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Kultur: Heimat, deine Ferne

Kleinganoven vor der Haustür und Krisen mit Weltniveau:  Das PANORAMA reist von nebenan bis nach Myanmar.

Vorweg: Der „aserbaidschanische Hirtenfilm“, den das Stadtmagazin „zitty“ soeben als Objekt der Entdeckerbegierde der Berlinale-Nebenreihenmacher beschwor, ist diesmal nicht dabei. Auch nicht der mongolische Jurten- oder der kasachische Schalmeienfilm, immer wieder gern angeführt, wenn es gilt, für ein paar Festival-Fastentage im Jahr auf den Konsum des amerikanischen Honkfilmwesens zu verzichten. Aber was macht das, wenn das Panorama 50 andere Werke zeigt, mit 36 Spielfilmen aus 29 Ländern – darunter so exotischen wie Vietnam oder Birma alias Myanmar?

Erst einmal aber sind die Filmemacher vor der Haustür dran. Und da geht es so vieseitig munter los wie im Wettbewerb, in dem gleich vier Deutsche vertreten sind. Maximilian Erlenwein lässt in dem Gangster-von-nebenan-Movie Stereo das oberlässige Star-Duo Jürgen Vogel und Moritz Bleibtrei aufeinandertreffen – der eine ein offenbar braver Motorradschlosser mit Familienanschluss, der andere ein mysteriöser Zyniker, der die Idylle empfindlich stört. Klar komödiantisch geht es in Benjamin Heisenbergs Über-Ich und Du zu: der aus Ulrich Seidls Filmen gefürchtete Georg Friedrich spielt einen Gelegenheitsgauner, der sich das Vertrauen eines reichen und uralten Philosophen erschleicht, um ihn alsbald um seine bibliophilen Schätze zu erleichtern. Ernster geht es bei Elfi Mikesch zu: Fieber, ihr Film mit Eva Mattes und Martin Wuttke, erzählt von einer Frau, die anhand alter Fotos der Fremdenlegionärsvergangenheit ihres so strengen wie labilen Vaters auf die Spur kommt. Große Erwartungen richten sich auch auf eine so kulturell individuelle wie deutschlandpolitische Erinnerungsarbeit: Annekatrin Hendel dokumentiert in Anderson die schillernde Rolle, die der Dichter und Stasi-Zuträger Sascha Anderson in der Ost-Berliner Literaturszene der achtziger Jahre spielte. Seine Opfer und Wegbegleiter kommen zu Wort, ebenso Anderson selber.

Thematisch bekömmlicher verspricht Jalil Lesperts Biopic Yves Saint Laurent zu werden, mit Pierre Niney in der Rolle des Modezaren. Mit diesem Film eröffnet das Panorama seine Special-Reihe und kehrt zugleich in eines seiner Stammhäuser, den wiedereröffneten Zoo Palast, zurück. Ebenfalls aus Frankreich kommt Michel Gondrys Is he Man Who is Tall Happy?, ein Essayfilm über seine Begegnung mit dem US-Sprachwissenschaftler Noam Chomsky. Griechenland, zuletzt im Weltkino mit starken, spröden Werken aufgefallen, ist mit Standing Aside, Watching von Yorgos Servetas vertreten: Eine Frau kehrt in ihr Heimatdorf zurück und findet die Bewohner in einem Geflecht von Gewalt und seelischer Verwahrlosung vor. Auch in Land of Storms des Ungarn Adam Császi geht es um einen Rückkehrer: Abgestoßen vom homophoben Klima seines deutschen Vereins, findet der junge Fußballspieler Szabolcs in der Heimat noch reaktionärere Strukturen vor. Und in John Michael McDonaghs Calvary hat ein irischer Priester (Brendan Gleeson) mit seiner ziemlich gotteslästerlich lebenden Gemeinde und noch dazu mit einer absurden Morddrohung zu kämpfen.

So eng kann es in den kleinen Ländern Europas zugehen – und wie weit in der weiten Welt? Die USA sind mit den Debüts zweier Terrence-Malick-Schüler dabei: A.J. Edwards erzählt, frei essayistisch, in The Better Angels von der Jugend Abraham Lincolns, und Saar Klein entwirft in Things People Do ein düsteres Ausgegrenzten-Panorama, das als Metapher für die Krise Amerikas verstanden sein mag: Job weg, Haus – fast – weg, und fertig ist der Abstieg in die Kriminellen-Karriere.

Wer in den wohl wieder eisigen Februartagen des Festivals Sonne sucht, ist – zumindest meteorologisch – in den zahlreichen fernsüdöstlichen Filmen gut aufgehoben, von den Philippinen bis Taiwan. Aus Vietnam kommt Nuoc: Im Jahr 2030 ist der Meeresspiegel extrem gestiegen, und die Kamera beobachtet das seltsame Leben eines jungen Paars, das ein auf Stelzen gebautes Haus bewohnt. Ein aufregendes Exotikum – vielleicht der Start in die Legende vom vietnamesischen ScienceFiction-Film, der es mit dem aserbaidschanischen Na-Sie-wissen-schon locker aufnehmen kann.

Bleibt Myanmar. Bing Du heißt der Film von Midi Z., der idyllisch ländlich und wunderbar besonnt beginnt. Aber sein englischer Titel „Ice Poison“ weist auf Böses, und so kommt es dann auch. Das ferne Land Birma, eben noch eine weltabgewandte Diktatur, hat globalisierungstechnisch aufgeschlossen. Und das Kino tut es ihm nach. Jan Schulz-Ojala

Zwei Terrence-Malick-Schüler und ein vietnamesischer

Science-Fiction-Film

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