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Kultur: Gruppenbild mit Flughafen

Endspurt beim Musikfest: Philharmoniker im Hangar

Nicht nur künstlerisches, sondern gesellschaftliches Ereignis ist das Konzert, das die Berliner Philharmoniker zum Abschluss des Musikfests im Flughafen Tempelhof geben. Der Hangar ist beheizt und für den Abend nobel zurechtgemacht, er schafft ein Podium für Tausende Philharmoniker-Getreue, Enthusiasten der Neuen Musik und Berliner Kulturverantwortliche, für ein Ereignis, dem man nicht nur beiwohnt, sondern durch das man selbst nobilitiert wird. Allein der Aufwand, den es kostet, sich zum Flughafengelände aufzumachen! Die Entscheidung für den großen Abschlussabend des Musikfests! Die Bereitschaft schließlich, nach der ersten Aufführung von Karlheinz Stockhausens „Gruppen“ für drei Orchester (1955-57) aufzustehen und, wie auf den Tickets annonciert, den Platz zu wechseln, damit das Hörerlebnis beim zweiten Mal ein anderes werde: All das ist fast so gut wie selbst mitzumeißeln am Projekt „Neue Musik in unserer Zeit“.

Entsprechend aufgeladen ist die Atmosphäre. Der Abend drängt der „Gruppen“-Aufführung entgegen, die Michael Boder, Daniel Harding und Sir Simon Rattle gemeinsam leiten. Indes gerät der erste Teil mit Messiaens „Et exspecto resurrectionem mortuorum“ für Holz-, Blechbläser und Schlagzeug von 1964 viel eindrücklicher: Rattle nimmt sich Zeit, hört den Klängen nach, lässt sich und das Orchester tragen von der halligen Akustik, verschafft dem Tamtam-Spieler Gelegenheit, maximal laut zu schallern, gibt den Klangfarben so viel Raum, wie er den trockenen Schlägen im fünften Satz Ruhe gewährt, und öffnet zuletzt die Liegeakkorde, bis das Ensemble tönt wie eine Kirchenorgel, bei der alle Register gezogen sind. Gerade die Soli im Abschnitt „Christus, von den Toten auferweckt, stirbt nicht mehr“ zeigen, wie reich diese Musik klingt, wenn Spitzenkräfte am Werk sind: Kristallklar sprechen Oboe, Klarinette und Flöte miteinander.

Freilich wird es das Geschliffene, Überlegene, wenig Fiebernde sein, das der Aufführung der „Gruppen“ abträglich ist. Dass es ungeheuer schwierig ist, durch die spröde, mitunter wild hochfahrende, seriell organisierte, nur hie und da von freien Einschüben durchbrochene Komposition Stockhausens zu führen, die Disparität zwischen den Ensembles aufrechtzuerhalten und diese zugleich nicht aneinander vorbeizulassen, wird an diesem Abend kaum anschaulich. Zumal die Philharmoniker kultiviert bis in die Fingerspitzen spielen und sich von den „Gruppen“ keineswegs nervös machen lassen.

Vor allem im hinteren Teil des Saals klingt das Ganze wie ein abgeklärtes Stück klassische Moderne: der ganze Abend ein Zeichen dafür, dass man weiß, was gut ist und einst revolutionär war. Und zugleich der unfreiwillige Beweis, dass sich die alten Zeiten nicht immer in die Gegenwart übersetzen lassen. Christiane Tewinkel

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