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Kultur: GroßerMythos,kleinerMut

Poe und Tao: Zwei Kammeropern auf der Musikbiennale München

Wie tönt neues Musiktheater? Nun, es wimmert und wummert, clustert und kracht, es splittert, schreddert, schreit und schweigt. Mal analog, mal digital, mal wie Klangseifenblasen in lichten Höhen schwebend, mal sich metrisch-rhythmisch in sämtliche Eingeweide bohrend. Und abgesehen davon, dass man Beschreibungen wie diese unendlich (und nichtssagend) verlängern könnte, ist das Ganze oft furchtbar kompliziert. Es ist so lange schon so kompliziert, dass zwei Phänomene sich eingebürgert haben. Unseren Gehörgängen nämlich tun Klänge wie diese längst nichts mehr. Selbst das Verrückteste, Biestigste kennt auf Dauer die Gewohnheit. Einerseits. Und andererseits überwuchert die Analyse des Machartlichen hier oft das Eigentliche, die Frage: Worum geht’s? Und: Was soll’s, was erzählt uns dieses oder jenes Stück eigentlich – über uns? Die Mesalliance beider Phänomene ist in jedem Fall eine unheilvolle.

Ein Unbehagen im Blick auf aktuelle ästhetische Befindlichkeiten muss auch Peter Ruzicka verspürt haben, als er sich für die 9. Münchner Musiktheater-Biennale mit „...in die Fremde“ ein dialektisch-aufklärerisch ebenso beliebtes wie verheißungsvolles Motto suchte. Aus dem Gefängnis des Eigenen ausbrechen, der tabulosen und insofern politisch wie künstlerisch ausgereizten Zone der westlichen Avantgarde entfliehen – was für ein Versprechen! Eingelöst freilich wurde dieses bislang nicht, weder durch Johannes Maria Stauds gewiss gruselig gemeinte Poe-Oper „Berenice“ (in Koproduktion mit den Berliner Festspielen) noch durch Qu Xiao-songs „Versuchung“, eine Art auf dem Kopf stehender, altchinesischer Orpheus-Mythos (mit der Zeitgenössischen Oper Berlin). Und genau darin liegt ja auch – der Stadt München sei Dank – der Laboratoriumscharakter dieses Festivals. Erste Erkenntnis also des Jahrgangs 2004: Fürs Scheitern ins Gefällige hinein braucht man inzwischen mehr Mut als für alles programmatisch Irritierende, Verstörende und im besagten Sinn: Verrückte.

„Berenice“ erzählt die Geschichte zweier inzestuöser Geschwister-Kinder, Berenice und Egäus, die sich gegenseitig auslöschen. Nachtdunkler Albtraum oder taghelles Verbrechen: Zum Schluss kullern Berenices Zähne über die Bühne (die „Ideen“), und an Egäus’ gebügeltem Hosenbein klebt Blut. Allerdings will – oder soll? – sich der typisch Poe’sche Horrorfaktor, das Unaussprechliche im Unausgesprochenen, hier nicht recht einstellen. Gerne verliert sich Durs Grünbeins Libretto-Text im Konkreten, ja Banalen, noch lieber legt er dem mitspielenden Dichter die Worte in den Mund, und leider gerät über alledem die dramaturgische Balance doch ziemlich aus der Facon. Auch Stauds Musik weiß mit den Gesetzen dramatischer Spannung (noch) nicht wirklich umzugehen oder setzt diese – wenn dies denn beabsichtigt wäre – nicht radikal, nicht kühn genug außer Kraft. Gewiss, der 29-jährige Tiroler verfügt über eine immense, geradezu leichtfüßige Begabung, aber letztlich hat er von seiner Klangsprache her nicht viel mehr als avantgardistische Konfektion zu bieten. Die elektronischen Zuspielbänder wabern sphärisch, Sänger brüllen, bis sie heiser sind, in Megafone, es wird viel gesprochen, Egäus taucht gleich in zweierlei Gestalt auf (Matthias Bundschuh/Otto Katzameier), und wenn es um Liebe geht, dann darf die schöne Berenice (Dorothee Mields) schon mal sanft hüftenkreisend ins Musical-Fach wechseln. Anrührend, wie ernst es Staud auch damit ist, und überhaupt scheint im Transistorischen, im flüssigen Gleiten zwischen den Stilen sein größtes Talent zu schlummern. Stefan Ashbury und das Klangforum Wien drücken dem Ganzen den Stempel der Professionalität auf, und auch das Regieteam Claus Guth/Christian Schmidt bewährt sich erwartungsgemäß (Videoprojektionen auf der Fassade eines Siebzigerjahre-Bungalows).

Markieren Staud/Grünbein also, wenn man so will, den äußersten westlichen Punkt der Ästhetik, so nähern sich Sabrina Hölzer und Rüdiger Bohn von der Zeitgenössischen Oper dem Problem aus der diametral entgegengesetzten Richtung: Östlicher, taoistischer als in Qu Xiao-songs „Versuchung“ kann man sich heutiges Musiktheater wohl kaum vorstellen (ein Mann stellt seine Frau durch den eigenen Tod auf die Treueprobe). Die Frage allerdings, wo im virtuosen Schamanengewirbel, im choreografischen Beschreiten des nahezu leeren Raumes (Etienne Pluss) der Folklore-Import aufhört und die vitale Reibung der Kulturen anfängt, wo im jahrtausendealten, exotisch-„fremden“ Wissen sich also das Neue für alle, das Dritte offenbart, sie wurde an diesem Abend kaum beantwortet. Und so bleibt nach dieser Biennale-Eröffnung doch ein mulmiges Gefühl: Was, wenn sich die losen Enden der Entwicklung nie mehr fügten und unser Musiktheater sich zentrifugal verflüchtigte?

„Versuchung“ ist vom 20. bis 23 Mai im Hebbel am Ufer zu sehen, „Berenice“ am 23. und 25. September im Haus der Berliner Festspiele.

Christine Lemke-Matwey

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