zum Hauptinhalt

Kultur: Grünen-Parteitag: Hört die Symbole

Axel Honneth ist Professor von Beruf. Samstagnachmittag trat er vor dem Grünen-Parteitag auf.

Axel Honneth ist Professor von Beruf. Samstagnachmittag trat er vor dem Grünen-Parteitag auf. Der Gesellschaftsanalytiker sprach von "normativen Paradoxien" und beklagte das "gespenstische Verschwinden von Großdemonstrationen". Dann wurde es richtig ruhig unter den 700 Delegierten. Niemand sei für "moralische Desorientierung" so anfällig wie die Grünen. Es fehle der Partei "nahezu jede weltanschauliche Substanz".

Wumm. Da war die Stimmung kurz zuvor besser gewesen, als der bayerische Komiker Gerhard Polt in den Saal rief: "Eure Zukunft ist nicht schwarz!" Seinen Vortrag hatte Polt freilich an ein fiktives afrikanisches Publikum gerichtet, dem er aus bajuwarischer Sicht die Demokratie erklärte. Der Saal Nummer vier des Messegeländes tobte.

Auch eine Orientierungskrise: Honneth oder Polt, Reden über "advokatorisch-diskursive Ansätze" oder Jux. Beide, der Professor und der Komiker, sollten die Basis bedienen, die in Stuttgart hin- und hergerissen war. Denn zwei Emotionen finden sich in der Delegierten-Brust. Da ist die gute Stimmung, da sind gute Umfragewerte und Ansätze einer Versöhnung mit der fernen Regierung in Berlin. Entspannung, Zusammenraufen, das allmähliche Ankommen in der Akzeptanz der Machtzwänge. Doch da ist auch ein Gegentrend. Die Entfremdung der Basis von Fischer und Trittin bleibt.

Eine niedersächsische Delegierte Mitte 20 schüttelt sich bei Polt vor Lachen und hört Honneth aufmerksam zu. Ihre Haare sind nicht gefärbt; ihre Kleidung weist nicht auf grüne Ursprünge hin. "Nicht einmal Trillerpfeifen dürfen bei dieser Parteitagsregie mehr verteilt werden", schimpft sie. Trillerpfeifen als Maßstab für die Basisnähe?

Michael Fischer, achtzehn Jahre und aus München, hat keine Trillerpfeife, aber einen Ring in der Unterlippe. Er stand mit anderen Demonstranten am Samstagabend vor dem Parteitag und forderte: "Atomausstieg jetzt". Delegierte klärten ihn über Machtverhältnisse, gangbare Wege und Koalitionszwänge auf. "Kommt Ihr Euch nicht beschissen vor?", fragte der junge Herr Fischer. "Natürlich", sagten die Delegierten, wandten sich ab und gingen zurück in den Saal.

So müde ist die Basis? Das, was die Basis drinnen zu sagen hatte, war alles andere als phlegmatisch. Die "hundertfache Verdünnung" grüner Positionen wurde gegeißelt. Es gebe kaum Freiwillige, die in den Landtagswahlkämpfen Plakate kleben wollen. Der Funke springe nicht über von Berlin in die Kreise. Nein, die Basis geht noch immer nicht pfleglich mit der Spitze um. Vor der Wahl Claudia Roths zur Parteichefin durften Fragen an die Kandidatin gestellt werden. Gefordert wurden Bekenntnisse. Dass Rüstungsexporte in die Dritte Welt etwas mit dem Hunger dort zu tun hätten, habe sie unterschlagen, rügte einer. Dass Esperanto die Lösung des europäischen Sprachenstreits wäre, dürfe man nie vergessen. Dass sie sich das Attribut "links" nicht um den Hals hänge, wie das denn bitte zu verstehen sei. Die Mitte tauge nichts, "da drängeln sich ja schon sieben oder acht Parteien".

Etliche Stunden später, deutlich nach Mitternacht im Restaurant "Granada", jammern hohe grüne Funktionsträger über den Utopismus der Basis. Nur selten im Verlauf des Parteitages wird der Graben zwischen Basis und Führung in scharfen Mahnungen von oben sichtbar. Dann etwa, wenn der Politische Bundesgeschäftsführer Reinhard Bütikofer Delegierte zurechtweist, er verbitte sich die Behauptung, die Bundeszentrale habe Debatten und Themen verhindert. Schließlich funktionierten auch die Grünen nach dem Prinzip, dass Macht nach oben delegiert werde - demokratisch.

In der Debatte über die Trennung von Amt und Mandat sagt die nordrhein-westfälische Vize-Fraktionsvorsitzende Barbara Steffens: "Es gibt ein paar Grundgedanken, die uns wichtig sind, und an denen sollte man auch festhalten!" Ein schlichter Satz, eben deshalb umjubelt. Bärbel Höhn, die Umweltministerin in ihrem NRW, habe doch nicht weniger Gewicht, weil sie ihr Mandat niedergelegt habe. Da sagen "die Berliner" etwas ganz anderes. Der Begriff "Fetisch" wird lanciert, "festgebissen" habe sich die Partei an etwas, das inhaltlich längst so verwässert sei, dass nur Symbolik bleibe. Symbolik ist Heimat für die Basis. Daher wohl auch die Debatte, ob die Grünen sich als "eine Alternative" oder nicht lieber doch als "die Alternative" anpreisen sollten.

"Modernisierungskritische Modernisierer" seien die Grünen, meint Bütikofer. Einer seiner Mitarbeiter debattierte die Nacht über, wie man es vermitteln könne, dass die Grünen eben nicht einen oder zwei zentrale Werte haben, sondern einen "Werte-Mix" repräsentieren. Der Mix als Ideal ist schwer zu vermitteln. Vor allem der Basis.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false