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Kultur: Gucken im Verein

Der Brite Jack Howard bringt mit seiner neu gegründeten Berlin Film Society Kinofreunde zusammen. Am Samstag veranstaltet er ein Mini-Festival.

„Wir sind hoffnungslos abhängig von sozialen Medien. Wir sind viel zu online. Wir sind alle Opfer unserer Smartphones und Laptops.“ Der Mann, der diese Sätze sagt, ist kein kulturpessimistischer Verfechter des analogen Zeitalters. Jack Howard ist 24 Jahre alt, kommt aus London, studiert Literaturwissenschaft an der Freien Universität und ist beinahe ein Vertreter der Generation, die man digital natives nennt, weil sie von klein auf mit digitaler Technik vertraut sind. Aber eben nur beinahe. „Die Schüler in den Klassen unter mir hatten alle Handys und Facebook“, sagt Howard. „Die kulturelle Lücke zu meinen Eltern ist kleiner als die zu meiner 15-jährigen Schwester.“

Was Jack Howard sagt, entspricht genauso wenig dem üblichen Ton des jungen Berliner Kulturschaffenden wie sein Erscheinungsbild. Im Gegensatz zur tatsächlichen oder sorgfältig inszenierten Nachlässigkeit der Nerds und Hipster kommt Howard frisch rasiert, mit akkuratem Seitenscheitel, blau-weißem Hemd und grauem Mantel daher. Wenn er nicht mit dem Fahrrad, sondern auf einem Moped käme, dann wäre er geradezu eine Inkarnation des Mod, jener britischen Subkultur der sechziger Jahre, die sich durch ihr modebewusstes Auftreten von den übrigen Jugendlichen absetzte.

„Ich bin natürlich ein Heuchler, weil ich selbst ständig Computertechnik nutze“, schränkt Jack Howard sogleich ein. „Ohne Handy, Facebook und E-Mail könnte ich gar nicht machen, was ich mache.“ Was er macht, ist sein Gegenmodell zu den herrschenden virtuellen Netzwerken unserer Zeit: die Berlin Film Society.

Als er vor eineinhalb Jahren für seinen Masterabschluss nach Berlin kam, kannte er niemanden. Er ging kaum ins Kino, obwohl er leidenschaftlicher Filmfan ist. Er empfand die Kinobesuche als isolierend und vermisste die soziale Komponente. Also gründete er einen Filmklub mit monatlichen Veranstaltungen und Rabatten für Mitglieder. Ein klassisches Modell, das auf große Resonanz stößt. Viele Leute wundern sich, dass es so etwas in Berlin nicht schon viel länger gibt. „Oft werde ich gefragt, wie lange ich schon für die Berlin Film Society arbeite“, sagt Howard. „Denen ist nicht klar, dass das etwas ist, was ich im Februar erst gegründet habe.“

Die erste Vorführung fand während der diesjährigen Berlinale statt, im Babylon Mitte, das auch Festivalkino ist. Anlässlich des Black History Month, einer aus den USA stammenden Initiative zur Würdigung des geschichtlichen Beitrags der Afroamerikaner, wählte Howard den britischen Independent-Film „Dreams of a Life“. Es kamen 150 Gäste. „Das war ein sehr guter Startschuss für die Reihe und eine tolle Bestätigung“, sagt Howard. „Wenn man mit so etwas wie der Berlinale mithalten kann, dann muss es schon eine sehr attraktive Veranstaltung sein.“ Seitdem gab es an wechselnden Orten jeden Monat eine Vorführung, während die Zahl der Mitglieder kontinuierlich wächst.

Die nächste Veranstaltung der Berlin Film Society findet an diesem Samstag statt: Unter freiem Himmel werden im Cassiopeia sieben preisgekrönte Kurzfilme gezeigt. Sie kommen aus Brasilien, England, Rumänien, Südkorea und den USA, waren in Deutschland teilweise noch nie zu sehen. Sie dauern zwischen sechs und zwanzig Minuten, zusammen sind sie so lang wie ein durchschnittlicher Spielfilm. Kurzfilme liegen Jack Howard besonders am Herzen, sie erinnern ihn an die Zeit, als vor den Filmen Vorfilme und die Nachrichten gezeigt wurden, eine Zeit also, in der das Kino noch eine soziale Funktion hatte.

Natürlich ist die Konkurrenz in Berlin sehr groß, räumt Howard ein. Sein Erfolgsrezept: originelle Veranstaltungen, die nur ein einziges Mal stattfinden. Wer mehrere Termine zur Auswahl habe, findet er, verschiebe seinen Besuch leicht so lange, bis es zu spät sei. Ein aktueller thematischer Bezug wie im Februar zum Black History Month ist ihm bei seiner Planung wichtig, im August wird es der Jamaikanische Unabhängigkeitstag sein, zu dessen Anlass der Kultfilm „Rockers“ von 1978 gezeigt wird, stilecht im Reggae-Club Yaam, direkt an der Spree. „Das ist ein einzigartiger Laden“, schwärmt Howard. „An einem heißen Tag denkt man, man wäre versehentlich nach Jamaika gereist.“

Für die Zukunft wünscht sich Howard, dass die Berlin Film Society irgendwann so wichtig wird, dass Produktions- und Verleihfirmen auf ihn zukommen und ihn bitten, Premieren und Sondervorführungen für sie zu organisieren. Bis dahin genießt er es allerdings, völlig allein und ziemlich spontan über das Programm zu entscheiden. Ein Mitspracherecht der Mitglieder gibt es nicht. „Ich bin ein ziemlicher Diktator, wenn ich eine Sache leite“, gibt Howard zu. Ihm gefällt die Idee, eine Marke zu kreieren, die womöglich fortbesteht, wenn er Berlin nach Abschluss seines Studiums wieder verlässt.

Einmal ist ihm das bereits gelungen, in Manchester, wo er sein Studium begonnen hat. Dort gründete er die Manchester University Society for Emerging Artists, die Gesellschaft für aufstrebende Künstler, kurz Musea. Als er Manchester nach drei Jahren verließ, übernahmen andere die Führung, heute wächst die Gesellschaft noch immer. Für die Zukunft plant Howard eine Zusammenarbeit zwischen Musea und der Berlin Film Society.

Wer Mitglied werden möchte, kann auf den monatlichen Veranstaltungen oder in der englischen Buchhandlung Dialogue Books in der Schönleinstraße einen Mitgliedsausweis kaufen. Dieses klassische, konservative Element ist ihm wichtig. „Sein ganzes Leben am Computer zu verbringen, ist doch deprimierend“, meint Howard. „Ich stelle mir vor, dass irgendwann jemand mit einer Zeitmaschine in die Vergangenheit reist, um den Erfinder des Computers zu töten“. Bis es so weit ist, muss der Dominanz von virtuellen Netzwerken mit anderen Mitteln getrotzt werden. Die Berlin Film Society ist dafür ein vielversprechender Ansatz.

Future Shorts Film Festival, Samstag, 14. Juli, ab 20 Uhr im Cassiopeia, Revaler Straße 99, Friedrichshain. Mehr zum Programm unter http://berlinfilmsociety.com

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