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Kultur: Heinz Dürr im Gespräch: Warum müssen Manager besessene Künstler sein, Herr Dürr?

Heinz Dürr, Jahrgang 1933, studierte nach einer Ausbildung als Stahlschlosser an der Technischen Universität in Stuttgart undgilt nach einer Karriere im schwäbischen Familienbetrieb und in diversen deutschen Wirtschaftsunternehmen als einer der wichtigsten Wirtschaftsmanager des Landes. So war er von 1980 bis 1990 Vorstandsvorsitzender der AEG und von 1986 bis 1990 im Vorstand der Daimler Benz AG.

Heinz Dürr, Jahrgang 1933, studierte nach einer Ausbildung als Stahlschlosser an der Technischen Universität in Stuttgart undgilt nach einer Karriere im schwäbischen Familienbetrieb und in diversen deutschen Wirtschaftsunternehmen als einer der wichtigsten Wirtschaftsmanager des Landes. So war er von 1980 bis 1990 Vorstandsvorsitzender der AEG und von 1986 bis 1990 im Vorstand der Daimler Benz AG. 1991 übernahm er den Vorstandsvorsitz bei Bundesbahn und Reichsbahn, organisierte die Bahnreform und stand der Deutschen Bahn AG vor, bis er 1997 an die Spitze von deren Aufsichtsrat wechselte. Heinz Dürr ist auch für sein kulturelles Engagement bekannt: So gehört er etwa dem Freundeskreis des Deutschen Theaters in Berlin an und hat dort vor zwei Jahren den "Heinz-Dürr-Stückepreis" ins Leben gerufen, der mit 115 000 Mark dotiert ist.

Als Unternehmer müssen Sie rational, effizient vorgehen. In der Kunst geht es nicht unbedingt rational zu. Bewegen Sie sich als Theater liebender Mäzen und als Industrieller in verschiedenen Welten?

Ich sehe da überhaupt keinen Unterschied. Die moderne Wirtschaft wird von einer großen Fabrik in ein großes Theater umgebaut. Die Darsteller in diesem Theater sind die Manager. Die Popstars des 21. Jahrhunderts sind Leute wie Herr Thomas Haffa ... Aber auch ein Popstar stürzt mal ab. Ich erlebe viele Dinge in der Wirtschaft, die im Theater dann zugespitzt formuliert werden.

Theaterfiguren, zum Beispiel in Stücken von Thomas Bernhard, sind exzentrische Wesen, ihren Obsessionen ausgeliefert, nicht immer ganz realitätstüchtig. Man kann sich nicht vorstellen, dass Manager es sich leisten können, ähnlich hemmungslos ihren Besessenheiten zu folgen.

Wenn Sie das glauben, waren Sie noch nie in der Wirtschaft tätig. Es geht dort zu wie in Stücken von Thomas Bernhard!

Begegnen Ihnen in Aufsichtsratssitzungen tatsächlich Bernhard-Figuren?

Hin und wieder schon. Ich will Ihnen eine Geschichte erzählen: In Thomas Bernhards Buch "Holzfällen" wird beschrieben, wie der Burgtheaterdirektor neu eingesetzt wird, und kaum ist er da, schon sägt man an seinem Stuhl. Davon gab es einen Vorabdruck in der FAZ. Diese Geschichte habe ich in einer AEG-Vorstandssitzung vorgelesen wie einen Zeitungsartikel. Ich habe nur das Wort "Burgtheaterdirektor" durch das Wort "Vorstandsvorsitzender" ersetzt und das Wort "Theater" durch das Wort "Firma". Nach fünf Minuten haben die Vorstandsmitglieder empört gefragt, wer ist der Mann, der das der Presse erzählt hat. Originaltext Thomas Bernhard. Ich war gerade bei der AEG neu zum Vorstandsvorsitzenden ernannt worden - also war ich praktisch der Burgtheaterdirektor.

Der Perfektionswahn von Bernhards Künstler-Figuren hat etwas Manisches, leicht Wahnsinniges, Krankhaftes. Das sehen Sie ähnlich bei Managern?

