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Der Englische Garten mit dem Teehaus ist einer der schönsten Orte im Tiergarten.

© Wikimedia Commons/Fridolin Freudenfett

Harald Neckelmanns Buch „Der Tiergarten“: Wo König und Volk lustwandeln

Könige, Studenten, brave Bürger, Revolutionäre - im grünen Herzen Berlins war Platz für sie alle. Anfangs aber liefen unbefugte Besucher dort Gefahr, unversehens erschossen zu werden.

Friedrich Wilhelm III. galt als volkstümlich und war beim Volk beliebt, schon wegen seiner Luise. Oft spazierte er allein oder eben mit Luise durch den Tiergarten, kehrte wohl auch in einem der Ausflugslokale auf eine Erfrischung ein. Er hatte nur eine Eigenart, die aus der historischen Ferne ein wenig affektiert erscheinen mag: Er bevorzugte eine betont knappe Wortwahl, beschränkte sich beim Verb eines Satzes gerne auf den Infinitiv. Das führte eines Tages zu einer Szene mit einem anderen Spaziergänger, die diesem, vermuten wir mal, unter dem Soldatenkönig noch Spießrutenlaufen oder ähnlich unerfreuliche Reaktionen eingebracht hätte.

Der junge Mann war grußlos an Seiner Majestät vorbeigelaufen, die ihn daraufhin mit einem „Wer sein?“ anraunzte. „Student sein!“, raunzte der zurück, was wiederum ein verärgertes „Esel sein!“ auslöste. Der Student gab nicht klein bei, zahlte in gleicher Münze zurück: „Selber sein!“ Woraufhin beide ohne weiteren Wortwechsel ihres Wegs gingen.

Der Tiergarten ohne Wasser? Undenkbar!  Dafür hatte schon Gartenkünstler Peter Joseph Lenné gesorgt.

© Wikimedia Commons/Leonhard Lenz

Ein hübsche Anekdote, vielleicht zu Zeiten des von 1794 bis 1840 regierenden Königs nur erfunden, dann aber gut. Zudem ein Zeitsplitter, der in einem von verbürgter Tiergarten-Geschichte gerade strotzenden Buch wie dem von Harald Neckelmann über besagte Grünanlage nicht fehlen sollte und dies ja auch nicht tut.

Denn gerade der kurze Zusammenstoß von Hochadel und Bürgertum auf einem Weg durch diesen Tiergarten wirft ein treffendes Schlaglicht auf dessen egalitären Charakter, den er schon damals besaß, jedenfalls tendenziell. Und den er endgültig unter Beweis stellte, als die revolutionären Kräfte sich im März 1848 ihre Bahn brachen, die sich nicht zuletzt in den zu Debattierorten umfunktionierten Gasthäusern am Rande des Tiergartens gesammelt hatten.

Das war nicht immer so. Ursprünglich diente der Tiergarten als kurfürstliches Jagdrevier, eingezäunt und streng bewacht gegen Wilddiebe. Ein unbefugter Besuch dort war lebensgefährlich, wie einer Chronik aus dem Jahr 1674 zu entnehmen ist: „Den 26. July ward des Schönfärbers Sohn aufm Friedrichswerder von einem Jäger im Tiergarten unversehens erschossen.“

Akribisch recherchiert

Autor Harald Neckelmann, ehemals Hörfunk-Journalist, nun Sachbuchautor, Dozent und Stadtführer, hat es mit seinem Buch unternommen, die Geschichte des Tiergartens „Vom Jagdrevier zum Stadtpark“ mit viel Sorgfalt, ja geradezu Akribie nachzuzeichnen, sodass man sich als Leser in dieser Überfülle von historischem Material fast zu verlieren meint.

Dabei hat er sich an die Chronologie gehalten, ordnet den jahrhundertelangen Stoff in neun Kapiteln, fügt 16 mehrseitige Abschnitte über besondere Orte wie die Krolloper, das Sowjetische Ehrenmal oder den Zoologischen Garten bei.

Die Rousseau-Säule, geschaffen von Günter Anlauf, wurde 1987 zum 275. Geburtstag Rousseaus auf der nach ihm benannten Insel im Tiergarten aufgestellt.

© Wikimedia Commons/Jürgen Federau

Hochdramatisches wie das Überleben des Flusspferdbabys Knautschke, später ein besonders prominenter Bewohner des bei Kriegsende weitgehend zertrümmerten Zoos, werden dabei ebenso registriert wie die der Not jener Tage geschuldete Versorgung der Belegschaft mit Krokodilschwanzsuppe.

Was sollte man mit den acht dem Bombenkrieg zum Opfer gefallenen Panzerechsen sonst auch tun? Nur der „Schwarze Peter“ hatte überlebt, der schon betagt war und sich am liebsten unter der Betonbrücke der Krokodilhalle aufhielt. Das war seine Rettung.

Immer wieder war der Tiergarten auch Schauplatz historischer Großereignisse, deren genaue Umstände kaum noch im öffentlichen Bewusstsein sind, vom Autor aber zuverlässig wieder in Erinnerung gerufen werden.

Die Szene mit Bruno Ganz, Otto Sander und der goldenen Viktoria in Wim Wenders’ „Der Himmel über Berlin“ ist unvergessen, ebenso der Sprengstoffanschlag der „Revolutionären Zellen“ auf die Siegessäule am 15. Januar 1991. Aber wer weiß schon noch, dass bereits bei der Einweihung des Denkmals am 2. September 1873 ein Attentat geplant, aber verhindert worden war.

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