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Kultur: Hast du Töne

Ultraschall-Festival Berlin: Neue Musik ist was für Experten. Aber sie braucht auch populäre Vermittler

Beim 7. Ultraschall-Festival, das am Wochenende in Berlin eröffnet wurde, bringen wieder etliche Ensembles das Neueste aus der Neuen Musik zu Gehör, die auf eben dieses Neue spezialisiert sind. Der Akkordeonist Teodoro Anzelotti und die Schlagzeugerin Robyn Schulkowsky, das Ensemble Recherche aus Freiburg oder die Neuen Vocalsolisten Stuttgart tummeln sich im engen Markt der zeitgenössischen Musik. Betrachtet man die Schwierigkeiten, die Gegenwartsmusik den Musikern abverlangt, wird klar, dass es fast gar nicht anders geht, als sich darauf zu spezialisieren.

Dieses Expertentum sichert ein hohes musikalisches Niveau, hat aber auch Nachteile. Denn um ein größeres Publikum zu erreichen, sind Persönlichkeiten notwendig, die Neues neben Traditionelles stellen, statt vor allem Brüche zu akzentuieren. Wer in der Klassik-Szene begreift diesen Brückenschlag eigentlich als Aufgabe? Welche Interpretenpersönlichkeiten verschreiben sich der Neuen Musik?

Am populärsten sind da noch Dirigenten wie Esa-Pekka Salonen, Peter Eötvös und Pierre Boulez, deren internationales Renommee es ihnen erlaubt, als Vermittler zwischen Alt und Neu aufzutreten und von einem breiten Publikum akzeptiert zu werden. Kaum verwunderlich also, dass große Label wie die Deutsche Grammophon in ihrem Sublabel 20/21 auf solche Musiker setzen. Aber auch unter den Solisten gibt es Ausnahmeerscheinungen. Die Berliner hatten kürzlich Gelegenheit, einen der renommiertesten zu erleben: Pierre-Laurent Aimard. Kaum ein anderer Musiker wurde so sehr von der neuen Musik sozialisiert und stieg gleichwohl zum Weltspitzenpianist auf. Als Interpret von Olivier Messiaen, Boulez und György Ligeti wurde Aimard mit modernen Klassikern groß, als Pianist der französischen Vorzeigeformation „Ensemble intercontemporain“ ist er mit allen Wassern neuester Musik gewaschen.

Aimard wirkt in alle Richtungen: Seine Einspielung von Beethovens Klavierkonzerte ist so erfolgreich wie seine ArteFilmserie über Komponisten des 20. Jahrhunderts. Man feiert ihn als Retter des Klavierspiels und Leitfigur einer neuen Interpretengeneration. Etwas bescheidener mag sich zunächst der Geiger Frank Peter Zimmermann geben, der nicht das Glück hatte, schon früh von Weltgrößen wie Messiaen gefördert zu werden. Dennoch gibt es Gemeinsamkeiten zwischen den beiden: etwa die Entschlossenheit, einen nur der Kunst verpflichteten Weg zu beschreiten und die Marketinggesetze der Branche nicht zu verinnerlichen. Ein Ausflug ins Tango-Metier, wie Anne-Sophie Mutter ihn unternahm, ist von Zimmermann kaum zu erwarten: Lieber verzichtet er auf einen exklusiven Plattenvertrag.

Ligetis Violinkonzert spielt Zimmermann regelmäßig, auch gibt er Werke in Auftrag und brachte etwa Matthias Pintschers Violinkonzert in der Philharmonie zur Uraufführung. Dennoch gilt sein Augenmerk weniger der Neuesten Musik als der klassischen Moderne: Demnächst wird er in Berlin innerhalb von acht Wochen mit Marek Janowski und dem RSB sechs Violinkonzerte der Dreißigerjahre aufführen.

Für Flötisten liegt die Beschäftigung mit neuer Musik schon deshalb nahe, weil das Flötenrepertoire nach glanzvollem barocken Auftakt erst mal Pause macht; Klassik und Romantik haben für das Instrument wenig zu bieten. Emanuel Pahud, Soloflötist der Berliner Philharmoniker und weltweit gefragter Solist, hat mehr noch als Aimard sein Instrument gewissermaßen neu erfunden und dabei die Ausdifferenzierung der zeitgenössischen Musikkultur als Chance genutzt. Er studierte die Klangnuancen der hölzernen Barockflöte und übertrug sie auf das moderne Klappeninstrument; davon profitiert auch die Avantgarde. Vier bis fünf Uraufführungen spielt Pahud im Jahr und setzt als Mitglied in diversen französischen Ensembles, als Festivalleiter sowie Verantwortlicher für das Kammermusikprogramm der Kölner Philharmonie in der nächsten Saison an vielen Orten zeitgenössische Akzente.

Auch Ensembles, die zwischen Alt und Neu vermitteln, sind eher rar. Das Ensemble Resonanz feierte mit diesem Anspruch gerade sein 10-jähriges Bestehen. Unter dem Motto „Gedehnte Zeit“ stellen die Hamburger gegenwärtig langsame Renaissance-Pavanen John Dowlands neben Giacinto Scelsis zeitlupenartige Klangexpolationen. Auch mit Kompositionsaufträgen profiliert sich Resonanz als zukunftsträchtiger Klangkörper.

Aimard, Pahud, Resonanz: Für unsere Musikkultur ist es wünschenswert, dass sich neben den hochqualifizierten Spezialensembles künftig noch mehr solcher Brückenbauer finden.

Ulrich Pollmann

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