zum Hauptinhalt
Klassiker am Winterfeldtplatz. Eins der Erfolgsstücke des Puppen- und Figurentheaters ist „Der Grüffelo“, nach dem gleichnamigen Kinderbuch. Links im Bild Barbara Kilian, die das Theater gemeinsam mit Siegfried Heinzmann 1981 gegründet hat.

© Doris Spiekermann-Klaas

Hans Wurst Nachfahren droht das Aus: Grüffelo wohnt hier nicht mehr

Letzte Spielzeit? Dem Puppentheater Hans Wurst Nachfahren am Winterfeldtplatz ist gekündigt worden. Barbara Kilian und ihr Ensemble hoffen wenigstens auf eine Verlängerung bis Sommer 2015. Ein Ausweichquartier ist nicht in Sicht.

Der Hase Lodengrün und Direktor Wackelohr im „Sängerkrieg der Heidehasen“. Das Grüffelo-Monster und die furchtlose Maus. Bär und Tiger in „Oh wie schön ist Panama“. Die Freunde „Lotte, Paul und Anton“, die durch dick und dünn gehen. Und all die Märchenfiguren erst, Schneewittchen und die Bremer Stadtmusikanten und Aladin mit seiner Wunderlampe: Für ganze Generationen von Berliner Kindern sind die Puppenfiguren von Hans Wurst Nachfahren ein unverbrüchliches Stück Lebenserinnerung geworden. Das erste Mal im Theater, die Bangigkeit, die Neugier auf dieses seltsame Phänomen ganz in echt und zum Anfassen nah auftretender Fabelwesen und Kinderbuchhelden, die Unruhe, die gespannte Erwartung, der freudige Schreck – dieser Initiationsritus in Sachen Theater findet in Berlin nicht selten bei Hans Wurst statt. Seit 33 Jahren beflügeln deren mannshohe Stab-, Hand-, Marionetten- und Klappmaulpuppen die Fantasie der Allerkleinsten, der Kids, der Eltern, der Großeltern.

Und nun das, noch vor Beginn der Spielzeit 2014/15: „Leider müssen wir Ihnen mitteilen, dass diese Spielzeit unsere letzte sein wird“, teilen die Theaterleute ihrem Publikum via Schaukasten und Website mit. „Das heißt, alle jetzt noch angekündigten Vorstellungen werden unwiderruflich die letzten sein.“ Man mag es kaum glauben. Ist tatsächlich bald Schluss mit dem „Teufel mit den drei goldenen Haaren“, der seit 30 Jahren gespielt wird, mit dem „Gestiefelten Kater“, seit einem Vierteljahrhundert im Repertoire? Läuft im Winter zum letzten Mal „Kaspars schönstes Weihnachtsfest“, geht zu Ostern 2105 gar die ultimative „Heidehasen“-Derniere über die Bühne?

Barbara Kilian versichert am Telefon, dass sie alle zu gerne weiter machen möchten: Regisseur, Puppenbauer und Spiritus Rector Siegfried Heinzmann, die acht freischaffenden Spieler und sie selbst, die das Theater gemeinsam mit Heinzmann Anfang der Achtziger gründete und bis heute für Text, Dramaturgie und alles Organisatorische verantwortlich zeichnet. Aber es müsste schon so etwas wie ein Wunder geschehen. Denn das gelbe Haus am Schöneberger Winterfeldtplatz, das die Hans-Wurst-Spielstätte seit über 20 Jahren in einer ehemaligen Tischlerei beherbergt, wurde im Winter von der TFG Treufonds Verwaltungs GmbH verkauft, von privat an privat. Und der neue Besitzer teilte den Theatermachern kurz vor Pfingsten nun mit, man wolle die Immobilie in der Gleditschstraße 5 ab 2015 anderweitig nutzen.

