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Hermann Rudolph

© Kai-Uwe Heinrich

Hermann Rudolph zum 75. Geburtstag: Ein Glücksfall für Berlin

Als Publizist war Hermann Rudolph stets ein kritischer Begleiter aller großen gesellschaftlichen Debatten. Zum 75. Geburtstag gratuliert der Historiker Heinrich August Winkler dem langjährigen Tagesspiegel-Chefredakteur und -Herausgeber.

In den siebziger und achtziger Jahren erschien er mir fast als ein Solitär. In einer Zeit, in der die wenigsten politischen Beobachter und Kommentatoren noch an die Möglichkeit einer Wiedervereinigung glaubten (ich selbst tat es damals auch nicht mehr), hielt Hermann Rudolph unbeirrt am Gedanken der deutschen Einheit fest. Es lag gewiß nicht nur an seiner sächsischen Herkunft, dass er empfindlich auf die Versuche mancher westdeutscher Historiker reagierte, aus der Not der Teilung eine Tugend zu machen und die Mehrstaatlichkeit als Rückkehr zu einer lobenswerten deutschen Normalität zu deuten, ja zu verklären.

Der Publizist Hermann Rudolph war in den Jahren vor 1989 ein kritischer Begleiter aller großen Debatten, in denen es niemals nur um die deutsche Vergangenheit, sondern immer auch um das Selbstverständnis der alten Bundesrepublik ging. Als Redakteur der „Frankfurter Allgemeinen“, der „Zeit“, des Deutschlandfunks und der „Süddeutschen Zeitung“ wie als Buchautor warnte er immer wieder vor dem bequemen Rückzug in die provinzielle Selbstgenügsamkeit des größeren der beiden deutschen Teilstaaten, der nach 1945 das Glück gehabt hatte, auf der richtigen Seite des Eisernen Vorhangs zu liegen.

Als überzeugter Liberaler wirbt Hermann Rudolph seit vielen Jahrzehnten für ein aufgeklärtes Geschichtsbild, in dem neben der Erinnerung an das dunkelste Kapitel der deutschen Geschichte, die Zeit des Nationalsozialismus, auch die freiheitlichen Traditionen des Landes ihren Platz haben. Als ihm im Oktober 1993 in Bonn der Karl-Hermann-Flach- Preis verliehen wurde, mahnte er seine Landsleute, weder den Anwälten einer nationalen Revision des deutschen Geschichtsbildes noch jenen zu folgen, die sich in eine „Nein-meine-Suppe-ess-ich-nicht-Abwehr des Nationalstaates verrannt“ hätten. „Es kommt vielmehr … darauf an, das, was den Menschen im Westen und Osten gemeinsam ist, wahrzunehmen, zu stärken und die Perspektive der Vereinigung im Bewusstsein der Deutschen wachzuhalten.“

Als Hermann Rudolph 1991, im Jahr eins nach der Wiederherstellung der staatlichen Einheit Deutschlands und dem Jahr der Entscheidung des Bundestages, den eigenen Sitz und den der Bundesregierung von Bonn nach Berlin zu verlegen, das Angebot annahm, Chefredakteur und später Herausgeber des Tagesspiegels zu werden, sah er darin die große Chance, von der Hauptstadt aus die politische Kultur des zusammenwachsenden Landes mitzugestalten. Die Texte, die er seitdem veröffentlicht hat, belegen wie seine früheren Kommentare und Analysen die herausragende Fähigkeit, aktuelle Entwicklungen in größere historische Zusammenhänge einzuordnen und so zu einem vertieften Verständnis der Gegenwart beizutragen. Eben darin liegt die große, die unverwechselbare Stärke des Publizisten Hermann Rudolph.

Für Berlin war es ein Glücksfall, dass er sich vor fast einem Vierteljahrhundert entschieden hat, von der Isar an die Spree zu wechseln. Zu seinem heutigen 75. Geburtstag herzliche Glückwünsche – und eine Bitte: dass er sich auch in den kommenden Jahren immer wieder zu Wort melden möge, um uns an seinen Erkenntnissen teilhaben zu lassen.

Der Autor ist Historiker und hatte bis 2007 den Lehrstuhl für Neueste Geschichte an der Humboldt-Universität inne.

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