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Die Zentrale. Seit 2001 ist der 60er-Jahre-Theaterbau von Fritz Bornemann das Haus der Festspiele. Jetzt wurde renoviert – und am Sonnabend wird gefeiert. Foto: Festspiele/Burkhard Peter

© Piero Chiussi

Kultur: Große Riesen, kleine Riesen

Front, Stadt, Welt: Wie die Festspiele seit sechs Jahrzehnten Berliner Geschichte prägen

Seismograf soll die Kultur sein, Bewegungsmelder, vielleicht sogar eine Antriebsenergie. Wenn sie sich in Institutionen artikuliert, ist sie allerdings eher selten auf der Höhe der Zeit oder ihr gar voraus. Auf die Berliner Festspiele aber traf dies immer mal wieder zu. Im Juni 1989 gab es in Berlin, im Westen, ein „Festival der Weltkulturen“. Orient und Okzident, so das Thema, im Zentrum die Ausstellung „Europa und der Orient“ im MartinGropius-Bau. Sie hatte etwas Visionäres.

Inzwischen klingt das selbstverständlich – zumal nach den Terrorattacken des 11. September 2001 eine breite Beschäftigung mit der islamisch-arabischen Hemisphäre eingesetzt hat, nachholend und nicht immer aus freien Stücken. Die Berliner Festspiele leisteten damals Pionierarbeit mit der von Gereon Sievernich geleiteten „Horizonte“-Reihe. Seit 1979 hatte sie sich des Phänomens der Globalisierung angenommen, dabei gab es den Begriff noch gar nicht. „Kultureller Dialog mit der Dritten Welt“ hieß das seinerzeit ziemlich steif, aber die Richtung stimmte.

Oft wird auch vergessen, dass das 1989 gegründete Haus der Kulturen der Welt aus diesen „Horizonte“-Erfahrungen hervorgegangen ist. Heute wünschte man sich, die Pläne für das Humboldt-Forum der Weltkulturen würde von einem so freien und visionären Geist vorangetrieben. Doch seltsamerweise ist das große, vereinte Hauptstadt-Berlin manchmal kleinteiliger und bequemer als das politisch aberwitzige, kulturell mutige Biotop West-Berlin.

Was war das für ein Jahr: Im Mai 1989, als noch niemand ernstlich mit dem Fall der Mauer rechnete, feierte das Theatertreffen der Festspiele 25. Geburtstag. Zum ersten Mal waren Aufführungen aus der DDR eingeladen, und sie kamen tatsächlich nach West-Berlin – „Der Lohndrücker“ von Heiner Müller (Deutsches Theater), „Der Selbstmörder“ aus Schwerin und Volker Brauns „Übergangsgesellschaft“ (Maxim Gorki Theater). Sie waren Vorboten eines epochalen Übergangs. Im Theater war die Mauer schon rissig, ehe sie im November ’89 fiel.

Das aber gehörte seit den siebziger Jahren zum Selbstverständnis der Berliner Festspiele – die kulturelle Annäherung, die Begegnung mit osteuropäischen Künstlern. Unvergessen die Gastspiele des polnischen Theatergenies Tadeusz Kantor oder die Festwochen von 1983, die der russischen Avantgarde gewidmet waren. Ulrich Eckhardt, von 1973 bis zur Jahrtausendwende Intendant, wirkte wie ein Entspannungspolitiker. Das Faszinierende war, dass die Ensembles aus dem Osten hier neben den bedeutendsten westlichen Regisseuren standen; Ariane Mnouchkine, Peter Brook, Patrice Chéreau, Merce Cunningham. Keiner fehlte. Festwochen-Stammgäste konnten mit Recht sagen, dass sie gar nicht reisen mussten, um Weltklasse zu erleben.

Seither hat sich sehr viel geändert. Der internationale Festivalmarkt ist kaum mehr überschaubar, die Kunstformen haben sich gelockert und neu verbunden. Mit ein paar großen Namen, die man einlädt, ist es nicht mehr getan, denn es gibt sie so auch gar nicht mehr, nicht mehr in der unbestrittenen, verehrungswürdigen Form. Globalisierung heißt auch Partikularisierung – und Beschleunigung. Andere Institutionen haben die Aufgabe der Festspiele weiterentwickelt – das Hebbel am Ufer, der „Tanz im August“, das Haus der Kulturen der Welt. Diese wiederum sind existenziell herausgefordert, wenn das Humboldt-Forum mit seiner Agora einmal etwas werden sollte.

