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Kultur: Harnoncourt beim Berliner Philharmonischen Orchester

Die untrüglichen Anzeichen des "Harnoncourt was here" erkennt man schon vor dem Konzertbeginn: Dort, wo sich im Zentrum des Philharmonie-Podiums normalerweise ein Podest den Dirigenten erhebt und zugleich Distanz zum Orchester schafft, ist nichts. Nikolaus Harnoncourt, der Gegenpapst der Alten Musik, wird gleich mitten unter den Musikern sein, so nahe, dass er mit seinen heftig deklamatorischen Gesten in Gefahr steht, die Notenpulte umzuwerfen.

Die untrüglichen Anzeichen des "Harnoncourt was here" erkennt man schon vor dem Konzertbeginn: Dort, wo sich im Zentrum des Philharmonie-Podiums normalerweise ein Podest den Dirigenten erhebt und zugleich Distanz zum Orchester schafft, ist nichts. Nikolaus Harnoncourt, der Gegenpapst der Alten Musik, wird gleich mitten unter den Musikern sein, so nahe, dass er mit seinen heftig deklamatorischen Gesten in Gefahr steht, die Notenpulte umzuwerfen. Weniger Hierarchie signalisiert das und zugleich mehr Kontrolle. Denn bei jemandem, der wie Harnoncourt kein taktschlagender Kapellmeister ist, sondern seine Ideen eher mit suggestiver Körpersprache vermittelt, braucht es erhöhte Konzentration, um beim klangrednerisch gestauchten und gerafften Motivfluss präzis zu bleiben.

Harnoncourt ist ein Musiker der schroffen Gegensätze, für diesem Abend hat er mit Beethovens Achter und Mendelssohns "Das Märchen von der schönen Melusine" zwei Werke ausgesucht, die in ihren Schwarzweiß-Kontrasten seiner Neigung besonders entgegenzukommen scheinen. Schon bei Mendelssohn stellt er vor allem den charakterlichen Kontrast zwischen dem lyrischen, in der Klarinette wie Luftbläschen emporsteigenden Thema der Meerjungfrau und dem zweiten, bedrohlich herabpolternden Motiv heraus. Da wirkt jedes für sich, doch ohne ineinanderzugreifen, sich zur spannungsvoll erzählten Geschichte aufzuaddieren - wenn zum Schluss noch einmal zart das "Melusine"-Thema aufscheint, könnte bei Harnoncourt im Grunde das Stück wie ein perpetuum mobile von vorn beginnen.

Es bleibt, auch in der Beethoven-Sinfonie, bei einem Patchwork einzelner Motive - wo jede Schlussfloskel der Blechbläser so brachial ausgereizt wird und lyrische Stellen so überdehnt werden, dass sie nurmehr lasch klingen, erschöpfen sich Überraschungsreize schnell. Nur momentweise, wie im scherzando-Wechselspiel der Streicher im zweiten Satz, leuchtet ein Funke von Beethovens Witz auf, um gleich darauf wieder zu verglimmen. Und: Wann hätten die Philharmoniker je so spröde und stumpf geklungen wie an diesem Abend? Waren sie es überhaupt (man sieht viele fremde Gesichter an den Pulten)?

Zwischen Mendelssohn und der Sinfonie gab es Beethovens drittes Klavierkonzert, vom finnischen Pianisten-Exzentriker Olli Mustonen zur willkürlichen Ego-Show umfunktioniert. Kaum eine Phrase blieb ganz, von willkürlich herausgehauenen oder bis zur Unhörbarkeit wegkippenden Tönen nur wie mit einem akustischen Wackelkontakt übermittelt. Anders ist eben nicht immer interessanter.Noch heute und morgen, 20 Uhr.

Jörg Königsdorf

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