Es ist überspitzt bei Bernhard, aber Sie müssen auch in der Wirtschaft von einer Idee absolut überzeugt sein. Sie müssen, mit dem Satz von Ernst Bloch, "ins Gelingen verliebt" sein und nicht ins Scheitern. Ein Manager, der dauernd das Scheitern befürchtet, hat ein Problem. Theater und Wirtschaft sind für mich wirklich keine unterschiedlichen Welten. Um den industriellen, produktionsorientierten Kapitalismus in konsumorientierten Kapitalismus zu überführen, brauchen Sie die Kunst. Sie müssen die Künstler dazu bewegen, sich für den Markt zu interessieren. Spätestens als Andy Warhol seine Suppendosen zu Kunst erklärte, war klar: Kunst und Markt marschieren im Gleichschritt. In Wirklichkeit hat die Kunst die Wirtschaft schon übernommen.

Kunst ist irrational. Sie wird, wenn sie ihren Autonomieanspruch ernst nimmt, nicht hergestellt, um einen Markt zu bedienen. Das unterscheidet sie von Kühlschränken .

Das schlimmste deutsche Sprichwort heißt: Schnaps ist Schnaps und Dienst ist Dienst. Diese Grenzen durchbricht die Kunst, und das genau ist es, was der moderne Kapitalismus braucht! Die Firma Dürr baut Lackieranlagen, bei denen Blech, Stahl und Rohre eine große Rolle spielen. Da kam vor einigen Jahren ein junger Künstler, der wollte mal ein paar Monate in unserer Firma arbeiten. Der hat Plastiken aus Stahl und Blech gemacht. Nach ein paar Wochen habe ich den Meister gefragt, was er von dem jungen Künstler hält. Der Meister meinte, die Kunstwerke seien ja fürchterlich, das kann ja keiner anschauen. Aber: Der macht das gleiche wie wir, der schneidet Blech, der schweißt, der schleift, der biegt Rohre, nur, der hat viel mehr Spaß als wir. Weshalb hatte der mehr Spaß? Das ist halt ein Künstler, hat der Meister gesagt. Das war für mich ein absolutes Schlüsselerlebnis. Man muss das Leben als Kunstwerk begreifen, das hat Thomas Bernhard gesehen. Wenn Sie als Manager eine Bilanz erstellen, eine Firma aufbauen, kann das auch etwas von Kunst haben. Eines der größten Kunstwerke, die der Mensch je erdacht hat, ist die doppelte Buchführung, 1495 erfunden von Luca Paciolis, einem Mönch. Nach Luca Paciolis doppelter Buchführung, dem Ausgleich von Haben und Soll, funktioniert nicht nur unsere Wirtschaft, sondern unser gesamtes Leben.

Ist Ihr Verhältnis zur Kunst, zum Theater auch instrumentell? Fördert Kunst nicht das Image Ihrer Firma?

Jetzt machen Sie mich zu einem kalten Kapitalisten. Das Leben besteht doch aus mehr als aus der Produktion von Gütern. Ich bin Mäzen, nicht Sponsor. Die Stiftung, die den Heinz-Dürr-Theaterpreis vergibt, wird aus meinem privaten Vermögen gespeist, nicht aus Firmenkapital. Es geht nicht um Werbung oder Imagetransfer. Ich habe in Berlin die finanzielle Situation des Deutschen Theaters gesehen, eine schwierige Situation. Ich glaube, es ist falsch, nur auf den Staat zu setzen. Es gibt Leute, die haben Geld, es gibt Stiftungen, warum sollen die keine Kunst unterstützen? Ich unterstütze ja nicht nur das Deutsche Theater, sondern auch das Neue Theater in Halle. Ich bin davon überzeugt, dass in Zukunft Kunst viel stärker als heute von Privatleuten, Bürgern gefördert werden muss - nicht als Sponsoring, als Mittel zum Zweck, sondern als Selbstzweck.

Ein Großteil des Preises, 75 000 Mark, geht an das Deutsche Theater, als Unterstützung der Produktion. Eine kleinere Summe, 40 000 Mark, erhält der Autor, dessen Stück ausgezeichnet wird. Das ist eine merkwürdige Konstruktion. Das Theater wird, anders als die Dramatiker, ohnehin subventioniert. Sollte ein Theater nicht Gegenwartsstücke aufführen, weil es von einem Stück überzeugt ist, und nicht, weil es dafür zusätzliche finanzielle Unterstützung erhält?

