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Kultur: Größer als die Geschichte

Die Wiederentdeckung des 19. Jahrhunderts: Münchens Neue Pinakothek präsentiert die Riesenformate des Historienmalers Carl Theodor von Piloty

Nicht im mindesten demütig, sondern stolz hält die große blonde Frau ihren Blick gesenkt. Was in ihr vorgeht, gibt die wütende Miene ihres dreijährigen Söhnchens, den sie an der Hand führt, zu verstehen. Die Frau, ersichtlich eine Fürstin, überragt alle in dem Zug, in dem mitzugehen sie gezwungen ist: gefangen, aber nicht gebrochen.

Solche Art von theatralischer Malerei liebte das 19. Jahrhundert mehr und mehr. „Thusnelda im Triumphzug des Germanicus“, die fünf mal sieben Meter messende Riesenleinwand, markiert einen Höhepunkt im Schaffen des Malers Carl Theodor von Piloty (1826-86). 1873 begonnen, allerdings auf Vorstudien seit 1863 zurückgehend, wurde das Gemälde im selben Jahr auf der Wiener Weltausstellung gezeigt, wo es im zentralen Salon Carré die zeitgenössische deutsche Malerei repräsentierte – Seite an Seite mit einer „Ermordung Caesars“, die die französische Malerei vertrat.

Auch Piloty hat die „Ermordung Caesars“ gemalt, sechs Jahre zuvor und in wesentlich kleinerem Format; aber sein eigentlicher Ehrgeiz ging auf die großen Leinwände, die ein breites Publikum begeisterten. Das „Thusnelda“-Gemälde ging, leicht überarbeitet, bereits 1874 in den Besitz der Neuen Pinakothek zu München über, der Heimatstadt des gefeierten Künstlers. Heute ziert es – gemeinsam mit dem 1855 entstandenen Bild „Seni vor der Leiche Wallensteins“ – den größten Saal des 1983 eröffneten Neubaus der im Krieg zerstörten Neuen Pinakothek – damals, vor nur zwanzig Jahren, durchaus eine Provokation, heute selbstverständlicher Ausdruck der Neubewertung der so lange verlachten Kunst des 19. Jahrhunderts.

Die Erfindung der Historie

Noch immer nicht ganz so selbstverständlich dürfte die Ausstellung sein, die die Neue Pinakothek ihrem Hauskünstler Piloty ausrichtet. Es ist keine Retrospektive, dazu sind allzu viele Werke als Kriegsverluste abzubuchen – wie sein unvollendet gebliebenes Spätwerk „Der Tod Alexanders des Großen“ (1886) aus der Berliner Nationalgalerie – , andere wiederum sind auf Grund ihrer Größe nicht ausleihbar; aber was das Münchner Museum jetzt in drei großen Sälen sowie den angrenzenden Zeichnungskabinetten unter dem Titel „Großer Auftritt“ zusammengetragen hat, lässt Piloty im Besonderen und die Historienmalerei im Allgemeinen deutlich vor Augen treten.

Das 19. ist überhaupt das Jahrhundert der Historienmalerei. Der Begriff, ursprünglich auf die historiae der Bibel beschränkt, hatte sich seit der Renaissance ins Weltliche geweitet, doch in aller Regel Begebenheiten aus der Lebens- und Familiengeschichte fürstlicher Auftraggeber umfasst. Nun aber bestimmten Ereignisse der Weltgeschichte das Bild, die nach ihrem dramatischen Gehalt ausgewählt und auf Publikumswirkung berechnet wurden.

Piloty, der seit seinem 14. Lebensjahr an der Münchner Kunstakademie studiert hatte, doch zwischenzeitlich nach dem Tod des Vaters als Familienoberhaupt fungieren musste, brachte die Gattung zu reifer Blüte. Von Anbeginn an hatte er den Blick für die theatralischen Möglichkeiten eines historischen Ereignisses. An seinen „Wallenstein“-Bildern wird die literarische Quelle seiner Kompositionen offenbar: Friedrich Schiller, dessen Stücke Allgemeingut waren, lieferte die gängige Vorlage.

