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Kultur: Heirate keine Familie!

Von Julian Hanich Das verflixte 20. Jahr: Ausgerechnet zum Geburtstag steckt das Münchner Filmfest – nun ja, soll man sagen in der Krise?

Von Julian Hanich

Das verflixte 20. Jahr: Ausgerechnet zum Geburtstag steckt das Münchner Filmfest – nun ja, soll man sagen in der Krise? Stars wie Robert De Niro und Susan Sarandon oder Regisseure von der Größenordnung eines Polanski, Chéreau oder Godard, die alle in den letzten Jahren vorbeigekommen waren, blieben jedenfalls der Party fern.

Umso heftiger feierten wohl die Kinovorführer in ihren Kabinen: Kaum eine Vorstellung blieb ohne Projektionsprobleme. Und als ob das zweitgrößte deutsche Festival mit seinen unzähligen Haupt- und Nebenreihen, Hommagen und Werkschauen, mit Kinder-, Hochschul-, Fernseh- und Dokumentarfilmen nicht schon unübersichtlich genug wäre, beschenkte sich das Geburtstagkind auch noch selbst – mit einer Reihe über Experimentalfilm und Videokunst. Dazu plustert sich neuerdings die Sektion mit den deutschen Fernsehfilmen mächtig auf. Die 14 Kinofilme werden von 41 TV-Produktionen in den Schatten gestellt, darunter Serienware wie „Rosa Roth“ oder „Donna Leon“.

Bei über 50 deutschen Filmen hat man nicht mehr den Eindruck, als würde gezielt gewählt. Deswegen blieb einem nichts anderes übrig, als mit glücklicher Hand aus der Masse des deutschen Films, dem hier traditionell die meiste Aufmerksamkeit gilt, zu wählen. Und wer Glück hatte, konnte sich selbst sein eigenes Festival zusammenstellen. Thema beispielsweise: „Geschwisterhiebe oder Wie zerstöre ich eine Familie“.

Am Anfang von Dani Levys „Väter“ ist die Kernfamilie noch intakt. Doch dieser Kern wird schnell gespalten. Der Mann (Sebastian Blomberg) macht Karriere. Die Frau (Maria Schrader) hat ebenfalls den Erfolg im Blick, muss aber dabei die Erziehung des Sohnes im Auge behalten – was nicht gut gehen kann. Das Ehepaar heißt Krieger und so benehmen sich die beiden zusehends auch. Beide können nicht über ihren Schatten springen, der immer größer zu werden droht, je weiter die Sonne in ihrer Ehe untergeht. Der Sohn wird dabei als Seil im Tauziehen der Eltern missbraucht – und wird dabei fast zerrissen. „Väter“ ist ein heftiges Plädoyer für die Einheit der Familie. Und ein zutiefst anrührender Film.

Auch in „Der Anwalt und sein Gast“ steht am Anfang das Familienglück. Und am Ende? Der Regisseur Torsten C. Fischer setzt geschickt auf die Erwartungen des Zuschauers, indem er ganz offen auf zwei Vorbilder verweist und diese dann variiert: Romuald Karmarkars „Der Totmacher“ und „Kap der Angst“ von Martin Scorsese. Wie bei Scorsese versucht sich ein Ex-Sträfling in die Familie seines Anwalts zu drängen. Und wie im „Totmacher“ spielt Götz George die Rolle eines vermeintlichen Serienmörders, der nicht ganz dicht zu sein scheint – aus Fritz Haarmann wird Frank Karmann. Mit George und Heino Ferch stehen sich die beiden Mannsbilder des deutschen Films gegenüber. Der eine ist auf der Suche nach der Geborgenheit der Familie. Der andere will sie verteidigen gegen den Eindringling. Ein Duell Mann gegen Mann.

Frau gegen Frau – so lautet dagegen der Zweikampf in Oskar Roehlers neuem Film. In „Fahr zur Hölle, Schwester“ jagt er die beiden deutschen Diven Hannelore Elsner und Iris Berben aufeinander. Elsner trägt eine feuerrote Mähne und auf ihrer Stirn ist das Wort „Fuck“ eintätowiert. Sie spielt die eifersüchtige Trash-Furie Rita, die Rache an ihrer Schwester, Mutters Liebling, nehmen will. Die family values werden ziemlich bald mit dem Küchenmesser attackiert. Ein knarzendes Haus; düster-dräuende Musik; Blut und Ekel: ein Horrorfilm, gedreht für RTL.

