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Selbstbefreiung? Für die neue Hausregisseurin des Berliner Theaters ist Ibsens Stück ein Rosenkrieg. Mit Hilke Altefrohne (Nora) und Peter Kurth (Torvald).

© DAVIDS/Huebner

Gorki-Theater: Her mit dem Geld!

Frischer Wind im Gorki-Theater: Jorinde Dröse entzaubert Ibsens "Nora". Sie macht aus dem Akt der Selbstbefreiung einen ganz normal schäbigen Scheidungskrieg.

Im Foyer danach wurde vor allem über das eine geredet. Die lachenden Kinder. Eine der Hauptinterpretationen von Jorinde Dröses Ibsen-Inszenierung „Nora oder Ein Puppenheim“ bezieht sich auf das Ende, was logisch ist, denn „Nora“ besteht ja hauptsächlich aus dem berühmt gewordenen Ende. Nachdem im Lauf der Handlung ein paar Notlügen (der Frau) und eine manifeste Selbstsucht (des Mannes) offenbar werden, verlässt Nora Mann und Kinder. Großes Drama der Frauenemanzipation, Skandal im Jahr 1879! Nur Medea ist noch schlimmer!

Bei Jorinde Dröse, die mit der Inszenierung ihren Einstand als Hausregisseurin des Maxim-Gorki-Theaters gibt, sieht das Ganze anders aus. Sie macht aus dem Akt der Selbstbefreiung einen ganz normal schäbigen Scheidungskrieg. Und deshalb reagiert Peter Kurths Torvald auf die Ankündigung seiner Frau nur einen Moment lang verdutzt, bevor er zum Gegenangriff übergeht. Du willst mich verlassen? Kannst du gar nicht, weil ich dich nämlich vorher verlasse. Und während die beiden in einem existentialistischen Schneegestöber Wer-als-erster-geht-hat-Gewonnen spielen, bleiben die Kinder übrig. Sitzen verlassen auf einer Stufe, schon das ist ein trauriges Bild. Noch trauriger wird es, als die beiden anheben, die letzten Sätze, die Ibsen ihren Eltern zugedacht hatte („darf ich dich wenigstens anrufen?“ usw.) zu sprechen. Aber sie müssen unfreiwillig immer wieder lachen – und ernten heftigen Beifall des Mitgefühls.

Dabei haben die beiden Kinder nur die Losung der Inszenierung vorgeführt. Denn auch die großen Schauspieler verlachen die Geschichte über weite Strecken – beziehungsweise vertänzeln, verkichern, veralbern und verpaffen das Stück.

Das Gute an dem Abend: Dröse erzählt ohne Brimborium, gewissermaßen mit der Nüchternheit der altrosa tapezierten Sperrholzbude, die Susanne Schuboth vor eine monumentale Drehtür hat bauen lassen. Fünfzigerjahre vielleicht, dafür sprechen zumindest die scheußlichen Pullover, die mit ordentlich Gel zurückgeklatschten Haare von Peter Kurth und die kecke Wirtschaftswunder-Selbstzufriedenheit, mit der hier eine nach der anderen weggequarzt wird. Und die kindische Stauneaugengier, mit der Hilke Altefrohnes Nora am Weihnachtsabend mit unendlich vielen Einkaufstüten ins Haus wankt. Noch hängt nüscht an den Wänden, aber die klammen Zeiten sind vorbei. Ab Januar ist der Gatte Bankdirektor und dann „geht ein ganz anderer Wind“. Nora. ein Ich-will-Geld-haben-Drama.

So klar und nackt wirkt auch das Spiel der Schauspieler, die wie zum ersten Mal voreinander stehen. Zögerlich und frisch. Impulsiv und dabei doch immer einen Tick verzögert. Hilke Altefrohne stattet ihre Nora mit mädchenhafter Ruppigkeit aus, ein gewieftes Turnschuhmädchen, das etwas linkisch hin und her schwankt und dabei doch alle Finanzfäden fest in Händen hält. Anja Schneider, die als völlig abgebrannte Kristine Linde mitsamt geheimnisvoller Vergangenheit plötzlich in der Tür steht. Ein bisschen unheimlich der fast verrückt wirkende Blick, die eckigen Bewegungen: eine wölfische Überlebensmaschine in devoter Gouvernantenerscheinung. Und Peter Kurth, der pfeifend und bestens gelaunt sein kleines Vögelchen knuddelt, um im nächsten Moment eine perfide nötigende Väterlichkeit hervorzukehren. Großartig.

Aber die Figuren können nicht nur zwei Stunden frisch voreinander stehen, sie müssen sich auch bewegen. Und das tun sie auf eine überkandidelte, übertrieben alberne Weise. Es wird getanzt und gekichert, was wieder nur vom Ende her verständlich wird. Im Moment der Klarsicht merkt Nora, dass Torvald sie wie ein Spielzeug oder ein schmückendes Accessoire behandelt hat, deshalb der ewige Unernst. Aber im Lauf der Erpressungsgeschichte wirkt er störend und konzepthaft übergestülpt. Als habe man den zweiten Teil des Titels „Ein Puppenheim“ etwas zu ernst genommen. Trotzdem: Es geht ein anderer, faszinierender Wind durchs Gorki.

Wieder am 19. und 29. Januar, 11. und 17. Februar , jeweils 19.30 Uhr

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