Besser gesagt: die historische Atmosphäre. Denn Piloty hielt sich durchaus nicht an die Überlieferung, ob nun in Gestalt der literarischen Fiktion etwa bei Schiller oder Shakespeare, oder in der der Geschichtsschreibung wie im Falle der Thusnelda bei Strabo (gewürzt mit Tacitus’ „Annalen“). Er erfand gewissermaßen die Szenen, in denen sich eine Ereigniskette zum Sinnbild verdichtete. So konnte denn auch die Person der Thusnelda – ob vom Künstler intendiert, steht dahin – einen entscheidenden Bedeutungswandel erfahren: „Aus der tragischen Heldin der deutschen Geschichte wurde ein Symbolbild deutscher Größe“, wie es im ausgezeichneten, allenfalls ein wenig zu großformatigen Katalog der Ausstellung heißt. Ausstellung und Katalog sind übrigens in Zusammenarbeit mit der Ludwig-Maximilians-Universität entstanden und boten einem guten Dutzend Doktoranden einen ersten Ausflug in ihr künftiges Arbeitsfeld Museum.

„Historienschinken“ nannte man die Großformate zu einer Zeit, als sie zumindest überhaupt noch präsent waren. Heute sind sie die weißen Raben der einschlägigen Museen; nur wenige Häuser gibt es, die sich wie die Neue Pinakothek zur ständigen Präsentation dieser Werke entschließen konnten. Der heutige Betrachter begegnet ihnen mit jenem verlegenen Amusement, das in Unkenntnis wurzelt; Unkenntnis der Kunst – und der Ereignisgeschichte sowieso.

Dabei bleibt die außerordentliche Könnerschaft eines Piloty von der Bewertung seiner Sujets völlig unberührt. Natürlich traf der Maler mit seinen Themen den Nerv der Zeit und schuf jene Bilder, in denen sich eine Nation – zumal die deutsche nach der Reichseinigung 1871 – erkennen konnte. Doch ein Nationalist war der 1860 geadelte Piloty mitnichten. Ohnehin liebte das Publikum aufwühlende, tragische Ereignisse quer durch Länder und Zeiten, bei Piloty gerne Ermordungen, ob nun diejenige Caesars, Wallensteins oder die bevorstehende der minderjährigen Söhne König Edwards IV. Zugleich und vor allem aber war er doch ein Maler von hohen Graden; einer in der Reihe jener Malerfürsten, die Münchens Ruf als Kunststadt in alle Welt trugen.

Der Stadtrat mauert

Wie tief das Ansehen des Malers später selbst in seiner Heimatstadt sinken konnte, verdeutlicht die jüngste Geschichte seines überhaupt größten Gemäldes, der für den Sitzungssaal des neugotischen Rathauses geschaffenen und 1879 fertiggestellten „Geschichte Münchens“ mit 15 Metern Breite. Obgleich vollkommen unbeschädigt durch den Zweiten Weltkrieg gekommen, wurde das Bild 1952 entfernt und eingelagert. Es verfiel; und noch in den achtziger Jahren lehnte der Stadtrat zwei Mal ab, das Bild auf Kosten von Spendern restaurieren zu lassen! Erst Ende 2000 revidierten die Stadtverordneten ihr Nein und beschlossen die Wiederanbringung des Werkes – immerhin eines Auftrages ihrer Vorgänger.

Eine Revolution des Kunstgeschmacks wird von der jetzigen Münchner Ausstellung nicht ausgehen, da seien selbst die erbittertsten Gegner des 19. Jahrhunderts unbesorgt. Aber dass diese Epoche der Kunst in einem besseren, nämlich angemessenen Licht erscheint, das mag sie denn doch bewirken. Auch wenn der heutige Betrachter in Thusnelda nur mehr eine „starke Frau“ erkennt, die sich den dekadenten Römern nicht beugt – als wär’s aus einem alten Ufa-Film.

München, Pinakothek der Moderne, Barer Straße 29, bis 27. Juli. Katalog bei DuMont, im Museum und im Buchhandel 36 €.

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