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Majd Mastoura (l.) als Titelheld "Hedi" mit Rym Ben Messaoud

© Frederic Noirhomme/Nomadis

"Hedi" bei der Berlinale: Vom Ausgang aus der unverschuldeten Unmündigkeit

Zwischen Tradition und Selbstbestimmung: Gleich mehrere Filme der Berlinale drehen sich diesen Konflikt. In „Hedi“ aus Tunesien steht Hedi vor der Entscheidung. Arrangierte Ehe oder Ausbruch?

Gehen oder bleiben? Jeder, der eine Herkunft hat, wird sich schon einmal mit dieser Frage herumgeschlagen haben. Ins eigene Leben gehen, das bedeutet Trennung, Abschied vom Elternhaus, den Gepflogenheiten, Regeln, Überzeugungen der Älteren. Es kann glimpflich verlaufen, es kann aber auch ein Kampf sein, ein Krieg, ein entsetzliches Dilemma. Jedenfalls dann, wenn das Coming of Age auch den Ausgang aus einer unverschuldeten Unmündigkeit bedeutet, aus verkrusteten, reaktionären Strukturen.

Dass sich diese Konstellation gleich in mehreren Festival-Beiträgen zum schier unlösbaren Konflikt zuspitzt, hat womöglich damit zu tun, dass sich die Frage nach Weggehen oder Ausharren in Zeiten der globalen Migration mit ganz besonderer Dringlichkeit stellt. „Hedi“, der junge, kreuzbrave Titelheld im tunesischen Wettbewerbsbeitrag von Mohamed Ben Attia, trifft wenige Tage vor seiner arrangierten Ehe eine andere Frau und begreift erstmals, dass er die Wahl hat: zwischen Schicksalsergebenheit und Selbstbestimmung.

Während seine lebenstüchtige Mutter längst die gesamte Zukunft für ihn arrangiert hat, strandet Hedi (Majd Mastoura) als Autohändler im Außendienst in einem Touristenhotel, das seit den Terroranschlägen in Tunesien fast verwaist ist. Mit fein gezeichneten Details spürt der Film der Resignation des post-arabischen Frühlings nach und bringt die Beharrungskräfte einer auf Tradition programmierten Gesellschaft zum Vorschein. Man ahnt, warum die Freiheit schier unmöglich ist, selbst nach der Demokratisierung.

Rückkehr nach Buenos Aires

Der freie Wille, ein Kraftakt, der manchen überfordert: Der algerische Filmemacher Daniel Burman macht eine turbulente Tragikomödie daraus. „El rey del Once“ (Panorama) speist sich aus Burmans eigener Biografie, eine heitere, aber auch bitterböse Burleske über die Macht religiöser Verwurzelung. Der New Yorker Geschäftsmann Ariel (Alan Sabbagh) kehrt während des Purimfests in sein jüdisches Viertel in Buenos Aires zurück.

Dort wird er von seinem Vater Usher, der in der Community die Fäden zieht, unentwegt für die Belange der Bewohner und der gemeinnützigen jüdischen Stiftung eingespannt, deren Chef Usher ist. Als Ariel merkt, dass der Vater ihn als Nachfolger installieren will und ebenfalls längst alles für ihn arrangiert hat – einschließlich der Liebe in Gestalt der schönen, stummen Eva –, ist es zu spät. Nach New York kehrt Ariel wohl kaum mehr zurück.

Reform oder Revolution?

Die Vergangenheit kann sehr attraktiv sein. Rebellion, Verantwortung, sie ist im Zweifel anstrengender, womöglich egoistischer, als seinen Mann da zu stehen, wo man gebraucht wird. Die Alten, die Jungen, all diese Filme werden beiden Seiten gerecht. Auch „Nakom“, der erste ghanaische Berlinale-Beitrag in der Festivalgeschichte, über den Medizinstudenten Idrissu, der sein altes Leben vermeintlich abgestreift hat, bis er aus der Stadt in sein bäuerliches Heimatdorf zurückkehrt, wo vieles im Argen liegt.

Gesetz ist Gesetz

Was ist besser, Reform oder Revolution? Sich der Gemeinschaft verpflichten oder die eigenen Träume realisieren? Die Armut lindern, die veraltete Agrarstruktur, das Unrechtsregime oder die starre Religionsgemeinschaft von innen heraus erneuern oder das Weite suchen, weg von den eigenen Wurzeln? Ein hochaktueller Konflikt, den der Panorama-Film „Sufat Chol/Sand Storm“, das Regiedebüt der jungen Israelin Elite Zexer, aus der Perspektive der Frauen schildert. Drei Töchter wagen den Aufstand im Beduinendorf in der südisraelischen Wüste.

Ihr Vater Suleyman heiratet gerade seine Zweitfrau, ein durchaus liebevoller Patriarch, der seiner Ältesten, der temperamentvollen Layla (Lamis Ammar), in der Eröffnungssequenz auf staubiger Wüstenstraße gerade das Fahren beibringt. Aber Gesetz ist Gesetz: Layla wird zwangsverheiratet, den Freund aus der Uni darf sie nicht mehr sehen. Ihrer jüngeren Schwester ergeht es nicht besser. Wieder das Dilemma: Laylas Befreiungsakt wäre ein Verrat an der Mutter. Und wieder die Offenheit einer Erzählung, die die ältere Generation nicht verurteilt für den Wunsch, den Kindern Geborgenheit und ein sicheres Auskommen zu bieten. Die Feste, der familiäre Zusammenhalt, man schaut gerne zu.

Auch Hedis Mutter meint es gut mit ihrem jüngeren Sohn. Den älteren hat sie bereits nach Frankreich verloren, ein stiller Schmerz. Niemand ist hier im Unrecht, nicht diejenigen, die nach Europa gehen, damit ihre Kinder es besser haben, und auch nicht diejenigen, die in Tunesien, in Ghana, in der Wüste bleiben, um dort weiterzukommen.

„Hedi“: 13.2., 9.30 und 18 Uhr (Friedrichstadt-Palast), 14.2., 21.30 Uhr (Toni & Tonino), 21.2., 12.30 Uhr (HdBF)

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