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"#636, 2010-2013" von David Reed

© Reedstudio, Christopher Burke

Hamburger Bahnhof: David Reed und Mary Heilmann: Kunst kommt von Küssen

Der Hamburger Bahnhof zeigt ein gewagtes Amerika-Duett: Die Abstraktionen von Mary Heilmann und David Reed hängen dicht nebeneinander.

Wer kombiniert schon Streifen mit Karos oder trägt bunte Punkte zu Camouflage? Ein Mode-Wahnsinniger vielleicht. Eine extrovertierte Seele. Und nun auch die weiß verputzten Wände im Hamburger Bahnhof. Sie haben einiges gesehen in der Vergangenheit, wohl aber keine Bilder, die sich so nahe gekommen sind wie die Werke von Mary Heilmann und David Reed. Das ist absolut wörtlich gemeint: Zwischen die paarweisen Sujets der beiden US-amerikanischen Maler, die zu den einflussreichsten Protagonisten der abstrakten Malerei nach 1970 zählen, passt höchstens eine Handbreit.

Man stelle sich vor, ein Museum brächte die Impressionisten so eng zusammen. Das „Frühstück im Freien“ von Édouard Manet mit Claude Monets verwaschenen Sonnenuntergängen. Undenkbar, denn die divergierenden Auffassungen von Figur, Horizont oder Licht würden sich gegenseitig kannibalisieren. Selbst wenn die beiden Franzosen stilgeschichtlich dasselbe Label tragen. Genügend Abstand, nicht zuletzt ein Zeichen von Respekt, gehört demnach zur Basis kuratorischer Sensibilität.

So dachte man. Und steht nun in der Ausstellung „Two by Two“ vor 19 je unmittelbar nebeneinandergehängten Bilderkombis. Wie es sich mit der Autorenschaft verhält, bleibt relativ erkennbar. Reed kurvt gern mit dem Pinsel über die Leinwand, schafft mäandernde Friese und Streifenbilder in delikaten Farbverläufen. Heilmann bevorzugt die geometrische Abstraktion. Farbe formt in ihren Bildern dünne Linien, Rechtecke oder treppenartige Gebilde, deren Ränder sich meist scharfkantig vom Hintergrund abheben. Vollends emanzipiert haben sich solche Formen in einer strengen Reihe von kubischen Sesseln, die zusammen eine vierzig Meter lange Skulptur im Raum ergeben. Reed wiederum hat ein echtes Doppelbett in die Halle gestellt, seine Installation „Scottie’s Bedroom“ (1994) mit brennender Stehlampe und laufendem Fernseher weist unmissverständlich auf den Einfluss hin, den die neuen Medien auf sein Werk genommen haben: In seinen Farbschleifen artikuliert sich ebenso der dekorative Überfluss des Barock wie die digitale Endlosschleife.

"Cabrillo", ein Beispiel für Mary Heilmanns konzentrierte Geometrie.
"Cabrillo", ein Beispiel für Mary Heilmanns konzentrierte Geometrie.

© Mary Heilmann, Barbora Gerny-Vojtechova

Was aber verbindet ihn mit Mary Heilmann, die Bildhauerei studiert hat und bis heute auch keramische Skulpturen fertigt? Erst einmal sind es die äußeren Faktoren. Beide Künstler wurden in den 1940er Jahren geboren, der eine in San Diego, die andere in San Francisco. Beide stammen sie von der amerikanischen Westküste und tragen dieses Erbe in sich, auch wenn New York das spätere biografische Zentrum bildet. Die Vergangenheit entfaltet ihre Kraft dafür gleich am Eingang zur Ausstellung in zwei Kurzfilmen. Reed, Spross einer künstlerisch überaus kreativen Familie, hat das Haus seiner Eltern mit der Kamera festgehalten, bevor es vor wenigen Jahren verkauft wurde. Die Materialien, das gleißende kalifornische Licht und die exquisiten Designobjekte vermitteln eine Idee der ästhetischen Einflüsse, die für den Blick des Malers auf die Welt prägend waren. Heilmann verbindet derweil ihre Fotografien zu einem Kaleidoskop von Eindrücken. So sieht man fahrende oder parkende Autos, aufgenommen aus der Vogelperspektive eines Hochhauses. Von hier aus schrumpfen die Fahrzeuge zu farbigen Flecken, die sich unmissverständlich als visuelle Vorlagen ihrer Leinwände zu erkennen geben.

"Two by Two": das Vokabular zweier Künstler

Tatsächlich bewegen sich beider Werke schon hier aufeinander zu. Heilmann und Reed verstehen die Abstraktion nicht als Rückzugsort, der ihre Malerei von der Wirklichkeit befreit. Sondern als Möglichkeit, die eigene Wahrnehmung fortlaufend zu reflektieren. Integriert werden Strömungen der jüngeren Kunstgeschichte, auf die beide dann an der Ostküste trafen. Als Zuzügler wohlgemerkt, nicht als Teilnehmer. In New York konzentrierten sich abstrakter Expressionismus, Minimalismus und Pop Art. Tendenzen, die in der Malerei im Hamburger Bahnhof weiter aufscheinen. Bei aller erzählerischen Qualität und emotionalen Kraft sind sie jedoch bloß noch ein Widerhall. Heilmann und Reed stellen sich bewusst in die Tradition der US-amerikanischen Malerheroen. Unmittelbar berührt wird ihre Arbeit davon nicht mehr.

Daraus erwächst die Parallelität. „Two by Two“ zeigt, wie unterschiedlich sich das Vokabular zweier Künstler entwickelt, die strategisch ähnlich vorgehen und sich für dieselben Themen interessieren. Die sich gegenseitig schätzen und das Werk des anderen durch die Jahre verfolgen. Dabei aber niemals auf die Idee gekommen wären, sich so nah zu kommen. Dazu bedurfte es eines dritten Players, der sich nicht scheut, Karos und Punkte, Streifen und Camouflage zusammenzubringen. Der eine temporäre Bindung erzwingt, um zu sehen, was dieses Experiment an Spannung durch Gegensätze oder Übereinstimmung bringt.

Die Konsequenz folgte auf dem Fuß. Sie hätten Udo Kittelmann „a hard time“ beschert, resümiert Mary Heilmann zur Eröffnung. Viel Mühen also – was kaum verwundert angesichts des eigentlich ungeheuren Ansinnens, die Egos zweier Künstler zu nivellieren. Indem man ihre autonomen Bilder wie Teile eines Diptychons behandelt. Ohne Rücksicht auf Farben, Muster und Formate, aber mit viel Gespür für einen zarten Dialog der feinen Dissonanzen. Heilmann hat auch für die körperliche Nähe der Bilder einen schönen Begriff parat. Als ob sie sich küssen würden, so empfindet sie das. Beide Maler betonen, dass ihnen die Kombination wichtige Impulse vermittelt habe. Was genau, bleibt das Geheimnis dieser neuen, jungen Beziehung. Ein Mehrwert, der sich den Künstlern erschließt, während der Besucher schwankt. Er hätte das Werk ebenso gern solo betrachtet, beide Positionen sind für sich stark genug. Aber natürlich nimmt er die Entscheidung ihrer Urheber als temporäre Tatsache hin.

Hamburger Bahnhof, Invalidenstraße 50/51, bis 11. Oktober, Di/Mi/Fr 10–18 Uhr, Do 10–20 Uhr, Sa/So 11–18 Uhr

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