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Kultur: Hellmuth Karasek rät der Stadt Berlin, den "Lichtdom" wegen seines bösen Anscheins von den Millenniumsfeierlichkeiten zu streichen

Stellen wir uns mal für einen Augenblick geschichtsblind und nehmen wir einen Moment lang an, es hätte "Lichtdome" noch nie gegeben, Gert Hof, der Spektakel-Planer von "Art in Heaven", hätte sie sich zum Millennium ausgedacht: Für 500 000 Zuschauer auf der Straße des 17. Juni und 200 Millionen Zuschauer vor den Fernsehgeräten wolle er mit 250 Scheinwerfern und Hunderttausenden von Taschenlampen ein einmaliges Lichtspektakel zur Jahrtausendwende entzünden, eine "Lichtkathedrale" von ungeahnten Ausmaßen, deren Helligkeit alles Bisherige in den Schatten stellen soll: Der Flugverkehr soll eingestellt werden, die Menschen, die in den Himmel und den Bildschirm-Himmel starren, sollen, so Hof, ein einmaliges "Gemeinschaftserlebnis" haben.

Stellen wir uns mal für einen Augenblick geschichtsblind und nehmen wir einen Moment lang an, es hätte "Lichtdome" noch nie gegeben, Gert Hof, der Spektakel-Planer von "Art in Heaven", hätte sie sich zum Millennium ausgedacht: Für 500 000 Zuschauer auf der Straße des 17. Juni und 200 Millionen Zuschauer vor den Fernsehgeräten wolle er mit 250 Scheinwerfern und Hunderttausenden von Taschenlampen ein einmaliges Lichtspektakel zur Jahrtausendwende entzünden, eine "Lichtkathedrale" von ungeahnten Ausmaßen, deren Helligkeit alles Bisherige in den Schatten stellen soll: Der Flugverkehr soll eingestellt werden, die Menschen, die in den Himmel und den Bildschirm-Himmel starren, sollen, so Hof, ein einmaliges "Gemeinschaftserlebnis" haben.

Alle, die das Projekt beschreiben, schwärmen von etwas "Nie Dagewesenem", vom "größten Lichtspektakel aller Zeiten" ("Grölaz" böte sich als Abkürzung an). Nehmen wir also an, so etwas wäre noch nie dagewesen. Wären wir dann stolz vor Vorfreude? Würde uns die schwellende Brust schier platzen? Oder kämen wir ins verlegene Grübeln, etwa der Natur: Warum müssen wir wieder am stärksten auf die Pauke hauen? Warum am lautesten auf der Lichtorgel tönen? Warum wieder so tun, als seien wir die Größten und uns könne keiner? Die Botschaft, die ein solches Lichtspektakel in die Welt hinaus trüge, lautete: "Wir sind wieder wer!" Alle unangenehmen Assoziationen vom großmäuligen Berliner, vom großmannssüchtigen Deutschen bekämen Nahrung. Deutschland, das ist wieder jemand, der aus Minderwertigkeitskomplexen heraus prahlt. Ein Platz an der Sonne? Wir sind die Hellsten, wir verstrahlen das meiste Licht. Wir haben die größte Klappe.

Hofs Lichtspektakel wäre, hätte es die Nazis, Albert Speer und Leni Riefenstahl, Nürnberger Reichsparteitage, die Olympiade von 1936, Ordensburgnächte der SS und auch ihr grausiges Echo der Flak-Scheinwerfernächte während des Bombenkrieges nie gegeben, schon alleine ein großkotziges, peinliches Ereignis. Eines, das prahlt statt feiert, das den schmalen Grat zwischen Freude und Angeberei schnell überschritten hätte: Mehr scheinen als sein! Denkt man an die wunderbare Reichstagsverhüllung Christos, wird der Unterschied klar: Verhüllen, das ist eine bescheidene, eine sich sammelnde Geste, Sich-Verhüllen sogar eine Geste der Scham.

