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Kultur: Harnoncourt dirigiert im Berliner Konzerthaus

Es war eine Konstellation, die alle Konzert-Herrlichkeit der Welt versprach, die Hoffnung weckte auf jenen Glanz, der in seltenen Momenten aus dem Innern der Musik aufglüht. Ein ausverkauftes Konzerthaus fieberte Johann Sebastian Bachs Johannes-Passion mit Nikolaus Harnoncourt und seinem Concentus Musicus entgegen.

Es war eine Konstellation, die alle Konzert-Herrlichkeit der Welt versprach, die Hoffnung weckte auf jenen Glanz, der in seltenen Momenten aus dem Innern der Musik aufglüht. Ein ausverkauftes Konzerthaus fieberte Johann Sebastian Bachs Johannes-Passion mit Nikolaus Harnoncourt und seinem Concentus Musicus entgegen. Schließlich sollte ein Werk zur Aufführung kommen, das zum rhetorisch geschärften Interpretationsstil des Dirigenten passt wie kaum ein zweites: Dramatisch drängt das Passionsgeschehen voran, schrill flackern die Einwürfe des Volkes auf, unterbrochen durch nur wenige meditative Arien. Für einen beredten Erzähler wie Harnoncourt eine fesselnde Aufgabe. Doch der Dirigent, der nach der Alten Musik nun auch bis zu Wagner vorgedrungen ist, bewies an diesem Abend einmal mehr, dass er in ihn gesetzte Erwartungen auch klar zu enttäuschen vermag.

Seine durchwegs getragenen Tempi konnten im gewaltigen Eingangschor "Herr, unser Herrscher" noch einen Zugewinn an Deutlichkeit schaffen: Die Reibung zwischen den feierlich schreitenden Streichern und den in klagende Dissonanz gekippten Flöten und Oboen erreichte ein Höchstmaß an schmerzlicher Gewissheit. Die herben "Herr"-Rufe des glänzend aufgelegten Arnold-Schönberg-Chores komplettierten eine bis ins Detail ausgeleuchtete Szenerie, die das Leiden Christi für die Welt als Beweis Gottes mit machtvoll grollendem Bassfundament in den Saal stellte.

Doch mit der einsetzenden Passion tritt Harnoncourt hinter den dramatischen Verlauf von Verrat und Anklage, Verurteilung und Kreuzigung zurück. Die ätzende Schärfe, die Bach den Chören des Volkes mitgegeben hat, die kaum verhohlene Mordlust, die Bigotterie der Gesetzeshüter lässt sich unter seiner Leitung nur erahnen. Die Strenge, mit der sich der Lebensweg Jesu auf sein Ende zubewegt, droht aufzuweichen. Zum Stillstand gelangt der musikalische Fluss in den Arien, die Harnoncourt auch dann nicht animierend auffängt, wenn Begleitung und Sänger sich hörbar verpassen. Mit fast unheimlicher Starre nimmt der 70-Jährige hin, was man bei ihm nie für möglich gehalten hat: ein Verebben des Pulses, das Verstummen der musikalischen Rede. Auch das hochkarätige Solistenensemble blieb hinter den Erwartungen zurück. Robert Holl verlieh der Partie des Jesus fraglos Autorität, jedoch mit deutlich wagnerischem Gestus - das war des Guten zuviel. Matthias Goerne hatte die Rolle des Pilatus bereits vor seiner Arie mit einer kratzigen Stimme bestraft, während Ruth Ziesak allzu leichtwichtig und ohne Kontakt zu den begleitenden Musikern die Höhen durchglitt. Nicht dramatisch angesichts eines superben Chores, sagen sie? Vielleicht, wenn nicht Harnoncourt dirigiert hätte.

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