Noch verhandelt man und hofft auf eine gütliche Einigung, um wenigstens bis zum Sommer 2015 bleiben zu können, zum Ende der nächsten Spielzeit. Kilian möchte den Namen des Neu-Eigentümers deshalb auch nicht nennen. Die Berliner Kulturverwaltung ist ebenfalls eingeschaltet. „Wir sind mit allen Beteiligten im Gespräch“, bestätigt Pressesprecher Günter Kolodziej. „Unser vorrangiges Ziel ist es, eine Übergangsfrist zu erreichen, damit die nächste Spielzeit gesichert ist.“

Und warum zieht die Puppenbühne nicht einfach um? Weil es eben nicht einfach geht. Barbara Kilian ist pessimistisch, was die Möglichkeit betrifft, geeignete Orte zu finden. Und dann der erneute Kraftakt eines Theaterumzugs, Kilian weiß nicht, wie das Ensemble ihn stemmen soll, finanziell, personell, logistisch. Den ersten Umzug hatten sie 1993 bewerkstelligt, nach zwölf Jahren im Kreuzberger Mehringhof. Auch aus dem Senat heißt es jetzt auf Nachfrage, es sei schwer, eine angemessene, bezahlbare Ausweichspielstätte aufzutun.

Eine Bühne für Kinder, erklärt Barbara Kilian, braucht einen breiten Saal, einen intimen Rahmen, damit alle am Geschehen teilhaben können. Ein Dreijähriger in Reihe 20 nähme schlicht nichts mehr wahr. Je nach Bühnengröße können 60 bis 120 Zuschauer eine Hans-Wurst-Vorstellung am Winterfeldtplatz besuchen. Das Haus auf dem Gelände der früheren Kult-Punkkneipe Ruine (im Volksmund: „Urine“) war 1991 mit 1,25 Millionen Euro vom Senat eigens für das Puppen- und Figurentheater umgebaut worden, mitsamt Café und Sonnenterrasse. Der Eigentümer verpflichtete sich im Gegenzug, die Räumlichkeiten mindestens 20 Jahre kulturell zu nutzen. Der Mietvertrag (den die Kulturverwaltung für die Theaterleute abschloss) lief aus, wurde verlängert – bis Ende 2014. Ausgerechnet jetzt, wo der Jahreszuschuss des Senats nach 18 Jahren Nullrunde endlich einmal von 113 000 auf 153 000 Euro erhöht wurde.

Die Leute von Hans Wurst sind Kummer gewöhnt: Immer wieder drohten die knappen Subventionen gekürzt zu werden, immer wieder gab es grünes Licht erst in letzter Sekunde. Ein Los, das die Bühne mit den übrigen freien Theatern der Stadt teilt.

Nicht dass es in Berlin kein anderes Kinder- und Jugendtheater gäbe. Das Angebot ist zum Glück groß, vom Theater in der Parkaue über das Theater Strahl bis zum legendären Grips, vom Prenzelkasper über das Atze Musiktheater bis zur Schaubude. Hans Wurst ist auch gewiss keine Experimentalbühne, an der das Genre revolutioniert würde. Aber das Theater ist doch etwas Besonderes: Puppenspiel im Ensemble gibt es selten, zumal mit liebevoll selbstgefertigten Figuren, in Stücken voller Charme und Sidekicks auch für die Erwachsenen. Nach 62 Produktionen seit 1981 hat sich ein gehöriger Puppenfundus angesammelt. Auch der bräuchte Platz und angemessene Lagerbedingungen bei einem weiteren Umzug, zählen doch allein 25 Stücke weiter zum laufenden Repertoire.

Die Zahlen sprechen ohnehin für sich. 289 Vorstellungen plus Gastspiele gab es 2013, fast alle waren ausverkauft. Das Rekordergebnis: 25 000 Besucher. Wie andere Bühnen auch bieten Hans Wurst neben Kinderstücken zudem Abendprogramme für Erwachsene. Etwa Loriots „Dramatische Werke“, die der Meister zwei Jahre vor seinem Tod höchstpersönlich bestaunte: „Die spielen meine Sketche mit fantastischen, menschengroßen Puppen, aber ohne Knollennasen. Ich war sehr überrascht, denn es war komischer, als ich es für möglich gehalten hatte.“

Also doch auf ein Wunder hoffen? Oder wenigstens die furchtlose Maus markieren, die sich nicht von ImmobilienGrüfellos in die Flucht schlagen lässt? Barbara Kilian sagt es so: „Sollte ein Umstand eintreten, der dazu führt, dass wir hier weitermachen können, tun wir das mit Begeisterung.“ Wenn die erwachsenen Besucher ihr Bedauern über das drohende Ende zum Ausdruck bringen, kann sie das noch halbwegs wegstecken. Aber die Empörung in den Augen der Kinder, die ficht sie an.

Infos: www.hans-wurst-nachfahren.de

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false