zum Hauptinhalt

Kultur: Heute bleibt die Küche kalt

„Liebelei“ am Deutschen Theater Berlin

Es sieht unbehaglich aus im bürgerlichen Salon des jungen Herrn Fritz. Vor die Wände mit ihren klassizistischen Säulen und neckisch aufgemalten Kerzenleuchtern sind Plexiglasscheiben gesetzt. Weder Kronleuchter noch Teppich oder Fauteuils sorgen für Behaglichkeit, der Raum ist leer wie ein Wartesaal (Bühne: Magdalena Gut). Allen gegenteiligen Behauptungen der Bewohner zum Trotz befinden wir uns nicht in einem Salon aus dem großbürgerlichen Wien der Jahrhundertwende, sondern in einem Museum, das Überbleibsel und Reste einer längst vergangenen Epoche gefangen hält.

Auch die Insassen dieser Räume sind solche Restposten der Vergangenheit. Von ihren Liebes- und Sehnsuchtsräuschen ist nichts geblieben als manierierte Posen, kalt gewordene Empfindungen und abgestandene Floskeln. Kein Wunder, dass sie zu Beginn und am Ende jedes Aktes für einen Moment eingefroren und erstarrt dastehen, als müsste erst das Theaterlicht sie wieder zum Leben erwecken.

Irina Lanik, eine junge, offenbar extrem formbewusste Regisseurin, hat in den Kammerspielen des Deutschen Theaters Berlin Arthur Schnitzlers frühes Erfolgsstück „Liebelei“ als kühl zerdehntes Exerzitium des verfehlten Lebens inszeniert. Von Schnitzlers Fin-de-Siècle-Lässigkeit, von Milieu-Zeichnung, lasziver Dekadenz und die für die Verführungsmuster und Liebesschmerzen konstituierenden Klassenunterschiede ist nichts übrig geblieben als ein strenges Formkorsett.

Doch allen Ähnlichkeiten an der Oberfläche zum Trotz ist das weit von Thalheimers aggressiv-wirkungsbewusster Härte entfernt. Laniks Inszenierung ist spröder, zerdehnter, anstrengender. Die Regisseurin hat Schnitzlers bittersüße Romanze radikal entsentimentalisiert. Jetzt fühlt sie sich nicht mehr behaglich wie ein Jahrhundertwende-Möbel an, sondern kalt und ausgenüchtert wie ein Bauhaus-Freischwinger.

Im Zentrum des Stücks, wenn auch leider nicht der Aufführung, steht eine naive Unschuld und damit ein sexistisches Klischee: ein Mädchen aus der Unterschicht, das den besseren Herrn von ganzem Herzen liebt und an dieser Liebe zerbricht. Hier zitiert Schnitzler ein Muster aus dem achtzehnten Jahrhundert. Die ehrbaren Bürgermädchen, die in den bürgerlichen Trauerspielen von Lessing bis Schiller reihenweise von lüsternen Adligen vernascht und ins Verderben gestürzt werden. Aylin Esener spielt diese Unschuld vom Hinterhaus namens Christine mit Dauerstrahlen im Gesicht und schlichtem Gemüt. Nur einmal, als sie ahnt, dass ihr Geliebter im Duell erschossen wurde, bricht so etwas wie Schmerz und Figurenzeichnung durch das innige Girlie-Lächeln.

Stärker wirkt das Kontrastmodell der klugen Schlampe: Isabel Schosnig spielt die im Lebens- und Liebesgenuss erfahrene Mitzi mit schön ordinären Anklängen. Theodor, Mitzis Galan der Stunde, ist ein ebenbürtiger Profi des unverbindlichen Genusses. Timo Dierkes macht ihn zum gutgelaunten Teddybär. Anders der an der Liebe leidende Fritz, den Robert Gallinowski mit Überdruss und melancholischen Schatten ausstattet. Christines romantische Seufzer langweilen ihn, für eine verheiratete Frau schmachtet er, und als ihn deren Ehemann zum Duell fordert, scheint er froh zu sein, auf diese Weise endlich von Ennui und Langeweile erlöst zu werden.

Wieder am 27. und 30. Dezember.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false