Roehler und seine Damen hatten ersichtlichen Spaß an der Sache – und die hartgesottenen Zuschauer mit ihnen. Mal sehen, ob der Film im Familienprogramm läuft.

„An den Schmerzen erkennst du, ob du zu Hause bist – nicht am Türschild“, heißt es in Chris Kraus’ Debütfilm „Scherbentanz“. Die Mutter ist verrückt, ein Sohn leukämiekrank, der Vater ein unterkühlter Machtmensch: Diese Familie ist ein emotionaler Scherbenhaufen, der aber ein letztes Mal gekittet werden soll, um den kranken Sohn zu retten. Eine leise, schwarzhumorige Familienbizarrerie, die mit Jürgen Vogel, Nadja Uhl und Margit Carstensen hervorragend besetzt ist. Der Regisseur hätte den „Förderpreis Deutscher Film“ verdient gehabt. Statt dessen wurde er mit dem neugeschaffenen Drehbuch-Förderpreis ruhig gestellt.

Den Hauptpreis bekam Michael Hofmann mit seinem Film „Sophiiiie!“. Eine mutige Entscheidung, denn der Film ist auf Provokation, ja Skandal aus. Hofmann hat sich nach seinem ersten Film „Der Strand von Trouville“ nun auf die Spuren von Filmen wie „Romance“ und „Baise-moi“ begeben. Seine Protagonistin Sophie (ebenfalls prämiert: Katharina Schüttler) ist klein, zierlich, frech. In ihrem Bauch trägt sie ein Kind von einem unbekannten Mann, wodurch sie von ihrem Freund entfremdet und in eine existenzielle Krise gestürzt wird. Sie macht sich in einem Rotkäppchen-Kleid auf in die Welt der bösen Männer: eines langen Tages ziellose Reise durch die Nacht.

Dabei wird sie vergewaltigt. Läuft mit Sperma im Haar umher. Und am Ende trägt sie ihre blutige Fehlgeburt durch die Straßen. Das ist emotional, brutal und ungewohnt radikal. Aber auch banal. Denn die psychologische Begründung ist viel zu unglaubwürdig, um diesen seelischen Amoklauf zu legitimieren. Hier bekommt die Familie erst gar keine Chance zum Scheitern.

In Oliver Hirschbiegels „Mein letzter Film“ blickt eine gealterte Schauspielerin zurück auf ihre kaputten Ehen und Beziehungen. Vor ihrem Abschied in ein neues Leben zeichnet sie einen Monolog an ihre Verflossenen auf: ihr letztes Band. Dabei agiert die furiose Hannelore Elsner durchgehend in die Kamera und unterbricht mitunter die Videoaufzeichnung selbst. Der Film zieht einen immer weiter in ihre Verbalwasserfälle hinein und entlarvt den Zuschauer dabei ganz hinterlistig als klatschgeilen Konsumenten. Das ist sehr intelligent, sehr selbst-reflexiv und mit netter Ironie unterfüttert. Ein minimalistisches Experiment nach dem „Experiment“.

Dominik Grafs neuer Film schließlich handelt von dem Gefühl, an dem Familien gewöhnlich ihren Ursprung haben: dem Verliebtsein. Graf hat sich eine Novelle von Henry James gegriffen und an ein bayerisches Internat verlegt. „Die Freunde der Freunde“ ist eine mysteriöse Sommergeschichte, in der manche Figuren kommen und gehen, als wären sie geisterhafte Wesen. Die Darsteller sprechen ganz leise, flüstern beinahe. Und wie man das von Henry James kennt, lässt auch Dominik Graf offen, ob er tatsächlich eine Spukgeschichte erzählt. Ein Film, der viel luftiger und leichter ist als zuletzt sein gefühlsschwerer „Felsen“. Wann hat Dominik Graf eigentlich zuletzt einen schlechten Film gedreht?

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