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Haare raufen. Szene aus dem Stück „We are the undamaged others“.

© HAU

Hebbel am Ufer: Japanisches Theater: Ein Stück vom Glück

Eine Inszenierung im Grenzgebiet zwischen knapp-pointiertem Sprechtheater und ins Groteske reduzierter Choreografie. Aufstieg oder Amoklauf: Japans Mittelschicht in einem Gastspiel von Toshiki Okada im HAU.

Es ist die Geschichte eines glücklichen Mannes. Er steht, an einem schönen Tag Ende August, an einer Bushaltestelle und blickt auf ein entstehendes Apartmentgebäude: „Tower-Apartments auf 34 Stockwerken, Panoramablick über die Stadt“ verheißt das Schild. Hier wird er einziehen, mit seiner Frau, es wird ein Aufstieg werden, vom 7. in den 25. Stock, eine Mittelschichts-Erfolgsgeschichte. Der Mann ist glücklich, das wiederholen alle, die von ihm erzählen. Und warum betonen sie es so? „Weil wir“, so sagt es eine aus dem siebenköpfigen Ensemble, „in diesem Stück etwas über das Glück herausfinden möchten. Wie man diesen Zustand erreichen kann“. Da haben sie sich nicht wenig vorgenommen.

Der Regisseur des Stücks „We are the undamaged others“ heißt Toshiki Okada. Er ist ein herausragender Vertreter des jungen japanischen Theaters sowie Gründer der Compagnie Chelfitsch (eine Verballhornung des englischen Wortes selfish: selbstsüchtig). Im vergangenen Jahr fiel Okada in Berlin einem größeren Kreis auf, als Matthias Lilienthal ihn im Rahmen des Festivals „Tokio-Shibuya: The New Generation“ mit seiner Choreografie „Hot Pepper, Air Conditioner and the Farewell Speech“ ins Hebbel am Ufer holte. Die Produktion trat anschließend ihren Siegeszug durch die europäische Festivalszene an. Um Leiharbeiter und andere prekär Beschäftigte aus der Mittelschicht ging es da, die im Tone der Unbekümmertheit um ihre drohende Kündigung herumlavierten. Ein Fest des absurden Vermeidungssprechens.

„Es wäre doch so was von peinlich und beschämend, einfach nach dem Muster des Stücks, mit dem man Erfolg hatte, ein neues Stück zu schreiben“, hat Toshiki Okada just trefflich in einem Interview gesagt. Tatsächlich gerät er mit „We are the undamaged others“, nun wiederum im HAU zu sehen, nie in die Gefahr, sich selbst zu kopieren. Der Abend ist länger, minimalistischer, unzugänglicher, dabei keinen Deut schlechter – ganz eigen eben, obschon das verstörte Grundgefühl einer von der Rezession der nuller Jahre desillusionierten Nachwuchsgeneration hier fortwirkt.

Okadas sieben Spieler begegnen sich vor einer hohen weißen Wand, unter kleiner Echtzeituhr (Bühne: Torafu Architects Inc.), und umkreisen die Geschichte des glücklichen Mannes und seiner Frau in Ellipsen. Die beiden haben es zu einer gewissen materiellen Sicherheit gebracht, versuchen sich jedoch mit dem Küchenkalender-Mantra zu beruhigen, wonach sich „Glück auch aus den kleinen Dingen beziehen lässt“. Dem widerspricht indes das personifizierte schlechte Gewissen, ein nicht näher bezeichneter Besucher, der unversehens in der Wohnung steht. Er sei unglücklich, verkündet dieser Mensch, weil er Geldsorgen habe. Daran wolle er erinnern, und er werde nicht mehr weichen. Was dann auch gleich wieder ironisch kommentiert wird: „In Wirklichkeit würde ein solcher Fremder nicht einfach so auftauchen. Die Eingangstüren von Wohnhäusern schließen automatisch.“

Okadas Inszenierung, die wiederum im Grenzgebiet zwischen knapp-pointiertem Sprechtheater und ins Groteske reduzierter Choreografie siedelt, erzählt viel über die japanische Gegenwart. Wie beiläufig spielt der Amoklauf eines 25-jährigen Leiharbeiters hinein, der zum Medienereignis wurde. Und als Datum der Handlung wird der 29. August benannt, der Tag vor den Unterhauswahlen im vergangenen Jahr, die zwar einen Regierungswechsel herbeiführten – aber kein Fünkchen Aufbruchshoffnung unter den Jungen schürten. Glück ist etwas anderes.

Nochmals am heutigen Mittwoch um 19.30 Uhr im Hebbel am Ufer 1

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