra“, eine Opera-bouffe, die zeigt, wie riskant es ist, den Husar zur Köchin zu machen. Heroisch erklettert das kleine Ensemble den Musikcontainer. Charme liegt in der Luft. Dann überziehen Starpyrotechniker der französischen Groupe F das Haus mit feurig-roter Glut. So muss sich Wagner das Ende von Walhall vorgestellt haben. Mussbach denkt vielleicht biblischer: Eine Oper, die brennt und nicht verbrennt... Doch als gewaltige Feuerwalzen über den Platz der Bücherverbrennung ziehen, kippt die Inszenierung in abseitiges Pathos. Goldregen, Böllerschüsse. Momente kruder Schönheit, kaum billiger als die Ausstattung einer Premiere. Giraudoux schrieb: „Die Zuschauer sollen ihr Glück rasch auskosten; es wird nicht lange währen. Das Schauspiel, das dann folgt, wird vielleicht grausam sein!“ Lasst uns das letzte Geld aus dem Fenster werfen, es funkelt schön – und fällt so bedeutungsschwer zu Boden. Ulrich Amling

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