zum Hauptinhalt

Kultur: Grauen des Großvaters

Jennifer Teege erfährt als Erwachsene, dass sie die Enkelin von Amon Göth ist.

Amon Göth hatte gute Tischmanieren, erinnerte sich Oskar Schindlers Frau Emilie. Wie wir aus dem Film „Schindlers Liste“ wissen, trafen sich die beiden Männer zu Gelagen in Göths Villa, bei denen Schindler dem KZ-Kommandanten jüdische Häftlinge zur Arbeit in seinen Betrieben abhandelte und ihnen das Leben rettete. Ein „feiner Mann“ sei er gewesen, so Frau Irene: „Mein Göth war König, ich war Königin, wer würde sich das nicht gefallen lassen?“

Allerdings hatte ihr Chef – denn Irene Göth, seine Sekretärin und Geliebte, nahm erst nach dessen Tod am Galgen 1946 seinen Namen an, als sie sich nachträglich zu seiner Ehefrau erklären ließ – auch weniger feine Gewohnheiten. Er schlug die beiden Dienstmädchen mit dem Ochsenziemer und schoss mit dem Karabiner vom Balkon der Villa auf Häftlinge. Da liest man sprachlos Frau Irenes Bemerkung aus den 70er Jahren über die Opfer ihres Mannes: „Das waren ja nicht wirklich Menschen wie wir. Sie waren so verdreckt.“ Nicht die jüdischen Dienstmädchen – für die setzte sie sich ein und verhinderte nicht nur ihre Deportation; auch Göth legte zu Hause die Peitsche beiseite. Als Irene Anfang der 80er Jahre noch einmal ein Interview gab – einem Mitarbeiter von Steven Spielberg – meinte sie, Amon Göth sei kein brutaler Mörder gewesen, „nicht mehr als andere. Er war wie alle in der SS. Er brachte ein paar Juden um, natürlich, aber nicht viele. So ein Lager ist natürlich kein Vergnügungspark“.

Natürlich? Das fragt sich heute ihre Enkelin Jennifer Teege, die 1970 geborene Tochter aus einer Beziehung von Irene Göths Tochter Monica mit einem Nigerianer, die erst als erwachsene Frau von den Untaten ihres Großvaters erfuhr. Jennifer, von ihrer Mutter in ein katholisches Heim gegeben und von Pflegeeltern adoptiert, deren Namen sie annahm, entdeckte erst in einem Buch über ihre Mutter und deren Vater Amon Göth ihre wahre Identität. Da hatte sie bereits einige Jahre als Studentin in Israel gelebt und dort zwei Freundinnen gefunden, die sie zunächst nicht mit der Wahrheit zu schockieren wagte. Ihr Schock saß so tief, dass sie Depressionen bekam und die Hilfe von Psychotherapeuten in Anspruch nehmen musste. Einer von ihnen, bei dem sie bei der ersten Vorstellung ihres Problems in Tränen ausbrach, war selbst so schockiert, dass er mit ihr zu weinen begann.

Darüber kann man sich mokieren, aber zumindest der Schock für Jennifer selbst ist nachvollziehbar; auch dann, wenn sie ihren Großvater nie gekannt und keine emotionale Bindung zu ihm aufgebaut hatte. Auch der Blick der dunkelhäutigen Frau in den Spiegel konnte ihr kaum eine Ähnlichkeit mit dem blonden germanischen Hünen (1,93 Meter) Göth zeigen, obwohl sie einen ähnlichen Zug um ihren Mund zu entdecken glaubte. Mehr Grund zum Erschrecken mag ihre Mutter Monica gehabt haben, bei der Oskar Schindler bei einer Begegnung in den 50er Jahren mit ihr und ihrer Mutter Irene spontan eine frappante Ähnlichkeit mit ihrem Vater feststellte. Auch die 1945 geborene Monica Göth hat ihren Vater Amon nie gesehen, ihre Mutter hatte dessen Untaten und Schicksal verheimlicht, bis ihr in einem Streit mit der Tochter der Vorwurf entschlüpfte, sie sei wie ihr Vater und werde „auch so enden“. Ihre Nachfragen wurden mit Lügen und Prügeln beantwortet. Die Wahrheit erfuhr Monica Göth erst von der Großmutter, Amon Göths Mutter, die sie aufklärte: „Na ja, man hat ihn halt aufgehängt. In Polen, da haben sie die Juden umgebracht, und dein Vater war auch dabei.“

Es scheint, als habe sie sich aus dieser Konstellation ihr Leben lang nicht befreien können, wenn sie die eigene Tochter weggab und auch trotz späterer Kontakte und Aussprachen mit der Erwachsenen schließlich den Kontakt abbrach. Von ihrer Mutter Irene konnte sie sich niemals ganz lösen, obwohl sie die Untaten Amon Göths bekannte und sogar mit Niklas Frank – dem Sohn des Nazi-Gouverneurs von Polen – vor Schülern über die Schuld der Väter sprach. Erst nach dem Tod Irenes, die schwer erkrankt 1983 Selbstmord beging, konnte sie ihren Loyalitätskonflikt mit den Eltern im Gespräch mit einem Buchautor, der ihr Familienschicksal schildern wollte, mit der gequälten Frage andeuten: „Ich muss doch meinen Vater lieben, oder?“ Dass sie ihre eigene Tochter weggab, will Jennifer ihr heute zugutehalten: „Meine Mutter gab mich nicht fort, weil an mir etwas falsch war – sondern weil sie genug mit sich selbst zu tun hatte.“

Aber muss auch die Enkelin den Großvater lieben, den sie nie gesehen und der sie nie gesehen hat? Ihre Großmutter Irene, so bekennt sie, habe sie trotz deren Uneinsichtigkeit geliebt, weil sie der Enkelin als Kind unverstellte Zuneigung gezeigt habe. Das Leben ihres Großvaters dient ihr eher, liest man ihr gemeinsam mit einer „Stern“-Redakteurin geschriebenes Buch mit dem reißerischen Untertitel „Mein Großvater hätte mich erschossen“, nur als Projektionsfläche für ihre Selbstfindung und Rettung ihrer israelischen Freundschaften.

Ihre Depressionen, berichtet sie freimütig, seien heute bewältigt, die eigene Ehe und ihre beiden Söhne vom Familiendrama der Göths unbelastet. Dieser hoffnungsvolle Ausblick mag ein Buch rechtfertigen, das als Reprise zum Fall Göth überflüssig gewesen wäre. Das Buch widerlegt in Jennifers Person und ihren Kindern einen Familienfluch bis in die dritte Generation, obwohl es sich seiner düsteren Legende bedient. Mit Recht erinnert sich Jennifer am Ende: „Es gibt keine Erbschuld. Jeder hat das Recht auf seine Biografie.“ Aber nicht jede(r) muss sie veröffentlichen. Hannes Schwenger

– Jennifer Teege,

Nikola Sellmair: Amon. Mein Großvater hätte mich erschossen. Rowohlt Verlag, Reinbek 2013. 272 Seiten, 19,95 Euro.

Hannes Schwenger

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false