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Kultur: Große Liebe

LESEZIMMER Rainer Moritz preist den perfekten Sommerroman Neulich, bei einem Literaturkolloquium in Schloss Elmau, erklärte eine kluge Lektorin in sanftklagendem Ton, woran es der deutschen Gegenwartsliteratur mangele: Aus Angst vor dem Kitschverdikt traue diese sich nicht, Gefühle zu beschreiben. Ein deutscher Autor, der sich im Gefüge studierter Kritiker behaupten will, scheint immer Mittel und Wege zu finden, Leiden(schaften) so zu schildern, dass sie von einem kunstvoll angefertigten und theoriegesicherten Überbau gezähmt werden.

LESEZIMMER

Rainer Moritz preist

den perfekten Sommerroman

Neulich, bei einem Literaturkolloquium in Schloss Elmau, erklärte eine kluge Lektorin in sanftklagendem Ton, woran es der deutschen Gegenwartsliteratur mangele: Aus Angst vor dem Kitschverdikt traue diese sich nicht, Gefühle zu beschreiben. Ein deutscher Autor, der sich im Gefüge studierter Kritiker behaupten will, scheint immer Mittel und Wege zu finden, Leiden(schaften) so zu schildern, dass sie von einem kunstvoll angefertigten und theoriegesicherten Überbau gezähmt werden. Anti-Helden habe die Literatur zu bieten, von Not und Elend müsse sie berichten, Anwandlungen des Glücks begegne sie, bitte, mit Distanz, denn im Gefolge der post-, spät- oder wie auch immer modernen Literatur gehöre es sich nicht, sich der emotionalen Kraft einer Geschichte hinzugeben. Mit diesem schweren Gepäck trefflich begründeter Theorie sind Generationen von Germanistikstudenten aufgewachsen, und weil aus Studenten oft Schriftsteller werden, folgt deren Prosa dem im Hauptseminar Gehörten.

Ich bin zum Glück schlichter gestrickt und erfreue meinen Bekanntenkreis beispielsweise dadurch, dass ich gerne von einen meiner Lieblingsfilme erzähle, von den „Brücken am Fluss“, jenem Melodram mit Clint Eastwood und Meryl Streep, das eine gehabte und schicksalshaft verlorene Liebe im fernen Iowa nachzeichnet. Gewiss, ein etwas rührseliges Stück, doch ein raffiniert inszeniertes, das trotz seiner Hollywood-Verpackung Gefühle anspricht, um die künstlerisch ambitioniertere Filme – und Romane – ängstlich einen großen Bogen machen.

Hanns-Josef Ortheil ist promovierter Literaturwissenschaftler. Sein erster Roman, „Fermer“, erschien 1979; andere Bücher folgten, darunter Essays, die ihren Autor als reflektierten Beobachter von Zeitgeschichte und Literatur auswiesen. Vor einiger Zeit wechselte Ortheil gewissermaßen das Fach und begab sich auf das Terrain des gepflegt-gebildeten Unterhaltungsromans. Manchem Kritiker missfiel dies; die Zahl der Ortheil-Leser vergrößerte sich indes, und mit seinem neuen Roman „Die große Liebe“ wird er es sich – diese Prognose sei gewagt – mit vielen schwerblütigen Rezensenten endgültig verscherzen und seinen wohl größten Verkaufscoup landen.

Ein Münchner Fernsehjournalist, Ende dreißig, macht sich in die italienischen Marken auf, genauer: ins Küstenstädtchen San Benedetto, wo er Eindrücke für eine Reportage über das Meer sammeln möchte. Er begibt sich ins Museum, befragt die Kunsthistorikerin und Meeresbiologin Dottoressa Franca, und binnen weniger Tage entspinnt sich eine entfesselte amour fou. Familiäre und soziale Widerstände zählen nichts, der unliebsame Verlobte muss die Segel streichen, und am Ende kommen die Liebenden zusammen, als bedürfe es nur starker Willenskraft, um Gefühle leben zu können.

„Die große Liebe“ nennt Ortheils Held das, was ihm, dem skeptisch-intellektuellen Single, da widerfährt – ein Romantitel, der aus einem alten Schlagerfilm stammen könnte, mit Rudolf Prack und Ruth Leuwerik in den Hauptrollen, und gänzlich ungeeignet scheint für ein Buch, das als „Literatur“ gelten möchte. Nichts an diesem Titel und nichts an dieser Geschichte wird ironisiert; das gut geölte Räderwerk des modernen Zweifels darf nicht greifen. Dottoressa Franca und ihr German Lover ignorieren ganz einfach, was ihrer Liebe entgegensteht.

Ortheils Roman ist ein großartig sinnenfrohes Buch. Das Treiben des Meeres wird geschildert, als habe dies noch kein anderer zuvor getan; hemmungslos wird getrunken, geküsst und gegessen – ein Schreckensszenario für Asketen. Natürlich hat sich der belesene Hanns-Josef Ortheil noch nicht von allen Fußangeln befreit und versucht unnötigerweise sich abzusichern: Er lässt seinen Protagonisten über den Begriff der „großen Liebe“ nachsinnen und macht ihn zum Schreibenden, der justament einen Roman verfassen will, der wie der vorliegende anhebt. Solche Erzählzirkel kennen wir zur Genüge, und sie sind unschöne Stützräder, die diese körper- und sinnenreiche Literatur nicht braucht.

Von Klischees, Trivialitäten und Kitsch werden die Rezensenten dieses Buches sprechen – wetten wir? Wenn nicht, bin ich bereit, sogar jene Kutteln in Weißwein zu verzehren, von denen Ortheil so saftig erzählt. Glauben Sie den nörgelnden Kritikern nicht. „Die große Liebe“ ist ein Roman, wie geschaffen für diesen heißen Sommer. Er riskiert viel, weil er vom Gelingen handelt, von einem Ausnahmezustand, der Dauer sein will.

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