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Außen Vielfalt, drinnen eher Monotonie: Unsere Gnocchi-Auswahl Foto: Georg Moritz

© Georg Moritz

Kultur: Gratwanderung zwischen fest und flaumig

Urgericht mit Symbolcharakter: Unsere Probierrunde kostete Kartoffelgnocchi aus dem Berliner Handel.

Alle Kulturen kennen Speisen, die man als „Urgerichte" bezeichnen könnte. Das gilt vor allen Dingen für ihre Machart, weniger für ihre Historie. Denn mit ihr erfüllen sie eine ähnliche Funktion wie eine mystische Darstellung, von der Hegel sagt, sie sei „Symbol der wesentlichsten allgemeinen Operationen der Natur und des Wechsels, den die Natur im Laufe eines Jahres erfährt". Wie eine besonders gelungene Illustration dieses Gedankens treten Gnocchi di patate auf. Die aus Italiens Norden stammenden Nocken aus Kartoffelteig sehen zum einen aus wie aus dem Natürlichen heraus gewachsene Kartoffeln en miniature. Zum anderen treten sie den Beweis an, dass ein von Menschenhand geformtes Erzeugnis aus ganz beschränkten Grundstoffen eine Delikatesse sein kann. Fragt sich nur, wo der Connaisseur sie im Alltag bekommt.

Um diese Frage zu beantworten, trat die monatliche Tafelrunde in der „Traube“ am Rande des Regierungsviertels zusammen, deren Charme auf dem Bekenntnis zur Provinz beruht. Küchenchef Christian Gau führte zunächst seine eigene Version vor: Die äußerst zurückhaltend mit Muskat und Quark aromatisierten, nur vorsichtig gesalzenen Kartoffelbällchen besaßen eine ideale Konsistenz zwischen fest und flaumig, in der winzige, stückige Anteile das Interesse des Gaumens wach hielten (darin ähneln sie übrigens den Gnocchi von „Mani di fata“, die jeden Mittwoch in der Vitrine des Feinkostgeschäfts in der Charlottenburger Leonhardtstrasse liegen). Hätte er das doch unterlassen!

Denn wer fertig abgepackte Ware an einem solchen Maßstab misst, wird naturgemäß enttäuscht. So von den „Mamma Lucia Gnocchi Klößchen aus Kartoffeln“ aus den Lidl-Filialen. Nach einem leichten Pappgeruch, der mit dem Dampf aufsteigt, gleichen die außen von einem schleimigen Film überzogenen, innen total homogenen Nocken einer Sache, die den Testern noch öfter begegnen sollte. „Thüringer Klöße im Kleinformat" nannte Gau sie und verwies darauf, dass Mamma Lucia leicht am Gaumen festklebt. Als noch kloßiger erwiesen sich „Gut & Günstig Gnocchi“, jedoch auch als weniger haftwillig. Diese preisgünstige Knetmasse aus Kartoffel, die wie fast alle Fertiggnocchi aus Kartoffelflocken hergestellt wird, unterschlug nicht ihren Getreideanteil. Traube-Patron Wolfram Ritschl fand gar, sie teile sich im Mund wieder in Kartoffelpüree und Nudel. Mehlgeruch ist ebenfalls charakteristisch für „D’Antelli frische Gnocchi“. Dennoch kommt das Erzeugnis aus Liechtenstein nicht besonders knödelig daher. Im Gegenteil, es ist sogar so mürbe, dass es auf der Zunge beinahe zerfällt, bevor die Zähne überhaupt etwas zu tun bekommen. Das hier bloß im Hintergrund auszumachende Muskat erhält bei den Gnocchi von „Hilcona" einen guten Parkettplatz. Trotz dieser Betonung entwickelt sich ein Duft wie von frischen Salzkartoffeln, deren Präsenz durch stecknadelkopfgroße Kartoffelstückchen in einem sahnig-flockigen, etwas salzigen Teig unterstrichen wird. Auch weil diese Nocken im Kochwasser die Form bewahren, hielten sie eine Favoritenstellung inne bis zum Ende der Veranstaltung.