Dass wir die Nacht zum Tage machen ("Son et Lumière"), dass wir die Bauwerke unserer Städte mittels Licht in ihren historischen Umrissen modellieren und konturieren, ist etwas anderes, als Menschen unter dem Licht von Scheinwerfern kollektiv zu ducken, ihnen den Himmel enger einzuschneiden, als er ist. Und damit sind wir, zwangsläufig, bei der Geschichte: "Lichtdome", sie mögen sich auch "Lichtkathedralen" nennen, entstammen der Nazi-Ästhetik, ja sie sind deren reinster und brutalster Ausdruck.

Nicht zufällig hat Albert Speer, Hitlers Baumeister, Innen- wie Außenarchitekt der Nazi-Ära, damit geprahlt, die "Lichtdome" seien seine kreativste Schöpfung zu einer neuen Ästhetik. Eine Ästhetik, die eine Imponier- und Einschüchterungsästhetik war, wie sie Kracauer im "Ornament der Masse" analysiert hat: der Einzelne ist nichts, er ist ein Teil in einem Ganzen, dem er sich total unterzuordnen hat; groß ist er nur in der Gemeinschaft, mystisch geeint unter einer Lichtkuppel, die ihn sakral mit den anderen eins werden lässt, verschmilzt und die ihn nach außen gleißend abpanzert. KollektivÄsthetiken, wie sie, neben den Reichsparteitags-Aufmärschen und Nacht-Appellen (die Nazis hatten eine mystische Schwäche für die von Bränden und Scheinwerfern erleuchtete Nacht - nicht aber für das "demokratische" Vergnügen eines Feuerwerks) bei Mai-Feiern und Spartakiaden in Stalins Russland und Maos China zur Zähmung der Massen und Einschüchterung der Außenwelt eingesetzt wurden, machen den Einzelnen immer klein - und damit gemeingefährlich: zur exerzierfähigen Masse. Bei Lichtdomen exerziert das Licht, während es beim Feuerwerk befreiend explodiert: Man vergleiche die befreiende La Ola-Welle bei Fußballspielen mit den einstudierten Aufmärschen bei Spartakiaden. Der Suchscheinwerfer am nächtlichen Himmel gehört zur Nazi-Ästhetik wie der Totenkopf zur SS.

Selbst wenn Gert Hof mit seinen Lichtspielen die besten Absichten hätte und nur ein harmloser Geschäftemacher des optischen Größenwahns wäre, sollten wir uns seine Inszenierung ersparen, er soll uns mit ihr nicht (im wahrsten Sinne des Wortes) "behelligen". Gerade Symbole wirken durch ihre Geschichte, sie kommen nicht in den Stand der Unschuld zurück: Aus einem Hakenkreuz wird nie wieder eine "unschuldige" Swastika. Wir würden also, selbst wenn Hof nur ein geschäftstüchtiger Heiliger wäre, verheerende Signale ins neue Millennium aussenden, Signale von dumpfer Helligkeit. Aber Hof ist nicht naiv; das zeigt, wie er sich auf ein "Gemeinschaftserleben" beruft, das zeigt auch seine Nähe zu den musikalischen Rechtsauslegern der Rockgruppe Rammstein, wie er - den sein Sprecher (in unfreiwilliger Komik) "eine männliche Riefenstahl" nennt - jenes wohlige Anrempeln und höhnische Augenzwinkern provozieren will, mit dem sich die neue Rechte verständigt: "Wir sind wieder da." Und "Die anderen lassen sich ganz schön verarschen!"

Es ist gut, dass Günter Grass (der sonst seinen selbstgerechten Zorn etwas wahllos nach dem Gießkannenprinzip über Gut und Böse niederprasseln lässt) seine neue Nobelpreis-Autorität voll in die Waagschale geworfen hat - gegen das Lichtprojekt und dessen verheerende Ausstrahlung. Man sollte auch wissen, dass der Verzicht auf die Lichtkathedrale nichts mit künstlerischer Freiheit zu tun hat.

Berlin ist der Gastgeber. Und der hat jedes Recht, eine Band auszuladen, die misstönende Musik macht, jemanden, der die Suppe versalzt, den Spaß missbraucht. Erst recht einen Lichtbildner, der den Ruf der Stadt und des Landes durch ein fatales Spektakel zu schädigen droht. Mag er sich und den Seinen doch in irgendeiner Wüste oder Steppe heimleuchten!

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