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Kultur: Großbritannien: "Der dritte Weg ist nur ein Etikett" - Soziologe Giddens über Programm und Verwandlung der Labour-Partei

Der 63-jährige Anthony Giddens ist Direktor der London School of Economics und Professor in Cambridge. Sein Buch "The Third Way" erschien 1998.

Der 63-jährige Anthony Giddens ist Direktor der London School of Economics und Professor in Cambridge. Sein Buch "The Third Way" erschien 1998.

Sie gelten als einer der Gurus von "New Labour". Wann haben Sie Tony Blair das letzte Mal gesehen?

Ich sehe ihn nicht besonders oft, denn ich bin kein Berater. Wir haben uns vielleicht vor einem Monat das letzte Mal getroffen.

Dabei haben Sie New Labour doch vor der Wahl 1997 mit Ihrem Buch "Der dritte Weg" das akademische Grundgerüst gegeben. Inwieweit sind Ihre Ideen nun in den vergangenen Jahren in Politik umgesetzt worden?

Der "Dritte Weg" ist nur ein Etikett. Es geht um die Veränderung der sozialdemokratischen Parteien. Und das ist bei New Labour in jedem Fall geschehen. Die Partei hat deshalb eine sehr starke Position vor den Wahlen.

Aber vom "Dritten Weg" wird nicht mehr gesprochen...

Das ist nur eine sprachliche Frage. Viele mögen den Begriff nicht. Labour hat seine Vergangenheit hinter sich gelassen, darauf kommt es an. Die Labour-Regierung ist vollkommen anders als ihre Vorgängerinnen.

Inwiefern?

Labour hat eingesehen, dass man nicht länger keynesianische Politik betreiben kann. Die Verstaatlichung der Industrie steht ebenfalls nicht mehr zur Debatte. Und einen ausufernden Wohlfahrtsstaat will Labour ebenfalls nicht mehr.

Wo sind denn dann die Veränderungen zu den konservativen Regierungen unter Margaret Thatcher oder John Major?

Es gibt große Veränderungen - auch ideologische. New Labour setzt auf eine aktive Rolle des Staates. Seit 40 Jahren wurde zu wenig in Kliniken, Schulen und Bahnen investiert. Das Problem geht Labour an. Unter den Tories wäre außerdem die Verfassungsreform mit eigenen Parlamenten für Wales und Schottland nie durchgeführt worden. Die Tories hätten nie eine ähnlich aktive Arbeitsmarktpolitik betrieben wie Labour mit dem Programm "New Deal", das vielen jungen Menschen Beschäftigung gebracht hat.

Viele sagen, im Grunde sei New Labour nur die Fortführung der Politik Thatchers.

Dem muss ich stark widersprechen. Trotzdem: Es wäre dumm zu sagen, unter Thatcher wurde nichts Sinnvolles gemacht. Es war richtig von "New Labour", einige Reformen zu behalten - unter anderem auf dem Arbeitsmarkt und beim Gewerkschaftsrecht.

Großbritannien ist dadurch wettbewerbsfähiger geworden...

Ja. Großbritannien war der "kranke Mann" Europas. Heute liegt die Rate der Menschen im erwerbsfähigen Alter, die tatsächlich eine Stelle haben, bei 75 Prozent. Bei einem so hohen Anteil an Beitragszahlern fällt es leichter, die sozialen Systeme zu finanzieren. Die Umverteilung unter Labour ist viel stärker, als die meisten wahrnehmen.

Welche wirtschaftspolitischen Maßnahmen erwarten Sie von "New Labour" für die kommenden vier bis fünf Jahre?

Die Politik wird ähnlich aussehen. Die "Bank of England" bleibt unabhängig. Die Haushaltspolitik wird weiterhin moderat sein. Der "New Deal" wird wahrscheinlich auf ältere Menschen ausgedehnt. Das große Dilemma ist der Euro: Die meisten Briten wollen ihn nicht. Setzt sich Labour zu sehr für die Einführung der neuen Währung ein, könnte das die Regierung empfindlich schwächen.

Sie gelten als einer der Gurus von \"New Labour\". W

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