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Kultur: Herr der Schirme

Dr. Video: Wulf Herzogenrath über eine junge Kunstform, die ins Museum gehört

Herr Herzogenrath, wann erblickte die Videokunst das Licht der Welt?

Es ist, im Vergleich zu den anderen Künsten, wirklich einzigartig, dass man den Beginn genau datieren kann: Im März 1963 hat Nam June Paik in der Galerie Parnass in Wuppertal, den Privaträumen eines Architektenpaars, zum ersten Mal zwölf Fernseher gezeigt und mit den elektronischen Wellen „gemalt“ und von Betrachtern „malen“ lassen. Deshalb startete unser Projekt im Jahr 2003.

Nun sind vier Jahrzehnte eigentlich noch kein Alter. Trotzdem gilt Video schon als gefährdete Kunst. Was ist das Problem?

Technisch haben wir uns unglaublich entwickelt – keiner weiß heute noch, wie vor fünf Jahren ein PC aussah oder dass wir einmal Tonbänder hatten. Trotzdem gibt es noch wunderbare alte Furtwängler-Aufnahmen auf Schellack-Platten. Aber es ist nicht selbstverständlich und nicht nötig, dass die jeweilige Software auf entsprechender Hardware hörbar und sichtbar ist. Deshalb sind wir der Bundeskulturstiftung dankbar, dass sie dieses Thema in Deutschland erstmals so groß aufgegriffen hat. Es ist ein klassisches Thema für eine nationale Kulturstiftung, denn Video fällt zwischen die Förderkategorien von Bildender Kunst, Film, Theater oder Bibliotheken. Wo leiht man sich eine Videokunst-DVD aus? Weder in der Bibliothek noch im Museum. Deshalb haben wir 59 exemplarische Werke ausgewählt und in einer Studienedition zugänglich gemacht.

Diese Studienedition ist auf DVD gespeichert. Die frühen Videokunstwerke sind aber auf Super-8-Film oder Magnetband. Gehört nicht das Material auch zum Werk dazu? Ist eine DVD-Edition nicht, als ob man ein Gemälde fotografieren würde, um es zu sichern?

Man muss unterscheiden zwischen der intellektuellen Diskussion, was ein Original ist, und dem, was der Künstler gemeint hat. Der hat nicht die Pixelqualität von 1976 gemeint, als er sein Werk schuf, sondern er hat eine bestimmte Bild-Zeit-Ton-Vorstellung, und die setzte er mit den ihm damals zur Verfügung stehenden Mitteln um. Sicherlich haben sich die Künstler auch auf diese technischen Möglichkeiten bezogen, aber es geht trotzdem um eine Bild-TonAbfolge, die wir in den nächsten 100 Jahren immer auf die dann aktuellen, preiswerten und jeweils vermeintlich sicheren Medien übertragen können.

Videokunst ist auf Biennalen und Großausstellungen längst allgegenwärtig, die Besucher drängen sich in den Videokabinen. Die Museen tun sich immer noch schwer damit, auch ältere Videokunst in ihre Räume und Sammlungen zu integrieren. Woran liegt das?

Die Museen müssen sich dringend darum kümmern. Natürlich kann ich für das Geld dieses Gesamtprojektes ein Ölbild von Gerhard Richter kaufen, das ist dann meins und hängt in meinem Museum – aber wir Museumsleute sind auch für Werke zuständig, die mit neuen Medien gemacht werden, die vielleicht zeitgemäßer sind, aber gerade deshalb noch nicht richtig im musealen und Kunstmarktkontext aufgenommen sind. Da ist es wichtig, dass wir als Museen gemeinsam handeln.

Wäre ein Museum für Videokunst nicht die richtige Lösung? Dann könnte man an einem Ort alles zum Medium sammeln?

Oh bitte, bloß kein Ghetto-Museum. Auch die Fotografie hat 170 Jahre gebraucht, bis sie ein selbstverständlicher Teil der Kunstwelt geworden ist. Ich finde es gut, wenn auch Videokunst im normalen Kunstkontext zu sehen ist. In zwanzig Jahren wird es in Deutschland ebenso normal sein wie in Amerika, dass es an jedem großen Museum einen Kurator für Film und Video gibt. Im Museum of Modern Art gibt es schon seit Ende der zwanziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts Kuratoren für Film, Architektur und Design. Wir sollten die Künste nicht zu sehr in Einzelmuseen sperren.

Wird man in zwanzig Jahren also an jedem Museum eine Videobibliothek haben, wo sich jeder Videos aussuchen kann? Und ist Ihre Studienedition – die allerdings bislang nur Fachnutzern, also Institutionen, zugänglich ist – ein erster Schritt dahin?

Bei der Musik hat man vor zwanzig Jahren Schallplatten der deutschen Musik nach 1945 so subventioniert, dass sie im normalen Schallplattenhandel vorhanden waren. Das haben wir bei unserer Studienedition aus rechtlichen und formalen Gründen noch nicht ganz geschafft. Aber es ist schon ein großer Schritt, wenigstens zu den Mittlerorganisationen, Hochschulen, Museen, Bibliotheken und Volkshochschulen, vorzudringen. Aber die Katalog-DVD gibt von allen Werken Ausschnitte von je zwei Minuten!

