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Kultur: Hartmut Lincke: Der Dalí von Biesdorf

Der Hintergrund ist grau. Schwarze Striche breiten sich aus, deuten vage die Umrisse eines dramatischen Vorgangs an.

Der Hintergrund ist grau. Schwarze Striche breiten sich aus, deuten vage die Umrisse eines dramatischen Vorgangs an. Teile eines Pferdekopfes sind bereits farbig gestaltet und wirken wie fotografiert. Doch noch fehlen Tier und Reiter, der eine Rüstung tragen soll. Einige Monate wird es dauern, bis die "Apokalyptische Fuchsjagd" fertig ist. Bis jeder Zentimeter der Leinwand minutiös bearbeitet worden ist. Nicht nur einmal, nein mehrfach. Bis zu dreißig Lasurschichten wird Hartmut Lincke übereinander ziehen, bevor er zufrieden ist. Lincke versteht sein Metier. Er ist Perfektionist.

Die Malerei, sagt Lincke, müsse erlernt werden. Ein langer Reifeprozess sei das auch für ihn gewesen, obwohl er talentiert war. Schon als Kind hat er nicht wie andere gemalt, sondern die Entwicklungsstufe der Kinderzeichnung einfach übersprungen. "Ich habe Dali gezeigt, wie man richtig schraffiert", sagt er nebenbei. Von seinem siebten bis vierzehnten Lebensjahr, hat der 1942 in Berlin geborene Sohn eines Architekten die alten Meister, vor allem Leonardo da Vinci und Michelangelo, studiert. Später dann auch Rogier van der Weyden, Hans Memling oder die Schule von Fontainebleau. Man sieht es seinen großformatigen Gemälden an. "Sfumato", erklärt er, indem er auf eine Partie der "Fuchsjagd" deutet. Um eine solche Stelle zu malen, benötigt Lincke spezielle Pinsel, die in Berlin kaum zu bekommen sind. Für den Sfumato-Effekt eignen sich am besten handverlesene Schwanzhaare des Marders. Dessen Spitzen sind gespalten, so dass einige in das Öl greifen, andere jedoch nur darüber schwimmen.

Eine aufwendige Maltechnik, die erklärt, weshalb Gemälde von Lincke eine Rarität sind. 6000 Zeichnungen stehen nur etwa 40 Ölbilder gegenüber. 200 Ausstellungen hat der "Surrealist" Lincke bestritten, in Brüssel mit Paul Delvaux, in England mit Yves Tanguy und mit Max Ernst. Doch es ist die Begegnung mit Salvador Dalí, auf die Lincke immer wieder zu sprechen kommt. Lincke war 17, als er Dalí zum ersten Mal traf. Drei Wochen hatte er 1963 ausgeharrt, um den spanischen Künstler zu sehen. In Cadaqués, einem kleinen Fischernest an der spanischen Mittelmeerküste. Dalí hat den Ort unsterblich gemacht, aber auch andere Großmeister des Surrealismus arbeiteten dort. Marcel Duchamp etwa, mit dem Lincke zuweilen Schach spielte, aber auch Max Ernst und René Magritte, der hier das Motiv der schwerelos schwebenden Steine für seine Bilder fand.

Dalí war von Linckes Perfektionismus beeindruckt. Ließ sich von diesem eitel als antiker Merkur porträtieren. Manchmal hat Lincke bei Werken von Dalí selbst mit Hand an gelegt. Umgekehrt hat auch Dalí für Lincke gemalt. So hängt im Hausflur das Landschaftsbild eines unbekannten niederländischen Künstlers - Dalí hat es auf Bitten Linckes mit blauen Figuren übermalt. Drei Jahre nach dem Tod des Meisters stellt Lincke 1985 das zwei mal drei Meter große Bild "Der Mythos von Cadaqués" fertig. Eine Hommage - wie aus Sphären kommend zeigt sich Dalí, während Lincke und seine Frau den Leichnam Christi in ein weißes Laken hüllen. Im Hintergrund ist die Kirche von Cadaqués zu erkennen. "Verraten sie die Malerei nicht. Verhelfen sie der Malerei zu ihrem Recht", habe Dalí ihn auf dem Totenbett gebeten.

So arbeitet Lincke seit über zehn Jahren schon an einer Reihe monumentaler Ölgemälde, Leinwände, die fast so groß wie Räume sind, drei Mal vier Meter. Obwohl sich die Werke, zu denen die "Apokalyptische Fuchsjagd" zählt, inhaltlich aufeinander beziehen, bilden sie keinen Zyklus. Lincke will mit ihnen die kosmologischen Dimensionen des Menschen durchmessen, die äußere Realität mit inneren Empfindungen konfrontieren. Begeistert schildert er die Entdeckung einer handtellergroßen roten Mohnblume. Einen Ausschnitt davon will er drei Meter groß malen. Die Quintessenz seines Lebens möchte er ziehen, in die Malerei mit diesem Riesenprojekt einbringen, was er kann. Dafür ist er von Köln, wo er seit 1966 gelebt hatte, im vergangenen Jahr wieder in seine Geburtsstadt zurückgekehrt. In Biesdorf, an der Grenze zu Marzahn, hat er sich Haus und Atelier errichtet - auf dem vom Großvater geerbten Grundstück mit Blick auf die Plattenbauten. 12 Stunden und mehr arbeitet Lincke hier pro Tag. An verschiedenen Werken gleichzeitig. Denn die Zeit drängt. Etwa 30 Bilder sollen es am Ende werden. Die Hälfte davon, so hofft Lincke, könnte nächstes Jahr fertig sein. Dann werde er 60 und man könne über eine Retrospektive nachdenken.

Matthias Mochner

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