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Kultur: Griff nach der Unendlichkeit

Zahlenspiele: Ryoji Ikeda und seine Raum-Klanginstallation im Hamburger Bahnhof.

In einem Konzert analysiere man nicht, warum einen die Melodie von Mozart so sehr bewege, stellte der Medienkünstler und Komponist Ryoji Ikeda fest. Recht hat er. Man muss sich nicht mit Mathematik und Physik auskennen, um vom Zahlenkosmos, den der Japaner in seinen minimalistischen Rauminszenierungen zeigt, hin und weg zu sein.

Ikeda schickt die Besucher in den Ost- und Westflügel des Hamburger Bahnhofs, mal in einen gleißend weißen, dann in einen dunklen schwarzen Raum. In dem einen sendet ein riesiger Lautsprecher einen Ton, kaum merklich schwillt der an, nimmt dann wieder ab. Es ist eine Sinuswelle, die einen umgibt, der einfachste Baustein von Musik. Je nachdem wie viele Personen sich an welchen Stellen im Raum bewegen, verändert sich die Wahrnehmung. Die Schallwellen werden an den Körpern gebrochen. Die Wandtafeln sehen aus der Ferne schwarz aus, sind aber mit winzigsten Zahlen bedruckt, mit irreduziblen Zahlen und etwa einer Million Ziffern. Sie sind nicht teilbar, aber endlich – nur hat man es bisher noch nicht geschafft, alle Stellen auszurechnen. Ikeda tastet nach der fernen Zukunft.

Im zweiten Raum, am anderen Ende des Gebäudes, durchschneidet ein kraftvoller Lichtstrahl das Dunkel. In ihm schweben Partikelchen wie Glitzerstaub. Wer sich hineinbegibt in dieses reinweiße Licht, der spürt die Wärme am Rücken, ist ganz und gar eingehüllt. An den Wänden rauschen Zahlenkolonnen über Wandtafeln, begleitet von einem im Ohr juckenden Knattern und Fiepsen. Es sind unendliche Zahlen, nur für einen kurzen Moment wird ihre Berechnung eingefroren. Ikeda greift nach der Unendlichkeit.

An der Schnittstelle zwischen Musik und bildender Kunst liegen seine Raum-Klanginstallationen. In Berlin war Ikeda bereits Gast bei der Transmediale und dem Festival Maerzmusik, so auch in diesem Jahr. Die Arbeit für den Hamburger Bahnhof ist die erste Einzelausstellung des Künstlers in der Stadt. Sie findet im Rahmen der Veranstaltungsreihe „Musikwerke Bildender Künstler“ zwischen den staatlichen Museen und dem Verein „Freunde guter Musik“ statt. Komposition zeigt sich hier im wahrsten Sinne des Wortes als eine betörende Mischung aus Licht, Klang Zeit, Raum und deren reinsten Formen.

Bei aller formalen Strenge seiner Kunst, bei aller Symmetrie und dem Gegensatzpaar Schwarz und Weiß, geht Ikeda die Lässigkeit nicht verloren. „db“ lautet der Titel der Ausstellung, eine Abkürzung für Dezibel und für Ikeda Anlass, Wortpaare aus den Anfangsbuchstaben zu bilden: „dark / bright“ natürlich, aber auch „Dinner / Breakfast“ oder „Deconstruction / Bla Bla Bla“. Also, nicht nachdenken. Spüren. Anna Pataczek

Bis 9. April, Invalidenstraße 50-51, Di-Fr 10-18 Uhr, Sa 11-20 Uhr, So 11-18 Uhr

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