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Theater der Welt. An der Generalprobe zur Zeremonie mit dem Anzünden der Fackel für die Spiele in London im antiken Olympia nehmen auch Schauspieler teil.

© picture alliance / ZUMAPRESS.com

Griechenland nach der Wahl: Fieberschübe in Arkadien

Griechenlands Schönheit verschwindet nicht in einer Wahlnacht. Zu Besuch in Athen und im antiken Olympia – vor Beginn der Spiele in London.

So weit ist es gekommen. Angehörige machen sich Sorgen, wenn man nach Griechenland reist. Als ginge es in ein Krisengebiet mit Gefahr für Leib und Leben, als müsse die Idee von Europa zum Albtraum wenden. Der „Süden“ erscheint plötzlich wieder unsicher, wie zur Zeit der Grand Tour, der Bildungsreisen reicher Engländer im 18. Jahrhundert. Diese Krise aber existiert vor allem auch in den Köpfen. Sie hat etwas zutiefst Irrationales, das sich nun auch objektiv bemerkbar macht. Trotz sinkender Preise sind die Touristenzahlen im Frühsommer zurückgegangen, im antiken Olympia auf dem Peloponnes um zwanzig Prozent. Eine bittere Entwicklung, denn Griechenland ist immer noch – Griechenland. Die Bedeutung und die Schönheit, die Komplexität und der Mythengrund einer Kultur, Offenheit und Gastfreundschaft verschwinden nicht über Nacht.

Die Geburtsstätte der Spiele gehört zu den signifikanten abendländischen Orten, von welchen Griechenland mehr besitzt als jede andere Nation. In einer globalisierten Welt hat die Kraft dieser Topoi noch zugenommen. Man muss sich nur vergegenwärtigen, welche Anziehungskraft Olympische Spiele auf Diktaturen und neue Weltmächte ausüben. Wie viel Finanzmacht das IOC bewegt, wie Städte sich umbauen und aufrüsten, zeigt sich jetzt wieder in London. Das olympische Feuer entzündet eine Gigantomachie. Olympia aber, so schreiben die Historiker und so erzählen es die Fremdenführer jetzt mit anspielungsreichem Unterton, war einst entstanden, um Einheit und Identität unter den Hellenen zu stiften. Wenn man all das glauben mag, war es über ein Jahrtausend lang ein Hort gemeinsamer Kultur und Sprache, ein Heiligtum des Friedens. Schon Steinzeitmenschen haben den Boden hier als heilig empfunden. Vor den Spielen ruhten die Waffen, im Stadion saßen freie Bürger verfeindeter Stadtstaaten einträchtig nebeneinander und verfolgten den Wettkampf der Athleten, freilich nur Männer. Den Siegern wurden Statuen errichtet, die Inschriften verrieten ihre Namen und Herkunft.

Aber auch diejenigen, die im sportlichen Wettbewerb betrogen hatten, fanden sich auf dem olympischen Gelände verewigt. Am Eingang zum Stadion erinnerten Standbilder, die sie zur Strafe auch selbst bezahlen mussten, an die Schande der antiken Dopingsünder und korrupten Athleten. Eine feine Idee für die Politik: Da fänden sich dann viele Vertreter der etablierten Parteien wieder, die das Land seit Jahrzehnten getäuscht und in Verruf gebracht haben. Pasok- und Nea-Demokratia-Leute am Pranger in Olympia, eine Koalition der Foulspieler, wie sie sich jetzt ja auch nach der Wahl vom Sonntag ankündigt.

Der Mythos spendet Trost

Natürlich handelt es sich bei den antiken Friedensspielen um eine geschönte Erzählung. Denn die festlichen Tage des Wettkampfs endeten in blutigen Opfern. Der Zeusaltar, auf dem die Tiere geschlachtet und verbrannt wurden, war über die Zeiten zu einem riesigen Hügel aus Asche aufgewachsen. Tieropfer hatten eines sehr fernen Tages Menschenopfer abgelöst. Die antike Tragödie kennt etliche Beispiele dafür: Iphigenie auf dem Opferaltar vor der Abfahrt der Griechen nach Troja ist vielleicht das bekannteste. So weit ist es eben auch gekommen. Wir haben die dunkle Seite des Mythos vergessen. Der Mythos spendet Trost, der Mythos verbreitet Schrecken.

Wenige Besucher streifen am Wahlwochenende durch das Ruinenfeld. Es herrscht träumerische Stille unterhalb des Kronos-Hügels. Kaum ein Mensch im Museum von Olympia. Der MartinGropius-Bau bereitet für Ende August eine Ausstellung zum Thema „Kult und Spiele“ vor, eine olympische Geschichte der Zivilisation, und einige Prachtstücke vom Peloponnes werden nach Berlin ausgeliehen. Darunter auch Objekte, die erst jüngst ausgegraben und noch niemals ausgestellt worden sind.

Ein paar Kilometer außerhalb Olympias, in einer arkadischen Weingegend, haben Archäologen mykenische Gräber geöffnet, mit Waffen, Keramik und Goldschmuck. Die Hügel dort könnten ein großer Friedhof sein, niemand weiß, wie viele solcher Gräber der Entdeckung harren. Das macht die Archäologen von Olympia nicht nervös, im Gegenteil. Wegen der Sparmaßnahmen haben viele Kollegen ihre Anstellung verloren, und für langwierige Grabungen und Sicherungsmaßnahmen fehlt das Geld. Es ist ihnen lieber, die erhofften Schätze sicher im Erdreich zu wissen, an einem noch unbekannten Ort. Über Politik wird nicht gesprochen, schon gar nicht mit den deutschen Gästen. Archäologen, und das macht sie jetzt wichtig, bevorzugen tiefere Beziehungen, längere Zeitspannen, um Beziehungen auszudrücken. Der Bürgermeister von Olympia kommentiert die Wahlen nicht. Er freut sich still über den Sieg der griechischen Fußballhelden gegen Russland. Jetzt geht es im EM-Viertelfinale gegen Deutschland. Die „Krise“ kommt und geht wie ein Fieber in Schüben.

Am Wahlsonntagabend sieht die Lage wieder etwas freundlicher aus, etwas weniger verfahren. Auf Athens Straßen bleibt es ruhig. In den Cafés draußen findet man überall Fernsehmonitore: der Wahlausgang als Public Viewing.

Es gibt ein Gedicht von Konstantin Kavafis aus dem Jahr 1897 mit dem schönen Titel „Die Bank der Zukunft“: „Mein mühseliges Leben will ich/Bei der Bank der Zukunft versichern./Sehr wenig Gewinn werde ich herausbekommen./Ich bezweifle, dass sie viel Kapital hat,/Und fürchte eher, dass sie bei der ersten Krise/Die Zahlungen prompt einstellt.“ Kavafis, der Grieche aus Alexandria, erträumte sich eine historische Gegenwart. Ihm gefiel hellenistisches Gepränge, er war ein Kaffeehauspoet, der sich mit seinen Versen zum Kaiser krönte; ein melancholischer Fantast, wie der Portugiese Fernando Pessoa. Zwei Visionäre des europäischen Individuums.

Das beste Haus in Olympia übrigens ist das Hotel Europa. Gepflegt, wenig Betrieb. Griechenland kann sehr still sein. Nicht einmal die amerikanische Reisegruppe macht sich weiter bemerkbar.

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