Sie konnte auch von Butter-Lindners Gnocchi nicht erschüttert werden. Sie veranschaulichen geradezu, dass es nicht bei einem schönen Anblick und angenehmem Knollenduft bleiben darf. Denn wenn ihnen Aroma und Mundgefühl nicht folgen, ist man merkwürdig berührt – zumal, wenn die Nocken im sprudelnden Wasser zu Auflösungserscheinungen neigen. Dem begegnet „Henglein" sozusagen präventiv mit viel Zusammenhalt, der Mehl spürbar werden lässt, aber auch so etwas wie Suppenwürze.

Das verwandte Produkt von „Steinhaus" schmiegte sich ans Porzellan und mochte sich nicht lösen. Juror Guido Vinci von der „Locanda Pane“, einer der ganz wenigen italienischen Meister in Berlin, fühlte sich an Bienenwachs erinnert von der Kraft der „Mosna Gnocchi“, wenn nicht im Gedächtnis, so doch am Teller haften zu bleiben. Da dieser Befund auch vom Geschmack bestätigt wurde, argwöhnte der Apulier, Trennmittel, wie es bei maschineller Verarbeitung zum Einsatz kommt, könnte für den Fehlton verantwortlich sein.

Dagegen könnte der Eindruck, den Vinci beim Genuss von „Alb-Gold Bio Kartoffel-Nocken“ aus dem KaDeWe empfing, landläufiger kaum sein: Nach einem überraschenden Anflug von Macadamia-Nuss machte sich reines Mehl im Abgang breit. „Ein japanisches Reisteigdessert!“, rief der hoch gebildete und weit gereiste Wolfram Ritschl und meinte die bleichen, harmlos-süßlichen Gnocchi von „Alibert“ aus dem Centro Italia in der Sophie-Charlotten-Straße.

Ebenfalls auf unmittelbar präsente Süße setzen die bei Lindenberg gekauften „Tressini“, die Models unter den Knubbeln. Dem wie von schwieligen Händen geformten und farblich grell ins Gelbe spielenden Äußeren entspricht im Mund ein Ton wie von vorjährigen Kartoffeln, die ja für Gnocchi überhaupt die besten sind. Die aus dem Bioladen stammende, von Christian Gau als „ehrlich“ klassifizierte „Pasta Nuova“ hatte Tressini noch eine griesig-lockere Konsistenz voraus, die das Kartoffelaroma besser freisetzt und noch unter dem munter-eleganten Pesto hervorlugt, das der Küchenchef der Traube auf den Tisch setzte. Überhaupt ist es ja erstaunlich, in welchem Ausmaß sich das Aroma der Trägermasse noch unter heftigem Sugo durchzusetzen versteht. Die abgerundeten, ein bisschen wässrigen „FB Pastificio Gnocchi di Patate“, die bei „Goldhahn & Sampson“ am Helmholtzplatz im Kühlregal liegen, sind dafür ein ebenso gutes Beispiel wie die Drei, die aufs Treppchen durften. Hilcona gewann Gold knapp vor Pasta Nuova und Tressini.

Jeder, der schon einmal Gnocchi selbst fabriziert hat, wird sich schmerzlich erinnern, wie rasch eine Tüte Mehl aufgebraucht ist, bloß um die Feuchtigkeit von Kartoffeln, die nicht ordnungsgemäß ausdampfen durften, zu ersticken. Industrieprodukte bieten hier ausnahmsweise einen Ausweg. Denn bei den Gnocchi erscheinen sie verlässlicher als in vielen anderen Fällen. Was das Pesto betrifft, so kann die Runde zur Stunde nur das apart-süße Pesto Zitronenmelisse und Mandeln aus der „Biokräuterei Oberhavel“ in Lehnitz/Oranienburg empfehlen. Es kommt jeden Mittwoch und Samstag auf dem Schöneberger Winterfeldtmarkt zum Verkauf. Thomas Platt

Gastgeber: Traube Berlin, Mitte,

Reinhardtstr. 33, Tel.: 2787 9393

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