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Grass-Bekenntnis: "Ein bisschen spät"

Das Bekenntnis des Schriftstellers Günter Grass zu seiner Mitgliedschaft in der Waffen-SS hat bei seinen Kollegen ein geteiltes Echo ausgelöst.

Berlin - Der Publizist Ralph Giordano sagte dem Sender WDR 2, der Nobelpreisträger habe sich mit seinem "politischen Irrtum" aus jungen Jahren auseinandergesetzt und sei jetzt an die Öffentlichkeit gegangen. Der Literaturkritiker Hellmuth Karasek sagte hingegen, die Tatsache, dass Grass mit 17 zur Waffen-SS gehört habe, sei zwar an sich eine Lappalie. Er sei später aber derjenige gewesen, "der die Moralkeule am häufigsten geschwungen hat".

Giordano sagte: "Grass hatte keine innere Verteidigungsmöglichkeit gegen das, was der Propaganda- und Agitationsapparat der Nationalsozialisten damals vollbracht hatte." Zu seinem jetzigen Bekenntnis sagte der Publizist: "Gut, Günter Grass, dass Sie das getan haben." Grass habe damit auch vor der "Verführbarkeit der Jugend" gewarnt. Der Historiker Arnulf Baring sagte dem Tagesspiegel, die "Selbstüberwindung" von Grass verdiene großen Respekt. "Aber man fragt sich doch beklommen, warum er sich nicht früher zur Wahrheit aufgerafft hat."

Der Schriftsteller Erich Loest sagte dem Tagesspiegel, die Äußerungen von Grass seien ohne Vorwurf hinzunehmen. "Grass sollte uns sagen, warum er erst jetzt darüber schreibt. Es hätte in der Vergangenheit viele Gelegenheiten gegeben, es zu sagen." Der Autor Dieter Wellershoff sagte dem "Kölner Stadt-Anzeiger" vom Samstag, das Bekenntnis solle nicht dazu benutzt werden, Grass moralisch abzuurteilen: "Man lebt in der Welt, in die man hinein geboren wird."

Alles in einem neuen Licht

Karasek sagte im NDR, Grass "hätte seine Biographie nicht verschweigen, und was noch schlimmer ist, korrigieren dürfen. Mit Blick auf den Nobelpreis sagte er, die dafür zuständige Akademie hätte ihn "nicht an jemanden verliehen, von dem bekannt war, dass er in seiner Jugend in der Waffen-SS war, und das lange verschwiegen hat". Grass habe den Nobelpreis wie kein anderer deutscher Autor verdient. "Aber auf einmal kommt alles in ein neues Licht." Der Schriftsteller Klaus Theweleit sagte dem Tagesspiegel, es handele sich um "die Reklameaktion eines Publicity-Süchtigen, der ein neues Buch geschrieben hat".

Der Autor Walter Kempowski merkte im Tagesspiegel an, das Eingeständnis des Literatur-Nobelpreisträgers komme "ein bisschen spät". Der Grass-Biograf Michael Jürgs sagte dem Blatt, er sei "persönlich enttäuscht" und sprach vom "Ende einer moralischen Instanz". Der Historiker Michael Wolffsohn erklärte, das Eingeständnis von Grass komme zu spät. "Durch sein beharrliches Schweigen wird Grass' moralisierendes, nicht sein fabulierendes Lebenswerk entwertet", schrieb Wolffsohn in einem Gastbeitrag für die "Netzeitung".

Grass: Als Siebzehnjähriger zur Waffen-SS

Grass hatte in einem Interview der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" vom Samstag berichtet, er habe sich mit fünfzehn Jahren freiwillig zur U-Boot-Truppe gemeldet, die aber niemanden mehr genommen habe. So sei er als Siebzehnjähriger aus dem Reichsarbeitsdienst nach Dresden zur Waffen-SS einberufen worden. Er habe in der zehnten SS-Panzerdivision "Frundsberg" gedient. Bislang hatte es in den Biographien des 1927 geborenen Schriftstellers geheißen, er sei 1944 als Flakhelfer eingezogen worden und habe dann als Soldat gedient.

Grass nimmt der "FAZ" zufolge auch in seinem Erinnerungsbuch "Beim Häuten der Zwiebel" dazu Stellung, das im September erscheint. "Mein Schweigen über all die Jahre zählt zu den Gründen, warum ich dieses Buch geschrieben habe. Das musste raus, endlich", sagte er dem Blatt. (tso/AFP)

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