In der Wendezeit gerieten die Festspiele in eine Identitätskrise. Wie auch anders, als ur-westberlinische Institution? 1951 sind sie gegründet worden – in einer Trümmerstadt, mit einem trotzig-selbstbewussten Gestus der Humanität. Der Regierende Bürgermeister Ernst Reuter erklärte damals: „Ziemt es denn, Feste zu feiern, wenn die Not der Zeit so unmittelbar auf einer Gemeinschaft und auf den Einzelnen lastet? Die Antwort lautet Ja, auch Festspiele sind nötig und gehören in das Leben unserer Stadt Berlin. Denn der Mensch braucht zum Leben nicht nur Brot und körperliche Nahrung. Deshalb die Berliner Festwochen, um der Welt des Westens und des Ostens zu zeigen, dass Not und Leid, Trümmer und Bedrängnis nicht vermochten, den ewig lebenden und sprudelnden Quell zum Versiegen zu bringen, der in Theater, Musik und Bildender Kunst den Berlinern einen Teil dessen ausmacht, das ihr Leben schön und liebenswert gemacht hat und machen wird.“

Eindrucksvoll liest sich die Liste der Künstler der ersten Jahrgänge. Wilhelm Furtwängler dirigierte zur Eröffnungsfeier im Schiller Theater, bald kamen George Balanchine mit dem New York City Ballet, Giorgio Strehler und Samuel Beckett waren zu Gast, Maria Callas hatte 1955 einen sensationellen Auftritt, und zwei junge französische Stars debütierten in Berlin: Jeanne Moreau und Gérard Philipe. Im September 1961, sechs Woche nach dem Bau der Mauer, wurde die Deutsche Oper eingeweiht mit einem „Don Giovanni“, Ferenc Fricsay dirigierte. Kultur war der diskrete Charme der Frontstadt.

Aus dem notwendigen Pathos der Nachkriegszeit entwickelte sich das Festspiele-Image vom Schaufenster des Westens. Auch der Osten rüstete kulturell auf. Das konkurrente und nie ganz undurchlässige Nebeneinander der beiden Hälften garantierte eine neue Blüte der Kulturmetropole, wie seit den Zwanzigern nicht mehr. Die Festspiele waren ein starker Antrieb, ohne sie wäre das WestBerliner Kulturleben anders und ärmer verlaufen. Zuweilen in den achtziger Jahren wirkten die Festspiele übermächtig, waren Berlin und Festspiele Synonyme.

Man kann die Festspiele als ein ständig wachsendes Kulturwelt-Reich im Kleinen beschreiben. König Eckhardt regierte sehr lang. Als die Stadt in den Neunzigern einen chaotisch-kreativen Boom erlebte, der Westen an kultureller Bedeutung verlor, der Hauptstadttross anrückte und mit Klaus Wowereit ein hedonistischer Politiker zum Regierenden Bürgermeister gewählt wurde, der sich dem kreativen Milieu zuwandte, als plötzlich viele Player auf die Bühne drängten, schienen die Festspiele ihre tragende Rolle ausgespielt zu haben.

Mit dem Intendanten Joachim Sartorius – in den Achtzigern hatte er als Leiter des Berliner DAAD-Künstlerprogramms bereits viele Verbindungen geknüpft – ging es ab 2001 langsam wieder aufwärts. Das Musikfest im September erwachte zu neuem Leben, das Internationale Literaturfestival kam hinzu, und das Theatertreffen ist ein Selbstläufer, trotz aller Anfeindungen und Verbesserungsversuche. Sartorius hat der FestspieleFestivalfamilie neue Impulse und neues Selbstvertrauen gegeben. Heute sind hier unter einem Dach dem Theatertreffen, dem Musik- und dem Literaturfest auch die MaerzMusik, die Spielzeit Europa, die Berliner Lektionen, drei Jugend-Festivals und der Gropius-Bau vereint.

Der größte Schatz und in gewisser Weise auch die größte Hypothek ist aber das eigene Haus, die ehemalige Freie Volksbühne in der Schaperstraße. Kulturstaatsminister Michael Naumann hatte das Festspielhaus akquiriert. Frisch renoviert erwartet es den neuen Intendanten Thomas Oberender, der Anfang 2012 sein Amt antritt. Ein herrlicher Ort, der bespielt und gefüllt sein will. Die finanziellen Mittel sind allerdings weit geringer als bei anderen internationalen Festivals.

Früher hätte man gesagt, Oberender kommt aus dem Osten Deutschlands, aber das spielt heute keine Rolle mehr. Oberender kommt jetzt aus Salzburg, der Mutterstadt aller neuzeitlichen Festspiele, wo er Schauspielchef war. Wie Sartorius ist er ein Literat und Ästhet, er übernimmt einen Betrieb, der seinen Platz in der Hauptstadt längst wieder gefunden hat. Seine Plätze, muss man sagen, denn die Berliner Festspiele, die vom Bund finanziert werden, sind ein multifunktionaler Apparat, ein Tier mit vielen Beinen.

Vor bald zwei Jahren bewegten sich die „Riesen“ von Royal de Luxe durch Berlin. Es war eine Riesenschau, ein wahres Festspiel, magisch und zart. Und unwiederholbar. Aber für die Arbeit der Berliner Festspiele und viele andere Kulturinstitutionen hatten die poetischen Giganten eine Botschaft: da war der große Riese, und da war die kleine Riesin. Die Zeit schien angehalten. Man braucht in Berlin das Große, um Raum für das Kleine zu schaffen. In seinem neuen Buch sagt Oberender etwas Schönes und Zutreffendes: „In Salzburg sind die Festspiele eine Auszeit im Jahreskalender. Die Menschen, die dahin kommen, reisen zur Kunst. Bei urbanen Festivals wie in Berlin oder Wien reist die Kunst zu den Menschen.“ Das ist eindeutig die größere Herausforderung.

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