Wie verträgt sich diese Idee einer allgemeinen Zugänglichkeit mit Kunst als Sammlerstück? Gerade in den letzten Jahren ist Videokunst auch verstärkt auf dem Markt und in Privatsammlungen gelandet.

Künstler sind sehr schöpferisch. Mit der technischen Entwicklung – Stichwort DVD – gibt es die Möglichkeit, dass Videos permanent laufen, mit preiswerten Beamern sind Installationen im Raum möglich. Plötzlich ist das wie eine Skulptur und kann auch in der entsprechenden Preiskategorie verkauft werden. Das hat in den letzten vier, fünf Jahren zu einem wahren Boom auf dem Markt geführt, von Gary Hill bis Diana Thater, Marcel Odenbach und Björn Melhus.

Sie zeigen Ihre Videoauswahl an fünf Museen in Deutschland gleichzeitig, jeweils ergänzt durch andere Schwerpunkte. Wie konzertiert ist diese Gemeinschaftsaktion?

Alle Museen haben das Problem erkannt und sofort Interesse gezeigt. Aber um nicht fünfmal dieselbe Ausstellung zu zeigen, hat jeder das Thema noch ergänzt: Videokunst der 60er in Bremen, der 80er in Düsseldorf, aktuelle Arbeiten in München, DDR-Kunst in Leipzig und ein eher technischer Schwerpunkt in Karlsruhe. Es lohnt also tatsächlich, alle Ausstellungen zu besuchen.

Warum ist Berlin nicht dabei?

Es hatte sich eine Ost-West-Nord-SüdVerteilung ergeben. Natürlich gäbe es in Berlin gute Anknüpfungspunkte: vom Bauhaus-Archiv über die weltweit erste Videothek des NBK, die Transmediale bis zum Hamburger Bahnhof. Übrigens gibt es in keiner Stadt der Welt so bedeutende Künstler im Bereich der Klang-Skulptur wie in Berlin, wo sie jedoch kaum wahrgenommen werden. Alles wird so auf Sparflamme gefahren, dass die Stadt auf diesem Gebiet kaum Ausstrahlung entwickelt. Auch in der Medienkunst sind Hochschulen wie Braunschweig interessanter als die Berliner, ganz zu schweigen von Karlsruhe oder Köln. Der Hype der jungen Kunsthandelsszene ist auch nicht hilfreich, denn Flachware und Skulpturen verkaufen sich besser als DVDs. Berlin sollte aufpassen, dass nicht alle in dieselbe Einbahnstraße rennen!

Gibt es überhaupt die „Videokunst“ an sich? Wie grenzt sie sich ab vom Kurzfilm oder Musikclip, vom Fernsehfilm oder Dokumentarfilm?

Es gibt für uns keine enge Definition, sondern ein weites Feld, bis zu Beckett oder Bob Wilson, die in unserer Edition vertreten sind. Für Beckett zum Beispiel hat sich Bruce Nauman genauso interessiert wie Catherine David. Bei der Entstehung der Arbeiten hat kein Mensch gesagt, das ist jetzt Video- oder TV-Kunst. Aber der Einfluss war sehr groß. Es gibt viele Verbindungen zum Fernsehen, etwa zum Kleinen Fernsehspiel oder zum Film. Eine langsame Kamerafahrt durch verschiedene Realitäten, wie Corinna Schnitt sie zeigt, ist Videokunst, aber auch ein Beitrag für die Kurzfilmtage in Oberhausen. Wo ist die Grenze? Wir wollten die Grenzen lieber überschreiten.

Wenn man die Auswahl der Videoarbeiten nimmt: Ist das der gültige Kanon der Videokunst oder eine persönliche Auswahl?

Wir waren eine sehr gemischte Jury, alt und jung, Mann und Frau, Kunsthistoriker und Künstler. Es hat sich gezeigt, dass die Jüngeren die historischen Arbeiten kaum kannten, während ich bei den aktuellen Arbeiten nicht so auf Stand war. Schließlich ist eine Liste von 500 Werken entstanden, die wir diskutiert haben. Die Vorgabe war: von jedem Künstler nur ein Band. Und nicht nur deutsche Künstler, sondern auch solche, die hier rezipiert wurden.

Und wie wird es weitergehen? Sie nennen Ihre Studienedition 40jahrevideokunst.de – Teil 1. Wird es auch Teil 2 geben?

Ich hoffe, dass es erst der Anfang ist, um das Problemfeld von Restaurierung bis Zugänglichkeit anzugreifen. Der nächste Schritt wären jetzt Spezialthemen oder Monografien, bei denen wir uns einzelnen Künstlern widmen, die zum Teil eine Entwicklung über 25 Jahre durchgemacht haben. Wir hoffen, dass die Bundeskulturstiftung das weiter fördert. Es ist jetzt erst mal das Eis gebrochen, dieses Thema grundlegend anzugreifen.

Das Gespräch führte Christina Tilmann.

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