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Kultur: Gut gespielt, Löwin!

Es begann mit einem Überraschungserfolg. Nun startet das „Young Euro Classic“-Festival zum vierten Mal. Gabriele Minz, Organisatorin des Berliner Jugendorchestertreffens, liebt das Risiko – und hat große Zukunftspläne

„Beginne mit einem Erdbeben und steigere dich langsam.“ Billy Wilders Ratschlag für Drehbuchautoren hat Gabriele Minz in ihrem Leben schon öfter beherzigt. Als sie vor vier Jahren mit einer Hand voll Freunden auf die Idee kam, in Berlin ganz ohne städtische Subventionen ein europäisches Jugendorchestertreffen zu organisieren, begegnete man ihr vor allem mit mildem Lächeln. Sich für den Musikernachwuchs zu engagieren, schön und gut – aber wie will eine Unternehmensberaterin ohne Kulturmanagementerfahrungen so ein Mammutprojekt auf die Beine stellen?

Mit Professionalität, antwortete Gabriele Minz, und ohne die einengenden Vorschriften des Musikbetriebs. Sie knüpfte Kontakte, tingelte durch Chefetagen, plauderte auf Empfängen und Partys, warb ebenso hartnäckig wie charmant um Sponsorengelder – und bekam so tatsächlich das Geld für das erste „Young Euro Classic“-Festival zusammen.

Kassengift? Neugier!

Im August 2000 startete das ehrgeizige Unternehmen im Konzerthaus am Gendarmenmarkt – und wurde ein Überraschungserfolg. Niemand, auch nicht Gabriele Minz, hatte damit gerechnet, dass die Idee so einschlagen würde. Genau das war es offensichtlich, was Berlin im Sommer brauchte: junge Leute, die aus ganz Europa zusammenströmen, um mit rückhaltlosem Engagement Musik zu machen, dazu Einheits-Ticketpreise auf Kinokassenniveau. Wenn am kommenden Freitag das Festival nun in seine vierte Saison startet, erwartet man am Gendarmenmarkt mindestens so viele Zuschauer wie im vergangenen Jahr: über 20000.

Dabei ist der Anspruch der Macher nicht gerade populistisch: Musik des 20. und 21. Jahrhunderts bildet den Schwerpunkt der Programme. Jedes Land ist zudem aufgefordert, die Uraufführung eines einheimischen Komponisten beizusteuern. Eine Jury aus klassikbegeisterten Laien vergibt am Ende einen mit 5000 Euro dotierten Preis. So viel Unbekanntes und Ungewohntes ist gewöhnlich pures Kassengift. Wo nicht Beethoven, Brahms oder Bruckner draufsteht, ist in den Berliner Konzertsälen normalerweise auch kein Publikum drin.

Allein, für das Festival „Young Euro Classic“ gilt diese Regel nicht. Denn dessen Stammpublikum hat jenen Geist wiederbelebt, mit dem die Besucher bis vor 70 Jahren Ur- und Erstaufführungen begegneten: den der Neugier. Erst zuhören, dann meckern, lautet das Motto. Und so mancher Musikmuffel musste nach dem Konzert zugeben, dass ihm die Neue Musik gut gefallen hatte. Dabei hilft ein Faktor, den Gabriele Minz als Unternehmensberaterin zu schätzen weiß: „Young Euro Classic“ ist längst ein fest auf dem Markt etabliertes Markenprodukt. Das funktioniert bei Klassik nicht anders als bei Waschmittel: Wer gute Erfahrungen gemacht hat, wird zum treuen Kunden und ist gleichzeitig bereit, neuen Produkten „seiner“ Firma einen Vertrauensvorschuss zu gewähren. Wer also die lockere Atmosphäre des Festivals schätzt, kauft sich auch dann eine Karte, wenn er die angekündigten Werke nicht kennt.

Das Jugendorchestertreffen im Konzerthaus ist auch aus anderen Gründen einmalig: Ebenso wichtig wie die Aufführungen ist Gabriele Minz das Drumherum: „Das Festival soll wie ein Ball sein, der auf die Besucher zurollt.“ Also setzte sie durch, dass die Gäste über die große Freitreppe zum Saal hinaufsteigen dürfen (statt wie sonst den unteren Eingang nehmen zu müssen). Also kämpfte sie wie eine Löwin, bis alle bürokratischen Bedenken gegen einen blauen Teppich mit gelben Europasternen auf den Stufen ausgeräumt waren. Sie animierte die Botschaften, nach den Konzerten ihrer nationalen Ensembles Empfänge auszurichten. Und sie erfand das Prinzip der Konzert-Paten, überredete Sabine Christiansen, Dominique Horwitz, Jobst Plog oder Christina Weiss, vor Konzertbeginn von ihrem Verhältnis zur Musik zu erzählen.

Gabriele Minz kam über Umwege zur Klassik. Geboren im Westerwald, studierte sie zunächst in Mainz Volkswirtschaft, kam dann nach Berlin, studierte zusätzlich Psychologie. Sie zog zwei Kinder groß, trat in eine Unternehmensberatung ein, leitete später ein mittelständisches Unternehmen und machte sich schließlich selbstständig. Inzwischen wohnt die Mittfünfzigerin seit 33 Jahren in Berlin – „ein ganzes Jesusleben“. Musikalisch interessierte sie zunächst vor allem der Jazz: „Ich habe immer die Vielfalt der Stile geschätzt und mich auf alle Schattierungen eingelassen.“ Irgendwann stieß sie dann auf die Klassik als eine weitere mögliche musikalische Spielart.

Europas Elite

Für Fachsimpeleien hat Gabriele Minz wenig übrig: „Das mag ich bei Musik so wenig wie bei der Weinprobe, wenn die Kenner mit Spezialausdrücken kommen und bedeutungsvolle Gesichter machen.“ Bei der Arbeit mit den Jugendorchestern lässt sich die selbstständige Geschäftsfrau, die mit der Beamtenmentalität so manches Berufsorchesters wenig anfangen kann, nur zu gerne vom emotionalen Zugang der jungen Musiker mitreißen.

Wenn sie über Zukunftspläne spricht, funkeln ihre Augen. Zwar ist die weitere Finanzierung von „Young Euro Classic“ unsicher: Die beiden öffentlichen Geldgeber, die Europäische Union und der Hauptstadtkulturfonds, dürfen aus formalen Gründen ab 2004 nicht mehr fördern. Dennoch hat sie längst ein neues Projekt im Kopf. Sie will jedes Jahr im August die junge Elite Europas in Berlin zusammenführen. „Parallel zum Festival würde ich gerne unter dem Titel ,Young Euro Connect’ Spitzennachwuchskräfte aus Politik und Wirtschaft zusammenbringen, die in einer einwöchigen Arbeitsphase Konzepte entwickeln, die nicht nur wie Abschlusskommuniqués von EU-Gipfeln klingen“, schwärmt Minz. „Und die Konzerte am Abend wären dann Riesenfeten der europäischen Jugend!“

Die Sondierungsphase läuft auf Hochtouren. Dass es derzeit leicht ist, bei der EU Gelder für bilaterale Treffen zu bekommen, für multilaterale Projekte dagegen nicht, reizt den Kampfesgeist von Gabriele Minz. Getreu ihrem Credo: „Unternehmen müssen ein gewisses Aggressionspotenzial haben, damit die Firma läuft.“

Das Festival startet am Freitag, dem 8. August, mit der der Janacek Philharmonie im Konzerthaus. Es dauert bis zum 24.8. Die Tickets kosten 8,50 Euro. Tel. 030/53 02 60 60. Informationen: www.young-euro-classic.de

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