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Kultur: Herz lass’ nach

William Forsythe und Anne Teresa de Keersmaeker beim Berliner Tanz im August

Von Sandra Luzina

Traum und Trauma: Seine berührendsten und schockierendsten Momente hatte dieser „Tanz im August“, wenn er an das Gedächtnis des Schmerzes rührte. Immer wieder in alten Wunden gebohrt. Keine Verklärung! Die Tänzer insistieren auf ihrer Versehrtheit. Marie Chouinard hatte das Leid-Motiv zur Eröffnung schon vorgegeben und ihre Tänzer mit Spitzenschuhen und Prothesen ausgerüstet. Die Meditation über Schönheit und Verwundbarkeit kommt hier hochvirtuos und ästhetisch daher.

Doch man konnte sich des Eindrucks nicht erwehren, dass bei diesem Internationalen Tanzfest auch lange Verleugnetes, Verdrängtes zu Tage kam. Die Interpreten erzählen von ihren Verletzungen. Nicht immer hilft eine Redekur, nicht in jedem Fall gibt es eine Schmerztherapie.

Ein Urschrei bereitet in William Forsythes „You Made Me a Monster“ der Bastelstunde auf der Bühne im Haus der Berliner Festspiele ein Ende. Es klingt wie der Todeskampf eines Dinosauriers, was da an unterdrückten Lauten aus den Körpern der drei Tänzer hervorbricht. Und deutet auf einen Schmerz, der zu groß ist, als dass wir ihn nachempfinden oder gar verstehen könnten. Die Performance-Installation ist eine späte Trauerarbeit. Forsythe verarbeitet darin sein privates Trauma: den Krebstod seiner Frau.

„Meine Frau hatte bereits eine Zeit lang geblutet“, hebt der Text an, der hier über die Leinwand kriecht und qualvoll das Sterben dieser außergewöhnlichen Tänzerin rekapituliert. Spätestens da fällt einem der Dino-Knochen aus der Hand. Der Abend fängt nämlich als lustiges Monsterbasteln an. Die Zuschauer versammeln sich um Tische und können sich aus einem Pappbausatz einen Saurier zusammensetzen. Fantastische, monströse Anatomien entstehen, die einen schauderhaften Widerhall in den sich krümmenden Körpern der Tänzer finden.

Ein „Modell der Trauer“ nennt Forsythe sein Projekt, wohl wissend, dass er sich an der Grenze des Darstellbaren bewegt. Sein Stück macht jedenfalls schaudern, und der Schock sitzt umso mehr, weil der intellektuelle Modellbauer sich diesmal so unvermutet autobiografisch präsentiert.

Wie Balsam mutet dann Anne Teresa de Keersmaekers neuer Tanzabend „Desh“ im HAU1 an. Auch sie ist mit einem kleinen Format vertreten – und auch ihr gelingen wundersam intime Momente. Die Herausforderung lag in der Musik: „Desh“ kombiniert indische Ragas mit John Coltranes „India“. Durch den Jazz entdeckte die Belgierin das Improvisieren, die indische Musik eröffnete ihr den Zugang zu höherer Spiritualität. Derart musikalisch befeuert, ist „Desh“ eine wunderbare Hymne an den Tanz, schreitet aber auch unbekannte emotionale Landschaften ab. Auf sandigem Grund bewegen sich die Akteure, jeder Schritt wirbelt eine Wolke aus feinem Staub auf.

Die Choreografin hat mit Marion Ballester und Salva Sanchis zwei exzellente Tänzer an ihrer Seite. Sanchis, der auch als Ko-Choreograf firmiert, demonstriert in seinem fulminanten „India“-Solo, wie sich das Vokabular aus schnellen Läufen und fließenden Verschraubungen neu auslegen lässt. „Desh“ ist von einer transparenten Schönheit, weil es die Lebendigkeit des Moments nicht ausklammert. Darin offenbart sich für Anne Teresa de Keersmaeker der Geist des Tanzes.

„Desh“ noch einmal heute, 20 Uhr. „You Made Me a Monster“ bis 28. 8. Info:

www.tanzimaugust.de

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