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Kultur: Hart wie Samt und Seide

Zur Ehre des Allerhöchsten: Es werden wieder Kirchen gebaut – und der Sichtbeton erlebt eine Renaissance in der sakralen Architektur

Die Kirche lebt – auch in „religiös unmusikalischer“ Zeit, wie es der Philosoph Jürgen Habermas sagen würde. Zumindest ist in den letzten Jahren wieder eine bemerkenswerte Zahl an Sakralbauten neu errichtet worden. Neigten die Kirchen in den Siebzigern dazu, statt eindeutiger Gotteshäuser Multifunktionsbauten zu errichten, die dem geselligen Gemeindeleben mehr verpflichtet waren als der Spiritualität, schien der Kirchenbau Ende der achtziger Jahre völlig zum Erliegen gekommen zu sein. Inzwischen aber entstehen wieder Sakralbauten, bei denen sich Architekten darum bemühen, mit Raumwirkung, Licht- und Blickführung eine Atmosphäre des Transzendenten zu erzeugen, wie sie historischen Kirchen eigen ist.

Doch wodurch lässt sich solche Stimmung alltagsübergreifender Besinnung heute hervorrufen? Die 2003 in Berlin-Charlottenburg eingeweihte Canisiuskirche zum Beispiel wurde von den Architekten Heike Büttner, Claus Neumann und George Braun als scheinbar einfacher und doch von komplizierten geometrischen Verhältnissen bestimmter Kubus entworfen, als Betonrahmen fast städtebaulichen Maßstabs, unter dem nicht nur der Kirchenraum, sondern auch noch ein Vorgarten nach Art des mittelalterlichen Paradieses (Narthex) Platz findet. Fast zu viele Motive sind den Architekten eingefallen, Schlitze in der Südwand nach Art Le Corbusiers, monumentale Kreisformen à la Louis Kahn, die Marienkapelle aus Lärchenholz wie von Zumthor, der Boden gepflastert wie bei Böhm: ein Marktplatz. Ein schlanker, etwa 30 Meter vom Hauptbau abgesetzter Campanile aus Beton und Holzverschalung setzt den vertikalen Akzent gegen den mächtigen Kubus; dessen Betonfassaden wurden durch die amerikanische Künstlerin Joan Waltemath mit einem Netz von Kreuzen (jeweils an Stelle der Schalungsschlösser) überzogen, was ihre Körperhaftigkeit noch unterstreicht. Der Innenraum nimmt mit seiner Ruhe und Gelassenheit gefangen und lebt vom Zauber des einfallenden Lichtes, das auf den Betonoberflächen spielt.

Dennoch finden nicht alle Gläubigen Beton als Baustoff sympathisch. Vor acht Jahrzehnten, als der Sichtbeton in den Kirchenbau eingeführt wurde, etwa durch Le Corbusiers Lehrmeister Auguste Perret 1923 mit Notre Dame in Le Raincy bei Paris, musste man sich nicht nur an das neue Material gewöhnen. Der Stahlbeton mit seiner leistungsfähigen Statik machte auch moderne Bauformen möglich, die experimentierfreudige Architekten den Gläubigen als neue Raumerfahrung gleich mit zumuteten.

Doch ein Problem ist bis heute noch nicht zufrieden stellend gelöst: Auf die meisten Menschen wirkt unbehandelter Beton eher abstoßend. Im Grunde haben Architekten nur zwei Möglichkeiten: die rohe, schalungsraue Oberfläche, die aussieht wie eine grau geschlämmte Bretterwand; oder die perfekt geschalte spiegelglatte Oberfläche, die sich wie kühle Seide anfühlt.