Ich wollte sicher gehen, dass das Stück tatsächlich aufgeführt wird. Die Endlichkeit der Mittel verhindert oft, dass neue, also riskante Stücke gespielt werden.

Oder die Endlichkeit des Interesses an zeitgenössischer Dramatik am Deutschen Theater. Die Schaubühne spielt fast nur Gegenwartsstücke - ohne zusätzliche Unterstützung von privater Seite.

Gerade darum freut es mich, dass jetzt am Deutschen Theater ein neues Stück zur Uraufführung gekommen ist. In Zukunft wird der Preis anders vergeben. Ich habe gesehen, dass es für eine Jury ein Ding der Unmöglichkeit ist, 200 Stücke zu lesen. Wir werden, mit einer Gesamtsumme in gleicher Höhe wie bisher, für drei bis vier junge Autoren Stipendien vergeben. Die können dann unbelastet ein Jahr lang am Theater arbeiten. Einer, der ein Theaterstück schreibt, muss auch wissen, wie es im Theater zugeht. Wenn der dann miterlebt, wie Theater entsteht, kann das für sein Schreiben nur gut sein. Ein Vorbild für dieses Modell sind die jungen englischen Dramatiker. Ich bin mir mit dem künftigen Intendanten Bernd Wilms einig darüber, dass möglichst eines, vielleicht auch mal zwei der so entstehenden Stücke am Deutschen Theater aufgeführt werden sollten.

Heiko Buhrs Stück "Ausstand", dessen Uraufführung Ihr Theaterpreis ermöglicht hat, handelt von Sozialverlierern, Deklassierten, Arbeitslosen. Am Ende des Stückes wird ein Unternehmer, der Leute entlassen hatte, von diesen Arbeitslosen totgebissen. Mussten Sie als Vorstandsvorsitzender der Deutschen Bahn AG viele Arbeitnehmer entlassen?

Ja, sehr viele. Auch wenn das sozialverträglich ablief, es war schon sehr schwierig, auch persönlich. Die Frage, die sich mir und jedem Unternehmer in so einer Situation stellt, ist die Frage von Gesinnungsethik oder Verantwortungsethik. Das in Einklang zu bringen, ist für einen Manager ganz wichtig. Der Heiko Buhr stellt doch in seinem Stück auch dar, dass die Arbeitslosen eigentlich etwas anderes machen könnten. Sie machen es nicht. Sie kommen aus ihrem Teufelskreis nicht heraus.

Ist Kunst eine Art Kompensation für die Härten, die in der Marktwirtschaft für das Überleben von Firmen notwendig sind?

Überhaupt nicht. Kunst ist keine Kompensation. Es ist wirklich so: In Wirklichkeit hat die Kunst den Markt längst übernommen.

Zu Ihrer These passen die Beobachtungen des amerikanischen Ökonomen Jeremy Rifkin - dass die Substanz der Firma Nike nicht ihre Produktionsanlagen, sondern das Logo und das Werbe-Image sind. Das materielle Produkt wird zum Anhängsel des Markenzeichens.

Ja, der Satz, den ich vorhin sagte, die große Fabrik wird in der modernen Wirtschaft zum großen Theater, der ist von Rifkin. Der hat das richtig erkannt. Die Marktwirtschaft wird abgelöst durch die Netzwerkwirtschaft. Sie brauchen keinen Besitz mehr, es geht nur noch um den Zugang, das Portal. In der Zukunft geht es nicht mehr darum, ein Auto zu besitzen, sondern darum, es zu fahren. Die Firmen verkaufen keine Produkte mehr, sondern Nutzungsrechte.

Dann ist Theater etwas sehr Modernes. Ein Gemälde kann man besitzen, eine Theateraufführung nicht. Theater kann man nur erleben.

Deshalb bin ich ja so für Theater.

Als Unternehmer müssen Sie rational[effizien]

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