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Kultur: Gott ist ein DJ

Hans Nieswandt reist mit seinen Platten um die Welt

Spätestens Ende der Achtziger war aus dem Plattenaufleger der DJ als Künstler geworden. Es brauchte einige theoretische Anstrengungen, um das Neue zu ergründen: Da war eine Produktionsästhetik entstanden, die sich etwa an Foucaults Thesen zum Tod des Autors andocken ließ. Der DJ arbeitete mit Vorhandenem, seine Kunst war eine der Bricolage. Das Genie aber nicht totzukriegen: Westbam, Sven Väth oder DJ Hell reisen seit 15 Jahren durch die Welt, und ihr popstargleicher Ruf sorgt für volle Clubs und Hallen.

Hans Nieswandt ist ebenfalls DJ, allerdings weniger ein emphatischer als ein intellektueller. Deshalb lädt ihn das Goethe-Institut immer wieder zu Reisen an die entlegensten Orte der Welt ein, um dort elektronische Musik und ihr Handwerk vorzustellen. In seinem Buch „plus minus acht“ hatte er davon bereits erzählt, nun folgt mit „Disko Ramallah und andere merkwürdige Orte zum Plattenauflegen“ sein zweiter Reisebericht: „Das war zu meiner Spezialdisziplin geworden: die Darbietung deutscher, elektronischer Musik unter eigenartigen Umständen. Es war eine seltsame Arbeit, aber irgendjemand musste sie ja machen.“

Der heimliche Pate dieser Ortserkundungen ist Mark Twain mit seinen Reiseerzählungen „Die Arglosen im Ausland“. Auch Nieswandt erscheint einem immer wie ein Argloser, den es zu seinem eigenen Erstaunen in den Nahen Osten, nach St. Petersburg, in die Ukraine oder nach Rio verschlägt. Dort lässt er mit vermeintlich naivem Blick den Alltag auf sich wirken, und das zeitigt ganz wunderbar erkenntnisreiche und heitere Effekte.

Nebenbei werden Eigentümlichkeiten und Mentalitäten beschrieben. An Flughäfen trifft er auf Zollbeamte, die ratlos seine DJ-Kiste begutachten, es gibt abenteuerliche Fahrten durch die Wüste, verwirrende Workshops in Bethlehem und Orte, an denen nicht getanzt werden darf. Nieswandt erzählt als globaler Flaneur davon, was er auf dem Weg sieht und von Einheimischen aufschnappt. Und er tut das mit einer großen Nonchalance, die zunächst schlicht, schließlich aber äußerst welteröffnend wirkt: „Disko Ramallah“ ist ein großes Lesevergnügen, und zuweilen lernt man mehr als aus dem Politikteil einer Zeitung.

— Hans Nieswandt: Disko Ramallah und andere merkwürdige Orte zum Plattenauflegen. KiWi, Köln 2006. 223 S. 8,95 €.

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