Sicher bedarf es keiner besonderen Kunst, die Erhabenheit des Langhauses einer Kathedrale in einem Betonbau zu wiederholen. Doch auch die Geborgenheit, die man in einer Kapelle oder Dorfkirche empfinden mag, lässt sich mit Beton erzeugen, wie die wunderbare Bergkirche des Schweizers Bildhauers Walter Förderer in Hérémence beweist. Auch der Architekt Gottfried Böhm gestaltete die Wallfahrtskirche in Velbert-Neviges skulptural wie ein Künstler; sein kristallines Betongebirge mit seinem bergenden Inneren gilt als einer der Höhepunkte des Kirchenbaus im 20. Jahrhundert.

Romanische und gotische Kirchen, aus kalten, rauen Quadern aufgetürmt, im Inneren oft feucht und dunkel, sind dazu geeignet, die Seelen der Gläubigen erschauern zu lassen, und es bedarf oft des Kerzenscheins und bewegender Klänge von Chören und Orgelspiel, um die befreiende Gegenwart Gottes empfinden zu können. Dem kühlen Naturstein kann der Sichtbeton in der Wirkung recht nahe kommen, wenngleich das fehlende Fugenraster dem suchenden Auge weniger Orientierung bietet. Betonkirchen sind monolithisch gedacht und wirken als Volumina. Das kann auch eine Chance sein, wenn es gelingt, eine eindrückliche Großform zu schaffen, die dann innere Sakralität intensiviert.

Die Zeit der Bauskulpturen ist jedoch vorbei. Sie sind von geometrisch-kubischen Figurationen wie Peter Kulkas „Haus der Stille“ der Benediktinerabtei Königsmünster in Meschede abgelöst worden. Einen ungeheuren Einfluss auf die Renaissance des Sichtbetons ab den Neunzigerjahren hat der Japaner Tadao Ando. Seine fast spirituelle Art, mit Beton geistvolle Räume zu schaffen, in denen durch den kunstvollen Umgang mit dem natürlichen Licht tagtäglich die Schöpfung neu erlebt werden kann – ein Beispiel ist das Vitra-Konferenzzentrum in Weil am Rhein – hat natürlich auch den Kirchenbau inspiriert.

Auffälliges Merkmal seiner schlicht geometrisch angelegten Bauten ist die samtig glatte Betonoberfläche, durch die Licht und Schatten, Streiflicht und Dämmerung zu besonderer Wirkung kommen. Andos „Kirche des Lichts“ in Ibaraki aus dem Jahr 1989 ist ein einfacher Betonkubus, in dessen Stirnwand ein raumgroßes Kreuz geschnitten ist: ein immaterielles Kreuz aus Licht. Bei der „Kirche auf dem Wasser“ in Yufutsu-gun hingegen steht das Kreuz inmitten eines Sees, der als Erweiterung des Kirchenraums erlebt wird. „Ando kann gar nicht anders als Tempel bauen“, schrieb ein Kritiker, und so war der Japaner wohl auch prädestiniert für den Entwurf eines interkonfessionellen Meditationsraumes für den Hof des Unesco-Gebäudes in Paris.

Eine Kapelle der Weltreligionen ist auch der Andachtsort am St. Gotthardpass, den die Zürcher Architekten Pascale Guignard und Stefan Saner entwarfen. Der würfelförmige Betonbau mit grünen quadratischen Fenstern erregt durch seine ungewohnte, abstrakt und entrückt wirkende Statur Aufmerksamkeit. Im Inneren hat er in der Nachbarschaft der Autopiste vor allem eines zu bieten: Stille. Nicht das einer bestimmten Religion zuzuordnende Symbol, sondern ein Schrein mit einem beleuchteten Bergkristall zieht die Blicke auf sich. Ansonsten herrscht eine geformte Leere des Raumes, die sich zur Bildlichkeit verhält wie „das Schweigen zum Wort“ (Romano Guardini).

Die Architektur begreift hier den Beton als Materialisierung von Schlichtheit und Bescheidenheit und erlaubt sich allenfalls, ihn durch präzise Skulpturalität und eine exquisite Verarbeitung ein wenig zu adeln. Diese asketisch phantasievolle Form erweist sich häufig als überzeugendster Ausdruck des Sakralen in einer weltlichen Welt.

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