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Guardini-Professur: Grüne Gummibärchen

„Seele und Unsterblichkeit“: Edmund Runggaldier korrigiert in seiner öffentlichen Antrittsvorlesung, an der in Berlin neu eingerichteten Guardini-Professur der Humboldt-Universität, vertraute Jenseitsvorstellungen.

Von Gregor Dotzauer

Heimlich, könnte man sagen, sind wir alle naive Katholiken geblieben. Wer ein Bewusstsein von sich selbst als Person hat, hat automatisch eine Vorstellung von dem, was Seele bedeutet. Wer sich eine Vorstellung von der Seele macht, denkt im selben Moment ihr Verhältnis zum Körper mit. Und wer dabei, auch wider besseres Wissen, nicht die Seele als die Hauptsache betrachtet, verstößt gegen die eigene Intuition. Kurz: Im Alltag sind wir seit gut 2000 Jahren bei einem platonischen Idealismus hängen geblieben und nicht einmal zum differenzierteren, aristotelisch fundierten Dualismus von Thomas von Aquin vorgedrungen.

Schlimmer noch: Wie bei dem meisten, das die christliche Religion verhandelt, lässt sich auch die Unsterblichkeit nicht einfach aus unserer Vorstellungswelt tilgen, selbst wenn man von der bedingungslosen Endlichkeit der eigenen Existenz überzeugt ist. Der Kinderglaube, man werde nach dem Tod vom Himmelreich aus auf das Strampeln und Hampeln hienieden herabsehen, wirkt nach wie vor als mächtiges Antidepressivum, unbekümmert um alles, was die katholische Theologie heute diskutiert.

Halt, sagt da in seiner öffentlichen Antrittsvorlesung Edmund Runggaldier, der Ludger Honnefelder auf der neu eingerichteten Guardini-Professur der Humboldt-Universität nachfolgt. Prüfen wir erst einmal, was unser Reden von Seele und Unsterblichkeit meint. Der Jesuit bietet dabei das Äußerste an Transparenz, Scharfsinn und weltanschaulicher Offenheit auf, was man diesem Thema angedeihen lassen kann – und das mit einem ordentlichen Südtiroler Schalk im Nacken.

Als analytischer Philosoph erklärt er nicht, wie die Seele nach dem Tod beschaffen sein und worauf sich ihre Unsterblichkeit gründen könnte. Er fragt, unter welchen Voraussetzungen sich Unsterblichkeit überhaupt denken lässt. Das heißt: Er untersucht die logische Struktur von Aussagen. Was wiederum heißt: Er legt erst einmal fest, was es bedeutet, von Zeit und Raum und Ewigkeit zu sprechen, bevor er darüber urteilt, was man widerspruchslos behaupten kann. Dabei kann ihm auch der entschiedenste Atheist folgen, während der Christ womöglich schon von bestimmten Fantasien Abschied nehmen muss.

Es geht Runggaldier um nichts anderes als die Rationalisierung von Religion – nicht ohne zu markieren, wo der Sprung in den Glauben stattfindet. Rationalisierung ist hier nicht Vernichtung von Religion. Sie versucht nur, die Beliebigkeit von Jenseitsvorstellungen zu begrenzen. Sonst könnte man, getreu einem apokryphen Haribo-Evangelium, ebenso daran glauben, dass alle Lebewesen als grüne Gummibärchen wiedergeboren werden.

Die Fragen beginnen schon bei den ganz untheologischen Grundannahmen. Geht man mit den „Äternalisten“ von einem vierdimensionalen Raum-Zeit-Kontinuum aus, in dem die Objektivität der Zeit eine Illusion ist und es weder Entstehen noch Vergehen gibt? Dann könnte man immer wieder an ein personales Selbst anknüpfen, dessen Identität in mal dichteren, mal weniger dichten Raum-Zeit-Phasen zu finden ist. Oder hält man es mit den „Präsentisten“, die an der Objektivität des Zeitpfeils festhalten und Identität als endloses Weiterexistieren im Jetzt denken? Dann müsste man sich auf Lücken in der personalen Existenz gefasst machen. Denn was geschieht zwischen Tod und Auferstehung? Und: Erweckt Gott das alte Fleisch zum ewigen Leben oder schenkt er neues?

Vertrauen wir christlichen Materialisten oder ehernen Substanzdualisten wie dem Oxforder Religionsphilosophen Richard Swinburne, der gegen alle neurowissenschaftlichen Erkenntnisse auf den Leib als Träger geistiger Eigenschaften nicht angewiesen sein will? Mit Karl Rahner behauptet Runggaldier jedenfalls, Unsterblichkeit bedeute nicht, „dass es nach dem Tod ‚weitergeht’, als ob nur (um mit Feuerbach zu sprechen) die Pferde gewechselt wären und dann weitergefahren würde. Nein, der Tod setzt für den ganzen Menschen ein Ende.“

Edmund Runggaldier favorisiert Aristoteles’ Begriff des beseelten Organismus und Thomas von Aquins Auffassung von Ewigkeit als Abwesenheit von Zeit: ein in Gott gegebenes totum simul, in dem alles ganz zugleich ist. Was immer daran als Sophisterei erscheinen mag, es ist in seiner fein instrumentierten Argumentation ein notwendiges Korrektiv zu den oft unreflektierten, plump realistischen Äußerungen der Hardcore-Naturalisten, für die sich alles Denken und Empfinden auf chemisch-physikalische Prozesse reduziert. Glauben muss man deshalb noch lange nicht.

In „Diary of a Bad Year“, dem jüngsten, noch nicht auf Deutsch erschienenen Buch des südafrikanischen Nobelpreisträgers J. M. Coetzee, das zu einem wesentlichen Teil aus Miniaturessays eines fiktiven Autors besteht, der seinem Schöpfer zum Verwechseln ähnelt, findet sich auch ein Kapitel über das Leben nach dem Tode. „Es ist überraschend“, heißt es darin, „dass sich in intellektuell ehrenwerten Varianten des Christentums hartnäckig die Vorstellung eines individuellen Lebens nach dem Tode hält. Sie schließt so offensichtlich eine Lücke – eine Unfähigkeit, eine Welt zu denken, von der der Denkende abwesend ist – dass Religion eine derartige Unfähigkeit als Grundbestandteil des menschlichen Daseins zur Kenntnis nehmen und es damit bewenden lassen sollte. Das Fortdauern der Seele in einer unerkennbaren Form, sich selbst unbekannt, ohne Erinnerung, ohne Identität, ist eine ganz andere Frage.“

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